- von Andreas Kröner
Frankfurt (Reuters) - Die Deutsche Börse und die London Stock Exchange (LON:LSE) müssen nach der Brexit-Entscheidung um ihren geplanten Zusammenschluss bangen.
Dass der fusionierte Konzern in London beheimatet sein soll, wird von Aufsichtsbehörden und Politkern in Deutschland nun noch kritischer gesehen. "Einen Sitz in London kann es für das gemeinschaftliche Unternehmen nach dem Brexit nicht mehr geben", sagte Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs der Nachrichtenagentur Reuters. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sprach sich ebenfalls dafür aus, die Mega-Börse nun in Frankfurt und damit innerhalb der EU anzusiedeln.
Beide Unternehmen bekräftigten, die Fusion trotz des Brexits durchziehen zu wollen. Doch viele Experten gehen nun davon aus, dass die hessische Börsenaufsicht oder die EU-Kommission die rund 25 Milliarden Euro schwere Fusion untersagen werden. "Die Wahrscheinlichkeit, dass der Deal durchgeht, ist gesunken", urteilte Analyst Philipp Häßler vom Broker Equinet. Die Aktien der Deutschen Börse brachen in der Spitze um elf Prozent ein, die Papiere der LSE sogar um 16 Prozent.
Die Deutsche Börse ist der Ansicht, dass die geplante "Liquiditätsbrücke" zwischen Frankfurt und London nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU noch wichtiger wäre. "Um wirtschaftliche Stärke zu bewahren, müssen wir alles tun, um die Stärken von verschiedenen Finanzstandorten zu verbinden", sagte Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter in der ARD. "Die Logik der Fusionspläne ist nach wie vor intakt."
"DIE BÖRSEN-FUSION IST TOT"
Ein Referendums-Komitee beider Unternehmen soll sich in den kommenden Wochen mit möglichen Reaktionen auf den Brexit befassen. Auch die Entscheidung für London als "alleinigem Sitz" des fusionierten Konzerns wird dabei überprüft, wie Deutsche-Börse-Aufsichtsratschef Joachim Faber bereits vor dem Referendum angekündigt hatte. Eine Verlagerung der Holding-Gesellschaft nach Frankfurt oder die Schaffung von zwei Firmensitzen könnte nach Einschätzung von Insidern jedoch erst nach dem Abschluss der Fusion 2017 in Angriff genommen werden. An den Eckdaten des Zusammenschlusses, über den die Aktionäre von LSE und Deutscher Börse im Juli abstimmen sollen, werde nicht gerüttelt, betonte Kengeter. "Diese Vertragsunterlagen lassen sich nicht verändern."
Grundsätzlich ist es denkbar, dass die Behörden den Deal unter Auflagen genehmigen, die beide Konzerne dann nach dem Abschluss der Transaktion umsetzen müssen. Mehrere Politiker und Branchenmanager halten es jedoch für wahrscheinlicher, dass die Aufsichtsbehörden den Deal gleich ganz untersagen. "Die Börsenfusion ist mit dem heutigen Tag schlicht und einfach tot", sagte der stellvertretene SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel dem Hessischen Rundfunk.
"DER UNMUT STEIGT"
Die Börsenaufsicht, die im Wirtschaftsministerium in Wiesbaden angesiedelt ist, hatte bereits vor der Brexit-Entscheidung große Vorbehalte gegen eine Ansiedlung der Mega-Börse in London. Die Bedenken hätten sich nun noch verstärkt, sagten zwei mit dem Vorgang vertraute Personen Reuters. "Der Unmut steigt", sagte einer der Insider. "Die Überlegungen, dass der Sitz in London ein Problem ist, verdichten sich." Wie die Entscheidung der hessischen Börsenaufsicht am Ende ausfalle, könne Stand heute aber noch nicht vorhergesagt werden. "Wir werden die Entscheidung, die da gestern getroffen worden ist, in unsere Prüfung mit einbeziehen", sagte der zuständige Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne). Zudem werde die Börsenaufsicht abwarten, "ob die Pläne in dieser Form so bestehen bleiben".
Hessen will sich vor seiner Entscheidung Insidern zufolge auch mit der Bundesregierung austauschen. Diese müsse nun Farbe bekennen, sagte Unions-Fraktionsvize Fuchs. "Die Bundesregierung fordere ich auf, sich dafür einzusetzen, dass der Sitz nicht mehr in Großbritannien sein wird. 'Out is out' – das muss nun auch deutlich werden." Der Betriebsrat der Deutschen Börse und Hubertus Väth von der Standort-Initiative "Frankfurt Main Finance" plädieren ebenfalls für eine Ansiedlung des fusionierten Börsenkonzerns in Frankfurt. "Wir glauben, dass mit dem Brexit die Argumente für Frankfurt als Holding-Standort noch deutlicher zutage getreten sind", sagte Väth. Die industrielle Logik der Fusion sei vom Brexit unberührt.