- von Steve Holland und Amanda Becker
Washington/New York (Reuters) - Beim ersten Fernsehduell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump könnte für die beiden US-Präsidentschaftskandidaten kaum mehr auf dem Spiel stehen.
Die Demokratin und der Republikaner liegen in den Umfragen eng beieinander, mehr als ein Fünftel der Wähler ist noch unentschlossen, und die Einschaltquoten am Montagabend (03.00 Uhr Dienstag MESZ) dürften Rekordmarken erreichen wie sonst nur beim Endspiel im American Football. In den 90 Minuten - frei von Werbeunterbrechungen - darf sich keiner der beiden eine Schwäche leisten: Denn in der US-Geschichte haben Fernsehdebatten mehrfach den Verlauf eines Wahlkampfs maßgeblich verändert.
In diesem Jahr findet das erste der drei Duelle zudem zu einem kritischen Zeitpunkt statt. Die bislang in Umfragen führende Clinton hat einen großen Teil ihres Vorsprungs eingebüßt. In der jüngsten Reuters/Ipsos-Erhebung erhielt die ehemalige Außenministerin 41 Prozent, der Geschäftsmann Trump 37 Prozent. Der Republikaner befindet sich auch sonst tendenziell im Aufwind: Am Freitag bekannte sich überraschend noch einer seiner ärgsten Rivalen aus den Vorwahlen, der Erzkonservative Ted Cruz, zu ihm. Clintons jüngster Schwächeanfall und die anhaltende Debatte über ihren Umgang mit vertraulichen E-Mails lassen die 68-Jährige als in der Defensive erscheinen.
DAS GEFÜHL DER GEFAHR, DIE UNGEWISSHEIT DES AUSGANGS
Die Debatte an der Hofstra-Universität im Bundesstaat New York bietet beiden Kandidaten die Möglichkeit, bei noch nicht festgelegten Wählern zu punkten. Etwa sechs Wochen vor der Abstimmung am 8. November sind rund 22 Prozent der potenziellen Wähler noch unentschlossen. Und über die Hälfte der Wähler hat keine klare Vorstellung davon, für welches Programm die Kandidaten stehen. Dem Pew Research Center zufolge gaben in einer Umfrage 48 Prozent der Befragten an, sie wüssten über Clintons politisches Programm gut bescheid, bei Trump waren es nur 41 Prozent.
Die TV-Debatten sind eine seltene Gelegenheit, die Kandidaten außerhalb der üblichen streng kontrollierten und durchchoreografierten Auftritte zu sehen. Genau dies mache die Debatten so spannend - "das Gefühl der Gefahr, die Ungewissheit des Ausgangs", sagt der Medienexperte Alan Schroeder. Dazu komme in diesem Jahr das unvorhersehbare Verhalten von Trump, das nach Debatten im Vorwahlkampf zu den Stärken des 70-Jährigen gezählt wird.
BERATER: SINNLOS, TRUMP FAKTEN EINZUTRICHTERN
Die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Kandidaten spiegeln sich in ihren Vorbereitungen wider. Clinton bereite sich akribisch vor und übe das Duell in Rollenspielen, berichtete die "New York Times" unter Berufung auf Berater, Verbündete und Freunde der ehemaligen First Lady. Mit Hilfe von psychologischen Profilen werde nach Möglichkeiten gesucht, Trump aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dieser wiederum führe keine Übungsdebatten, sondern studiere Videoaufnahmen von Clinton, berichtete das Blatt. Trump halte auch wenig davon, sich Einzelheiten einzuprägen, die die meisten Zuschauer nach einer Stunde ohnehin vergessen hätten. Auch hielten es seine Berater für sinnlos, Trump Daten und Fakten eintrichtern zu wollen - vielmehr solle er sich auf die großen Fragen konzentrieren.
TERROR, WIRTSCHAFT UND HAUSHALT
Pew zufolge wollen die US-Bürger bei der Debatte insbesondere etwas zur Abwehr von Terrorangriffen, der Wirtschaftslage und dem Haushalsdefizit hören. Für den Verlauf dürfte auch wichtig sein, dass etwa 60 Prozent der unentschlossenen Wähler Frauen sind. Der republikanischen Strategie-Expertin Katie Packer zufolge vertrauen sie zwar Clinton nicht - "aber Trump macht ihnen Angst".
Experten wie Paul Levinson von der Fordham University gehen von 100 Millionen Zuschauern aus - ein Drittel der Bevölkerung. Den Rekord für eine US-Fernsehsendung hält der Super Bowl von 2015 mit 115 Millionen Zuschauern, das größte Nicht-Sportereignis war 1983 das Finale der Serie "Mash" mit 105 Millionen. Die höchsten Zuschauerzahlen bei einem TV-Duell von Präsidentschaftskandidaten erzielten 1980 Jimmy Carter und Ronald Reagan mit 80 Millionen.