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Geldpolitik im Fokus: Instrumente und Technik der operativen Geldpolitik

Veröffentlicht am 28.08.2017, 12:19

Prof. Dr. Joachim Wuermeling
Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank

1 Einleitung

Meine Damen und Herren,

wahrscheinlich haben einige von Ihnen schon einmal die Sommerferien in den Alpen verbracht und dort die Berge erwandert. Und vielleicht haben einige von Ihnen sich in luftiger Höhe gefragt: Wie komme ich nachher möglichst heil in die sichere Hütte?

Zwar handelt mein Vortrag leider nicht vom Bergwandern. Aber schauen wir uns die Geldpolitik in den vergangenen Jahren an, so ergeben sich schnell einige Fragen, die auch beim Bergwandern eine Rolle spielen:

Wohin wollen wir eigentlich genau und welchen Pfad nehmen wir? Welche Instrumente oder Werkzeuge brauchen wir, um zum Ziel zu gelangen?
Wie ist die Großwetterlage? Ziehen Gewitter auf?

Ähnliche Dinge muss das Eurosystem, das aus den nationalen Zentralbanken der Euroländer und der Europäischen Zentralbank besteht, im Hinterkopf haben. Insofern hat mein Vortrag über Instrumente und Technik der operativen Geldpolitik auch ein wenig mit dem Verhalten im hochalpinen Gelände zu tun – und den Gefahren, die damit einhergehen.

Dabei möchte ich in den ersten beiden Teilen erst einmal bedeutende Wegmarken besprechen. Wie wir eigentlich dahin gekommen sind, wo wir jetzt stehen. Der dritte Teil handelt dann davon, wie es weitergehen könnte. Wohlgemerkt: "könnte", denn wir bewegen uns im dritten Teil des Vortrags definitiv im Bereich des Hypothetischen, des "was wäre, wenn?".

Bitte beachten Sie auch, dass bei meinem Vortrag Instrumente und Technik im Mittelpunkt stehen sollen. Also mehr das "wie". Allerdings ohne das "warum" gänzlich zu vernachlässigen.

2 Vor der globalen Finanzkrise: Zinspolitik als Mittel der Wahl

2.1 Ansatzpunkte der Geldpolitik

Lassen Sie mich mit der Frage beginnen, warum wir eigentlich Geldpolitik betreiben. Unser Mandat sagt dazu sehr klar, dass wir vorrangig die Preisstabilität wahren sollen.

Preisstabilität ist definiert als Steigerungsrate der Verbraucherpreise im Euroraum in der mittleren Frist von unter, aber nahe 2% pro Jahr. Das gesamtwirtschaftliche Preisniveau bildet sich durch Angebot und Nachfrage an den Güter- und Dienstleistungsmärkten. Als Zentralbank können wir es weder verordnen noch direkt steuern.

Denn zum einen leben wir in einer Marktwirtschaft, in der die Preise eine unverzichtbare Lenkungsfunktion haben. Zum anderen sind wir nur an den Finanzmärkten aktiv, und auch das normalerweise zurückhaltend und an wenigen Stellen.

Wir nutzen traditionell die Banken als "Transmissionsriemen". Sie tragen dazu bei, dass unsere geldpolitischen Impulse über die Bedingungen an den Finanzmärkten in die Realwirtschaft gelangen. Dort treffen die Wirtschaftssubjekte dann Ausgabeentscheidungen, die die Preisentwicklung beeinflussen.

Bindeglied zwischen Banken und Zentralbank ist das sogenannte Zentralbankgeld. Es besteht aus Banknoten und Guthaben der Banken bei der Zentralbank. Zentralbankgeld ist das Monopolprodukt der Zentralbank. Nur sie kann es schaffen und den Preis dafür bestimmen.

Banken benötigen Zentralbankgeld, wir nennen es auch "Liquidität", um

  • die Bargeldnachfrage ihrer Kundschaft zu bedienen,
  • den unbaren Zahlungsverkehr ihrer Kunden abzuwickeln und
  • ihre individuelle durchschnittliche Mindestreservepflicht an Zentralbankguthaben auf dem Konto bei der Zentralbank erfüllen zu können.

Eine Zentralbank kann nun – stark vereinfacht gesprochen – Geldpolitik auf zwei Arten betreiben.

Erstens kann sie als Monopolistin den Preis für Zentralbankgeld steuern, also den kurzfristigen Zins. Dazu wird sie Zentralbankgeld relativ kurzfristig bereitstellen und es zu einem knappen Gut machen. Der geldpolitische Kurs wird allein mit Hilfe der Leitzinsen signalisiert. Die Kapitalmarktzinsen beeinflusst die Zentralbank so nur mittelbar. Der Fachbegriff für dieses Vorgehen ist "klassische Zinspolitik".

Zweitens kann eine Zentralbank aber auch eine Geldpolitik betreiben, bei der Zentralbankgeld in großem Umfang und für längere Zeiträume zur Verfügung gestellt wird – und auch kein knappes Gut mehr ist. Die Zentralbank setzt also weitere Maßnahmen ein, mit denen sie die Länge und Struktur ihrer Bilanz aktiv gestaltet, um zusätzlich und unmittelbar auf die Kapitalmarktzinsen zu wirken.

Allerdings hat die Geldpolitik über das Bereitstellen von Zentralbankgeld in beiden Fällen keinen direkten Einfluss auf die Kreditvergabe und die Geldschöpfung der Banken. Es besteht kein mechanistischer Zusammenhang.

2.2 Geldmarktsteuerung über einen Leitzinskorridor

Vor der Finanzkrise betrieb das Eurosystem klassische Zinspolitik. Es steuerte die Geldmarktzinsen. Dazu dienten vor allem kurzfristige Kredite in Zentralbankgeld an die Banken.

Damit diese Geldmarktsteuerung funktionieren konnte, hielt das Eurosystem den Bankensektor in einem sogenannten strukturellen Zentralbankgeld- oder Liquiditätsdefizit. Zentralbankgeld war also für die Banken knapp.

Bei so einem Liquiditätsdefizit muss das Bankensystem dann immer wieder Zentralbankgeld in Form von Krediten nachfragen.

Die Banken tun das übrigens nicht bei der Europäischen Zentralbank (EZB) – diese führt keine entsprechenden Konten – sondern bei ihren nationalen Zentralbanken. In Deutschland angesiedelte Banken bekommen diese geldpolitischen Kredite also bei der Deutschen Bundesbank.

Den Großteil des nötigen Zentralbankgelds verlieh das Eurosystem vor der Finanzkrise im Wege sog. Hauptrefinanzierungsgeschäfte

  • kurzfristig,
  • besichert und
  • wiederkehrend in wöchentlichen Auktionen.

Dabei teilte das Eurosystem maßgeschneidert gerade so viel Zentralbankgeld zu, wie der Bankensektor als Ganzes rechnerisch benötigte, um seinen Liquiditätsbedarf zu decken. Der Geldmarkt bewirkte dabei einen Liquiditätsausgleich zwischen Banken:

  • jenen, die noch Zentralbankgeld leihen mussten und dabei weniger als den (teuren) Zins der Spitzenrefinanzierungsfazilität des Eurosystems zahlen wollten;
  • und jenen, die überschüssiges Zentralbankgeld anlegen und mehr als den (niedrigen) Zins der Einlagefazilität des Eurosystems einnehmen wollten.

Spitzenrefinanzierungssatz und Einlagesatz bildeten damit einen sogenannten Zinskorridor um den Hauptrefinanzierungssatz.

In einem Umfeld, in dem sich Angebot und Nachfrage nach Zentralbankgeld wegen maßgeschneiderter Zuteilungen stets weitgehend ausglichen, bildete sich der Übernacht-Zins am Geldmarkt, genannt EONIA, meist eng um den Zins der Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems.

So erreichte das Eurosystem sein operatives Ziel, die kurzfristigen Geldmarktzinsen mit den Zinsen seiner Hauptrefinanzierungsgeschäfte in einem Korridorsystem zu steuern.

Willkommener Nebeneffekt dieser klassischen Zinspolitik mit "maßgeschneiderter" bzw. berechneter Zuteilung von Zentralbankgeld war, dass die Zentralbankbilanz schlank blieb. Sie wurde nicht größer als unbedingt notwendig. Im Einklang mit den Maßgaben des Vertrags von Maastricht unterblieben damit Eingriffe der Geldpolitik in die Preisbildung an den Märkten.

3 Seit der globalen Finanzkrise: Geldpolitik im Wandel

3.1 Phase 1 – Globale Finanzkrise: Vollzuteilung als wichtigster Baustein

Seit Sommer 2007 intensivierten sich Spannungen an den Märkten. Banken vertrauten sich nicht mehr und liehen sich untereinander am Geldmarkt nur noch sehr eingeschränkt Zentralbankgeld. Denn zeitweise war es damals für Banken wichtiger, Risiken zu vermeiden als Erträge zu erwirtschaften.

Bei stark sinkender Inflation senkte der EZB-Rat zwischen Oktober 2008 und Mai 2009 zwar auch klassisch die Leitzinsen von 4,25% auf 1%. Es änderte sich aber vor allem die Art, wie und wieviel Zentralbankgeld das Eurosystem den Banken zur Verfügung stellte.

Dabei war die sogenannte Vollzuteilung als Regelverfahren ab Oktober 2008 wichtigster Baustein. Banken konnten nun regelmäßig Zentralbankgeld zum Festzins in beliebiger Höhe ausleihen, sofern sie ausreichend notenbankfähige Sicherheiten hatten.

Das Eurosystem teilte Zentralbankgeld also nicht mehr begrenzt nach seinen Berechnungen zu, sondern blieb passiv und ließ die Banken selbst entscheiden. Unterstützend verlängerte das Eurosystem die Liste akzeptierter geldpolitischer Sicherheiten ebenso wie die Laufzeiten für seine Kredite.

Das verringerte zum einen die Spannungen an den Finanzmärkten, weil die Banken nicht nur einen geringeren Zinsaufwand sondern auch deutlich erleichterten Zugang zu Zentralbankgeld hatten. Gleichzeitig führte diese Maßnahme aber auch zu einem ersten kräftigen Anstieg der Bilanzsumme des Eurosystems, der bis dahin beispiellos war.

Der Abschied vom Leitbild einer schlanken Zentralbankbilanz kündigte sich an. Auf der Aktivseite stiegen die Kreditbestände, während auf der Passivseite die Zentralbankguthaben der Banken beim Eurosystem (insbesondere die Einlagefazilität) wuchsen.

Damit war erstmals ein Zustand von sogenannter Überschussliquidität erreicht. Damit bezeichnen wir in der Fachsprache, dass die Zentralbankguthaben der Banken über das hinausgehen, was sie an Mindestreserve bei der Zentralbank halten müssen.

Wegen des im Übermaß vorhandenen Zentralbankgeldes rutschte dessen Preis bzw. Zins, EONIA, vom Niveau des Hauptrefinanzierungssatzes in die Nähe des Einlagesatzes – jenem Zinssatz, zu dem Eurosystem überschüssiges Zentralbankgeld hereinnimmt.

Das Eurosystem übernahm nun also verstärkt eine Intermediärsfunktion für die Banken. Sie konnten dort einerseits fast in beliebiger Höhe Zentralbankgeld gegen Sicherheiten leihen und andererseits überschüssige Liquidität anlegen, ohne das Risiko eines Adressenausfalls.

Mitte 2009 waren die größten Bedrohungen der globalen Finanzkrise für das Funktionieren der Geldmärkte eingedämmt. Allerdings sah sich der EZB-Rat nun vor der Frage, wie angesichts eines angeschlagenen Bankensektors die Kreditvergabe an die Realwirtschaft unterstützt werden konnte. Der Blick des Eurosystems richtete sich dabei zunehmend auf längere Fristen und damit auch über den Geldmarkthorizont hinaus.

Ein erstes Beispiel dafür waren noch längerfristigere Kredite (zwölf Monate) im bekannten Vollzuteilungsverfahren. Zugleich wurden erstmals auch endgültige Käufe von bestimmten Wertpapieren, sogenannte gedeckte Bankschuldverschreibungen, in Deutschland Pfandbriefe, getätigt.

Für die Geldpolitik des Eurosystems war dies rückblickend ein Paradigmenwechsel. Erstmals stellte das Eurosystem Zentralbankgeld nicht nur über revolvierende Kredite, sondern auch über Wertpapierkäufe bereit.

3.2 Phase 2 – Staatsschuldenkrise: Gezielte Staatsanleihekäufe prägend

Im Zuge der Staatsschuldenkrise wurden zwischen 2010 und 2012 erstmals auch Staatsanleihen gekauft. An den Finanzmärkten war das Vertrauen in die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen einiger Länder des Euroraums geschwunden. Resultat war ein Käuferstreik für deren Staatsanleihen. Die Risikoprämien stiegen massiv an und erhöhten das Zinsniveau. Über Ansteckungseffekte waren auch andere Marktsegmente, Banken, Unternehmen und Privathaushalte dieser Länder betroffen.

Der EZB-Rat stellte Störungen an den Wertpapiermärkten fest und betrachtete überdies den Transmissionsmechanismus als gestört. Zur Wiederherstellung der geldpolitischen Transmission sollte das sogenannte Securities Markets Programme (SMP) dienen. Dahinter verbargen sich gezielte Käufe von Anleihen bonitätsschwacher Länder, um deren Renditen zu senken.

Die Bundesbank hat solche selektiven Käufe stets abgelehnt, weil sie zu einer gefährlichen Vermischung der Geldpolitik und der Fiskalpolitik führten und es für das Eurosystem sehr schwer war, den fundamental gerechtfertigten Zins für Staatsanleihen zu bestimmen.

Später entschied der EZB-Rat, die Kreditvergabe der Banken durch zusätzliche Maßnahmen zu fördern:

  • durch ein weiteres Kaufprogramm für gedeckte Bankschuldverschreibungen,
  • durch zwei Kredite an die Banken mit einer Dauer von bis zu drei Jahren im Vollzuteilungsmodus,
  • und durch die Senkung des Mindestreservesatzes von 2% auf 1% der mindestreservepflichtigen Verbindlichkeiten.

Die Maßnahmen sorgten für weiteres Zentralbankgeld. Banken (insbesondere der Peripherie) fragten vor allem die beiden Dreijahreskredite wegen attraktiver Konditionen sehr stark nach. Zudem ließen sich mit ihnen Einlageabflüsse und Probleme bei der Refinanzierung über den Kapitalmarkt kompensieren.

Die Banken im Euroraum deckten sich im Ergebnis mit langlaufenden Zentralbankkrediten in Höhe von etwa einer Billion Euro ein. Dieses Zentralbankgeld wurde zum einen als Sicherheitsreserve genutzt. Zugleich wurde die Liquidität aber von Banken in der Peripherie auch dafür verwendet, höher rentierliche Anleihen ihrer Staaten zu kaufen.

Das war insofern kontraproduktiv, weil es die ohnehin schon enge Verflechtung von Banken und Staaten im Euroraum, den sogenannten "Sovereign-Bank Nexus", noch verstärkte, der sich in der Krise gerade als Brandbeschleuniger erwiesen hatten. Denn strauchelnde Banken und wankende Staaten hatten sich gegenseitig nach unten gezogen.

Die Bilanzsumme des Eurosystems stieg bis Mitte 2012 auf mehr als drei Billionen Euro, bei einer Überschussliquidität von bis zu etwa 800 Mrd Euro.

Mit diesen Maßnahmen wurden die Zweifel an der Schuldentragfähigkeit einzelner Euro-Staaten aber nicht beseitigt. Weshalb EZB-Präsident Draghi im Sommer 2012 ankündigte, dass das Eurosystem notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten kaufen würde.

Das damit verbundene OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) wurde von der Bundesbank aus den gleichen Gründen abgelehnt, wie das SMP-Programm. Zumal es für die Wirkung des Programms nicht darauf ankam, dass es bis heute nicht aktiviert wurde. Allein die Aussicht auf eine entschiedene Intervention des Eurosystems veränderte die Wahrnehmung an den Märkten. Diese öffneten sich teils wieder, auch für die Banken.

Die Überschussliquidität ging ab Sommer 2012 bis Anfang 2014 auf etwa 100 Mrd Euro zurück (wegen kontinuierlicher Rückzahlung der Dreijahreskredite). Insofern war die Überschussliquidität zwischen 2008 und 2014 zeitweise auch ein Krisenindikator.

3.3 Phase 3 – Schwache Inflationsentwicklung: Credit Easing und Quantitative Easing im Fokus

Nach dem Abebben der Staatsschuldenkrise forderte eine schwache Inflationsentwicklung den EZB-Rat. Von Herbst 2012 bis Mitte 2014 sank die Inflationsrate im Euroraum von 2,5% auf 0,5% und erreichte ihren Tiefpunkt mit -0,6% im Januar 2015. Zwar spielten anhaltend rückläufige Energiepreise dabei eine wichtige Rolle. Aber auch der binnenwirtschaftliche Preisdruck ließ merklich nach.

Vor diesem Hintergrund verfolgte der EZB-Rat ab Juni 2014 das Ziel, mit einer noch lockereren Geldpolitik den Wirtschaftsaufschwung im Euroraum zu unterstützen und so gegen den zu geringen Preisauftrieb vorzugehen.

Um die Finanzierungsbedingungen von Banken und Realwirtschaft zu unterstützen, dem sogenannten "Credit Easing", setzte das Eurosystem auf

  • gezielte längerfristige Kredite mit bis zu vier Jahren Laufzeit an Banken, wobei der Kreditbetrag vom individuellen Kreditbestand bzw. von der Kreditentwicklung an den Privatsektor abhing, bei extrem günstigen, teils negativen Zinsen;
  • mehrere Wertpapier-Kaufprogramme: ein weiteres Kaufprogramm für gedeckte Bankschuldverschreibungen (CBPP3); ein Kaufprogramm für Verbriefungen (ABSPP); und ein Kaufprogramm für Unternehmensanleihen (CSPP);
  • sowie den "zukunftsgerichteten Hinweis", dass die Vollzuteilung bis Ende 2017 fortgesetzt wird.

Die englische Übersetzung für "zukunftsgerichteten Hinweis" ist Forward Guidance. Damit zielt das Eurosystem auf die Erwartungen zur künftigen Geldpolitik. Erwartungen prägen etwa die Zinsentwicklung an den Märkten bisweilen stärker als die Maßnahmen selbst.

Der EZB-Rat hatte die Forward Guidance erstmals 2013 eingesetzt. Zuvor hatte der EZB-Rat nicht derart deutlich offengelegt, was er auf der Basis der damals vorliegenden Informationen für die künftige Ausrichtung der Geldpolitik erwartete.

Obgleich er sich damit nicht bedingungslos auf einen künftigen Kurs festlegte, stellte die Forward Guidance dennoch einen Paradigmenwechsel dar. Ziel des EZB-Rats war es dabei stärker Einfluss auf die Zinssätze jenseits des Kurzfristbereichs Einfluss zu nehmen.

Um die schwache Preisentwicklung zu stützen, dient vor allem das großvolumige Kaufprogramm für Staatsanleihen im Euroraum (PSPP). Anders als bei SMP – und bei OMT vorgesehen – erwirbt dabei jede nationale Zentralbank des Eurosystems einen begrenzten Anteil der Staatsanleihen ihres Landes, und mögliche Verluste aus dem Programm werden nicht auf alle Notenbanken des Eurosystems umgelegt.

Das Eurosystem kauft somit gerade nicht nur Anleihen bestimmter, bonitätsschwächerer Länder, und daher lehnt die Bundesbank solche Käufe nicht per se ab, sieht sie aber auch nur als reines Notfallinstrument.

Das Kaufprogramm für Staatsanleihen wird auch als "Quantitative Easing" (QE), auf Deutsch "Quantitative Lockerung", bezeichnet. Lockerung bezieht sich dabei auf die große Menge des so geschaffenen Zentralbankgelds.

Alle neuen Kaufprogramme (CBPP3, ABSPP, PSPP und CSPP) sind unter dem Kürzel APP (expanded Asset Purchase Programme) zusammengefasst. Das APP wird auf der Leitzinsseite unterstützt durch einen negativen Einlagesatz (negativ seit Juni 2014, derzeit -0,4%), bei einem auf 0% gesunkenen Hauptrefinanzierungssatz (seit März 2016).

Zusätzlich gilt wiederum die Forward Guidance. Dieser zukunftsgerichtete Hinweis besagt mittlerweile, dass das Zinsgefüge des Eurosystems noch eine Zeit lang auf aktuellem Stand bleibt, auch nach Ende der Netto-Wertpapierkäufe.

Der negative Einlagesatz bewirkt, dass das Halten von Überschussliquidität die Banken Geld kostet. Sowohl bei der Zentralbank als auch am Geldmarkt, denn dort orientieren sich die Zinsen wie erwähnt am Einlagesatz.

Die Erlöse aus dem APP sollen Banken und Anleger in Kredite und andere risikoreichere Anlageformen umschichten – und damit auch die Renditen an Märkten senken, auf die das APP nicht direkt abzielt. Diesen Wirkungskanal nennen wir Portfolio Rebalancing. Daneben haben die Wertpapierkäufe des Eurosystems weitere Effekte:

  • den Signaleffekt, dass das Eurosystem weiterhin Niedrigzinspolitik betreibt. Dies soll den Investoren Sicherheit bei ihren Entscheidungen geben.
  • den direkten Effekt sinkender Renditen an begünstigten und benachbarten Finanzmärkten.

Alle Wirkungskanäle zusammen sollen die Finanzierungsbedingungen verbessern – was sie in gewissem Ausmaß auch getan haben. Die Kreditvergabe hat sich seit ihrem Tiefpunkt Anfang 2014 deutlich erholt, das Gleiche gilt für die Geldmenge. Und auch die Preise steigen wieder stärker – zumal, wenn man durch die energiepreisbedingten Schwankungen hindurch schaut.

Der Preis dafür ist allerdings hoch: Insgesamt belaufen sich die seit Juni 2014 initiierten Wertpapierkaufprogramme derzeit auf etwa 2 Billionen Euro. Davon machen Staatsanleihen fast 1,7 Billionen Euro aus. Die Bilanzsumme stieg seit Juni 2014 von 2,2 auf 4,2 Billionen Euro. Die Überschussliquidität, also das "zu viel" an Zentralbankgeld, beläuft sich dabei momentan auf etwa 1,7 Billionen Euro.

Mit diesen Käufen hat sich die europäische Geldpolitik weit auf unbekanntes Terrain vorgewagt. Die Notenbanken des Eurosystems sind inzwischen die größten Gläubiger ihrer Mitgliedstaaten. Die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik, die gerade in einer Währungsunion so essenziell ist, verschwimmt weiter. Die Finanzierungsbedingungen der Staaten hängen stärker am Handeln der Notenbanken, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Man muss kein Schwarzseher sein, wenn man befürchtet, es könne politischer Druck entstehen, länger an der lockeren Geldpolitik festzuhalten als aus Sicht der Preisstabilität notwendig.

4 Wie könnte es weitergehen?

Meine Damen und Herren,

wie könnte es nun weitergehen?

Um im Bild des Bergwanderns zu bleiben: Der EZB-Rat ist der Bergführer. Er allein bestimmt den Pfad. Dazu gehört natürlich auch, ob und wenn ja, wann er eine geldpolitische Normalisierung für angemessen hält. Die Rahmenbedingungen dafür werden im Herbst neu ausgelotet.

Das aktuelle Umfeld öffnet jedenfalls die Perspektive, geldpolitisch die Zügel nicht mehr weiter lockern zu müssen. Die Wirtschaftserholung dauert an und die Risiken sind weitgehend ausgeglichen. Die politischen Risiken sind zumindest im Euroraum geringer und das Bankensystem stabiler geworden. Das Eurosystem befindet sich im weltweiten Geleitzug einer weniger expansiven Geldpolitik. Und die Preisaussichten sind aufwärts gerichtet, die Risiken einer Deflation werden allgemein als sehr gering eingeschätzt.

Gleichzeitig dürfte der Grenznutzen weiterer Ankäufe immer geringer werden. Die Marktteilnehmer selbst stellen sich bereits auf eine gewisse "Normalisierung" ein.

Wann es zu einer solchen Normalisierung kommt und wie sie abläuft, wird der EZB-Rat entscheiden. Darüber kann und will ich nicht spekulieren.

Ich möchte mich darauf beschränken zu skizzieren, wie technisch verfahren werden könnte, wenn der EZB-Rat zum Entschluss käme, dass es an der Zeit ist die Geldpolitik zu normalisieren. Die Fed hat sich beispielsweise schon 2011 mit Prinzipien einer Normalisierung ihrer Geldpolitik beschäftigt, ohne dass diese unmittelbar bevorgestanden hätte.

In der öffentlichen Debatte um die Normalisierung im Euro-Raum beziehen sich manche auf das sogenannte "Tapering". Einige malen dabei dessen Marktauswirkungen in ziemlich dunklen Farben. Lassen sie uns daher einmal hinterfragen, was eigentlich dahinter steckt.

Der Begriff "Tapering" ist eng mit der US-Geldpolitik verknüpft. Ich möchte daher lieber vom Ausschleichen der Nettokäufe sprechen. "Ausschleichen" ist ein zwar ungewohntes, aber eigentlich sehr schönes und passendes deutsches Wort. Denn man verwendet es beim Absetzen eines Medikaments, wenn seine Dosis sukzessiv und damit schonend verringert wird.

Übertragen auf die Geldpolitik ist gemeint, dass das Eurosystem seine Netto-Wertpapierkäufe zurückfährt. Eben nicht mit einem Paukenschlag über Nacht, sondern klar vorab kommuniziert, schrittweise und möglichst marktschonend.

Wohlgemerkt: Es geht beim Ausschleichen der Nettokäufe nicht darum, den Bestand der hohen Überschussliquidität zurückzufahren, die mit Wertpapierkäufen und gezielten längerfristigen Krediten entstanden ist.

Es geht um einen geringeren Zuwachs an Zentralbankgeld. Also um etwas weniger vom monatlichen Mehr. Ein Ausschleichen der Nettokäufe ist für sich genommen noch keine restriktive Geldpolitik. Im Gegenteil: mit jedem weiteren Nettokauf wird die ohnehin schon expansive Geldpolitik noch weiter gelockert. Zu einer Reduzierung der Überschussliquidität käme es erst, wenn das Eurosystem

  1. die monatlichen Ankäufe einstellte,
  2. die fälligen Erlöse der Wertpapiere nicht mehr reinvestierte (wie es derzeit geschieht),
  3. keine neuen liquiditätsschaffenden Maßnahmen ergriffe.

Das würde für viele sehr restriktiv anmuten. Aber sogar unter diesen Annahmen würde der Bankensektor (bei sonst gleichen Bedingungen) noch mehrere Jahre mit weit mehr Zentralbankgeld leben als er eigentlich brauchte. Es kann also nicht in erster Linie der Geldmarkt sein, der manchen Sorge über ein Ausschleichen der Nettokäufe bereitet. Was ist es dann?

Ein Ausschleichen der Nettokäufe steht unter dem Verdacht, mehr Volatilität und einen Renditeanstieg an jenen Kapitalmarktsegmenten auszulösen, an denen die geldpolitischen Ankaufprogramme aktiv sind. Über Ansteckungseffekte könnte es Auswirkungen aber auch an benachbarten Marktsegmenten geben. Zwar haben einige Marktteilnehmer für 2018 schon auf der Rechnung, dass die Wertpapierkäufe des Eurosystems weniger werden.

Die exakten Marktreaktionen auf ein Ausschleichen der Nettokäufe sind allerdings schwer abschätzbar. Mit einem gewissen Grad an Volatilität muss gerechnet werden. Das liegt aber in der Natur der Sache, wenn Märkte ein neues Gleichgewicht suchen.

Mit einer behutsamen Kommunikation kann das Eurosystem größeren Verwerfungen und Turbulenzen entgegenwirken. Außerdem können Marktkräfte, die zuletzt vom Eurosystem beeinträchtigt wurden, im Zuge des Ausschleichens der Nettokäufe zu einem gewissen Grad stabilisierend auf die Zinsentwicklung wirken. Den Marktkräften sollten wir wieder mehr Vertrauen schenken.

Für die Bundesbank kommt es vor allem darauf an, die Staatsanleihekäufe wegen ihrer besonders gravierenden Nebenwirkungen zügig auslaufen zu lassen.

Aber selbst unter dieser Prämisse gilt: Es sind viele Szenarien und viele Varianten denkbar, wie ein einmal beschlossenes Auslaufen des Anleihekaufprogramms konkret von statten gehen kann.

5 Schlussbemerkungen

Meine Damen und Herren,

im Laufe einer Bergwanderung wünscht sich jeder irgendwann, den beschwerlichsten Teil hinter sich zu lassen und das Ziel in Sichtweite zu haben.

So weit ist es allerdings noch nicht. Wir befinden uns noch am Berg und es liegen weitere Etappen vor uns. Auch ist noch nicht klar, welcher der Pässe gewählt wird.

Lassen Sie mich dennoch an dieser Wegmarke schließen und unsere Bergtour der operativen Geldpolitik kurz zusammenfassen:

  1. Von einem ruhigen Spaziergang sind wir noch ein Stück entfernt. Und die Bergtour hat uns schon einiges abverlangt. Wir mussten gewohnte Pfade verlassen und unkonventionelle Geldpolitik betreiben. Dabei hatten und haben wir jedoch stets das Stabilitätsziel fest im Blick.
  2. Die Bedingungen für eine Anpassung der Route sind gut. Die Wirtschaftserholung dauert an, die politischen Risiken sind zumindest im Euroraum geringer und das Finanzsystem robuster geworden. Die Preisaussichten sind aufwärts gerichtet, die Risiken einer Deflation gelten als sehr gering.
  3. Über den künftigen geldpolitischen Kurs und seine Umsetzung entscheidet der EZB-Rat. Wie ein Bergführer kann er abhängig von der Großwetterlage verschiedene Routen nehmen. Sie können sich in Richtung, Länge oder Neigung unterscheiden. Und darin, ob sie gerade oder geschwungen sind.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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