Kerninflation bei 2 % – warum die Fed trotzdem stillhält

Veröffentlicht am 23.06.2025, 07:12

Starten wir diesen Makro-Artikel mit einem kleinen Ratespiel.

Unten sehen Sie zwei Tabellen, jeweils mit drei aufeinanderfolgenden Monatswerten für den Kern-VPI in den USA – inklusive der Unterkategorien Kerngüter, Kerndienstleistungen und einer eigenen Zeile für den sogenannten Superkern-VPI.

Die Frage ist: Können Sie – ganz ohne Bloomberg oder Google (NASDAQ:GOOGL) – erkennen, welche der beiden 3-Monats-Phasen aus der Zeit vor der Pandemie stammt und welche die aktuelle Entwicklung zeigt?

VPI -Daten

Ich selbst hätte es nicht erkannt – und selbst einige Hedgefonds-PMs, denen ich dieselbe Frage gestellt habe, lagen am Ende daneben.

In beiden Fällen lag die monatliche Kerninflationsrate des Verbraucherpreisindex bei durchschnittlich 0,15 bis 0,20 %. Das entspricht ziemlich genau dem jährlichen Inflationsziel von 2 %. Auch die Teilkomponenten zeigten ein ähnliches Bild: nahezu keine Inflation bei Gütern, und sowohl Kern- als auch Superkern-VPI signalisierten eher moderaten Preisdruck.

Die Auflösung:
Phase 2 stammt aus dem Zeitraum Juni bis August 2019,
Phase 1 zeigt den Kern-VPI für März bis Mai 2025.

Das sollte man sich vielleicht kurz auf der Zunge zergehen lassen.

Anfang 2019 leitete Jerome Powell mit einer klaren Rede die Wende ein: Der Straffungszyklus sei beendet, und die Fed wolle sich künftig stärker an den finanziellen Bedingungen orientieren. Die Geldpolitik schwenkte damit klar in Richtung Lockerung.

Damals – im Sommer 2019 – lag die Kerninflation im Monatsdurchschnitt bei 0,2 % (also höher als heute), die Arbeitslosenquote bei stabilen 3,7 % (niedriger als aktuell). Die Fed senkte im dritten Quartal 2019 ihren Leitzins von 2,25 % auf 1,50 %.

Und heute? Die letzten drei Monatsdaten der Kerninflation lagen bei durchschnittlich 0,14 %. Die Dienstleistungsinflation zeigt Schwäche, die Arbeitslosenquote steigt stetig und hat 4,24 % erreicht, und die Fed Funds Rate liegt gut 200 Basispunkte über dem Niveau von damals.

Gut möglich, dass sich die Fed schon bald wieder stärker in Richtung einer lockereren Geldpolitik bewegt.

Gerade mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen rund um Zölle und Handelsstreitigkeiten lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten – und sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Kerngüter nur etwa 20 % des gesamten Kern-VPI-Warenkorbs ausmachen.

Das eigentliche Thema bei der – wenn auch nachlassenden – Inflation liegt woanders: Dienstleistungen und der Bereich Wohnen bleiben die großen Preistreiber.

Das Team von WisdomTree hat in diesem Zusammenhang eine eigene Echtzeit-Kerninflationsmetrik entwickelt. Der Clou: Statt der üblichen, zeitlich verzögerten VPI-Messung für den Wohnbereich wird hier die tatsächliche Wohnkostenentwicklung berücksichtigt:

Trailing 12M Core CPI

Der Kern-VPI auf Basis der Echtzeit-Inflation (blau) liegt seit inzwischen 18 Monaten ziemlich stabil bei rund 2 %. Trotzdem hat der nachlaufende Charakter der offiziellen Inflationsmessung (grau) dafür gesorgt, dass der veröffentlichte Kern-VPI deutlich höher ausfällt – was der Fed wenig Spielraum für Zinssenkungen lässt.

Ein wesentlicher Punkt ist die verzögerte Entspannung bei der Wohnkosteninflation. Diese scheint sich weiter fortzusetzen – was bedeutet: Der offizielle Kern-VPI dürfte mit zeitlicher Verzögerung weiter sinken. Das ist relevant, denn der Bereich Wohnen macht rund 35 bis 40 % des Kern-VPI-Warenkorbs aus.

Wichtig dabei: Die Verwendung von Echtzeitdaten bei der Wohninflation wirkt in beide Richtungen.

Im rot markierten Bereich Mitte 2021 war der Immobilienmarkt bereits extrem überhitzt – aber in der offiziellen Inflationsstatistik war davon noch kaum etwas zu sehen. Genau das hat damals dazu beigetragen, dass die Fed mit den Zinserhöhungen zu spät dran war.

Heute – im Jahr 2025 – haben wir die umgekehrte Situation. Doch die letzten drei Veröffentlichungen des Kernverbraucherpreisindex deuten darauf hin, dass eine Lockerung der Geldpolitik realistischer wird.

Die Fed rückt also wieder in den Fokus. Wer genau hinschaut, könnte bald erkennen, wann dort die Wende kommt.

Der Titel dieses Artikels lautet „null komma null“ – und in Bezug auf die Überinflation kann man heute tatsächlich sagen: Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie liegt sie bei genau null komma null.

Doch es gibt noch ein zweites „null komma null“, das für Märkte und Vermögensallokation eine zentrale Rolle spielt.

Ein enger Freund – Hedgefonds-Manager, Mentor und Marktbeobachter – erzählte kürzlich von einem Gespräch mit einem deutschen Pensionsfondsmanager. Die Frage war, wie viel zusätzliche USD-Absicherung er vorgenommen habe, angesichts der gestörten Korrelation zwischen EUR/USD und Risikoanlagen.

Die Antwort: „Null komma null.“ Keine zusätzliche Absicherung.

Und das ist bezeichnend. Viele Pensionsfonds und Versicherer sind nach wie vor stark im USD engagiert – und leiden weiter unter den Folgen.

FX-Risiko

Der Grund dafür ist simpel: Die Kosten für Währungsabsicherungen sind nach wie vor hoch – und Pensionskassen sowie Versicherungen müssen bestimmte Renditeziele erreichen.

Stellen Sie sich vor: Eine typische Pensionskasse rechnet mit einer Zielrendite von 6,5 bis 7,0 %. Wenn Sie in der Schweiz oder in Japan sitzen, kostet es aktuell rund 3,5 bis 4,0 % pro Jahr, um Ihr USD/CHF- bzw. USD/JPY-Exposure für die nächsten 12 Monate abzusichern.

Das ist ein ziemlich hoher negativer Carry – und genau der hält viele Fondsmanager davon ab, überhaupt abzusichern.

Aber:

Wenn wir ein Szenario bekommen, in dem

  • die Fed auf Lockerung umschwenkt und beginnt, die Zinsen zu senken,

  • die USD-Hedging-Kosten deutlich sinken,

  • und der Dollar weiter an Wert verliert – was bei ausländischen Fonds unangenehme Erinnerungen an ungesicherte USD-Positionen wachruft,

…dann könnte die Nachfrage nach USD-Absicherungen durch große ausländische Investoren („Wale“) sehr schnell zunehmen.

Solche Absicherungsströme würden die Dollar-Schwäche erheblich beschleunigen.

Wenn es so weit kommt, sind die Folgen für den Markt ziemlich klar:

Short den Nenner, long den Zähler.

Der USD ist in den meisten globalen Finanzanlagen der Nenner. Eine Kombination aus Fed-Pivot, politischem Druck (z. B. Trump) und Hedging-Aktivitäten würde genau diesen Nenner unter Druck setzen.

Und was ist mit dem „Zähler“ – also dem, was man gegenüber dem USD kaufen sollte?

  • FX: Währungen, die typischerweise in Absicherungsflüsse involviert sind – etwa EUR, CHF, JPY, AUD, CAD usw.

  • Aktien: Sektoren und Länder mit hoher Preissetzungsmacht (z. B. Technologie, Large Caps) oder solche mit Rohstoffbezug.

  • Rohstoffe: Long-Positionen in Metallen wie Gold, Silber und Co.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf The Macro Compass veröffentlicht. Werden Sie Teil der lebendigen Community von Makro-Investoren, Asset Allocators und Hedge-Fonds - finden Sie heraus, welche Abo-Stufe am besten zu Ihnen passt, indem Sie auf diesen Link klicken.

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