Ankara (Reuters) - Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu gibt im Machtkampf mit Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf.
Einen Tag nach einer Unterredung mit dem Präsidenten kündigte Davutoglu am Donnerstag seinen Rücktritt als Partei- und Regierungschef an. Auf einem Sonderparteitag am 22. Mai will die regierende AKP einen Nachfolger wählen, der ein treuer Gefolgsmann Erdogans sein dürfte. Für die Europäische Union (EU) kommt der Wechsel ungelegen. Davutoglu war Antreiber des Abkommens, von dem sich die EU eine Verringerung der Flüchtlingszuwanderung verspricht. Außenpolitiker von SPD und CDU reagierten mit Besorgnis. An der Börse in Istanbul kam Davutoglus Rückzug indes gut an.
Einst von Erdogan in das Amt des Partei- und Regierungschefs verholfen, galt Davutoglu zuletzt als sein Widersacher auf dem Weg zu einem Umbau der Türkei zur Präsidialrepublik. Erdogans Pläne für eine Verfassungsänderung zur Stärkung der Macht des Präsidenten unterstützte er nur zurückhaltend. Bereits nach einem eineinhalbstündigen Treffen Erdogans mit Davutoglu verlautete am Mittwochabend, dass Davutoglus Ablösung bevorstehe. Als mögliche Nachfolger wurden in AKP-Kreisen Regierungssprecher Numan Kurtulmus und Justizminister Bekir Bozdag gehandelt, die als treue Gefolgsleute von Erdogan gelten.
Davutoglu zog in einer Rede in Ankara eine Bilanz seiner Regierungszeit, wobei er Loyalität zu Erdogan beteuerte. "Ich sage unseren Mitgliedern, bis heute habe ich Euch angeführt", sagte Davutoglu. "Von jetzt an bin ich einer von Euch." Er werde seine Arbeit als Abgeordneter fortsetzen. Er scheide nicht mit Groll aus dem Amt. Er werde kein schlechtes Wort über Erdogan verlieren, dessen Freundschaft er über alles schätze.
AUSSENPOLITIKER VON SPD UND CDU ÄUSSERN SORGE
Der außenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Niels Annen, erwartet, dass Erdogan seine Verfassungsänderung für größere Machtbefugnisse "nun ohne Widerstand aus den eigenen Reihen vorantreiben" werde. "Angesichts des vorherrschenden Klimas der Repression und der laufenden Debatte über die Aufhebung der Immunität von Oppositionsabgeordneten ist dies eine schlechte Nachricht", sagte Annen zu Reuters. Sein CDU-Kollege Jürgen Hardt erklärte, es verstärke sich "die Sorge, dass Präsident Erdogan die demokratische Türkei in einen stärker autoritär (...) geführten Staat" umbauen wolle.
Die Türkei könnte nun im Verlauf des Jahres vor vorgezogenen Neuwahlen stehen, mit denen Erdogan versuchen könnte, sich eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament zu sichern. Von nun an stünden allein das Präsidialsystem und vorgezogene Wahlen auf der Agenda, erklärte Mehmet Ali Kulat vom Meinungsforschungsinstitut Mak Danismanlik, das als Erdogan nahestehend gilt. Er erwarte Wahlen im Okober oder November.
Vertreter der EU wollten sich zunächst nicht zu den möglichen Folgen für das Türkei-EU-Abkommen zur Eindämmung der Flüchtlingszuwanderung äußern. In EU-Kreisen hieß es, die Verpflichtungen der Türkei sollten von einem Wechsel an der Regierungsspitze unberührt bleiben. Die EU-Kommission stellte der Türkei - wie in dem Abkommen zugesagt - am Mittwoch eine rasche Befreiung von der Visapflicht in Aussicht. Der Leitindex der Istanbuler Börse zog nach Davutoglus Ankündigung ins Plus und stieg um 0,4 Prozent, nachdem er zuvor um 2,4 Prozent gefallen war. Auch die Währung des Landes stand wieder höher im Kurs.