Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte – besonders in der Welt der Märkte. Wer sich den langfristigen Chart des S&P 500 im Vergleich zu Gold ansieht, erkennt schnell: Volatilität ist kein Zufall, sie ist seit Jahrzehnten Teil eines Systems, das 1971 grundlegend verändert wurde.
Damals, im August 1971, kappte die US-Regierung unter Präsident Richard Nixon das letzte Band zur realen Gelddeckung: Das Ende des Goldstandards. Damit begann eine neue Ära – und eine ganz andere Geschichte für die Finanzmärkte. Vorbei war die Zeit, in der Geld an etwas Reales gebunden war. Stattdessen wurde es beliebig vermehrbar, eine Art „Funny Money“, das seither alles finanziert – von Infrastruktur bis zu Spekulationsblasen.
Seit dem Bruch mit dem Goldstandard hat sich die Börse von der realen Wirtschaft entkoppelt. Produktivität und harte Arbeit wurden durch finanzielle Konstrukte ersetzt: Leverage, Kredite, Zinsmanagement. Die Devise lautete: Nimm einen Kredit auf, baue etwas – und sie werden kommen. Und wenn nicht: Nimm noch einen Kredit.
Der S&P 500 zeigt diesen Wandel in seiner ganzen Wucht. Ein Aufwärtstrend mit Unterbrechungen, durchzogen von immer heftigeren Ausschlägen – aber eben auch von beispielloser Wertschöpfung. Doch jeder Zyklus der Übertreibung brachte auch das Risiko des Zusammenbruchs mit sich. Und wann immer eine natürliche deflationäre Phase einsetzte – also die Wirtschaft zur Ruhe kommen wollte –, trat ein geldpolitischer „Held“ auf den Plan, der das System rettete. Mit neuen Maßnahmen, neuen Schulden und neuen Risiken.
Die vielleicht eindrucksvollste dieser Interventionen war Jerome Powells Rettungsaktion im Frühjahr 2020. Ein massives Inflationspaket wurde geschnürt, um die Pandemie-Folgen zu bekämpfen – mit Erfolg, aber zu welchem Preis? Die Folge war ein Umschwung des Makroklimas: Vom deflationären Jahrzehnt hin zu einer neuen, inflationär geprägten Ära, die zunehmend nach Stagflation aussieht – also nach einer Mischung aus Preissteigerungen und Wachstumsschwäche.
Ein entscheidender Marker dafür ist der Langfristtrend der US-Staatsanleihenrenditen – die sogenannte „Treasury Yield Continuum“. Jahrzehntelang sanken die Zinsen, jede Krise konnte mit billigerem Geld bekämpft werden. Doch dieser Trend endete abrupt im Jahr 2022. Seither steigen die Renditen langfristig – und das bedeutet: Die Politik verliert an Spielraum.
Was früher durch Zins- und Liquiditätsspritzen bekämpft wurde, lässt sich heute nicht mehr so einfach glätten. Inflationsphasen dauern länger, geldpolitische Gegenmaßnahmen müssen härter und konsequenter durchgezogen werden. Die lockere, beinahe verspielte Ära der 2000er bis 2010er ist vorbei. Die aktuellen Makrosignale sind rauer, direkter – und lassen keinen Zweifel zu: Es gelten neue Regeln.
Ein Blick auf die Zinsstrukturkurven (yield curves) verstärkt diesen Eindruck. Derzeit steilen sie sich wieder auf, was normalerweise für eine gesunde Wirtschaft spricht. Doch diesmal steigt die Kurve nicht wegen realem Wachstum, sondern wegen steigender Inflationserwartungen bei gleichzeitigem Konjunkturrisiko. Das Ergebnis: Stagflation pur.
Ein inflationär getriebenes Steepening – also das Auseinanderlaufen von Kurz- und Langfristzinsen – verbunden mit dem Risiko plötzlicher Deflationseinbrüche, ergibt genau das Bild, das viele Marktbeobachter aktuell erwarten: Volatilität, Unterbrechungen, Richtungswechsel – ein unsicherer Makroboden.
Was heißt das für Anlegerinnen und Anleger? Zunächst: Die alte Welt kehrt nicht zurück. Seit dem Bruch des Zinstrends 2022 lebt die Finanzwelt in einer neuen Phase. Wer weiter investieren möchte, muss sich auf dieses Umfeld einstellen – nicht nur taktisch, sondern auch strukturell. Das bedeutet: Neue Bewertungsmaßstäbe, neue Reaktionsmuster, andere Erwartungen an Notenbanken, andere Risiken bei Anleihen und Aktien.