Die Chefredakteurin von Spiegel Online, Barbara Hans, hat sich von ihrem eigenen Autor Jan Fleischhauer distanziert, ohne dies in Deutschland öffentlich zu thematisieren. Fleischhauer hatte in dem Spiegel-Artikel „Die Schnorrer von Rom“ unter anderem die Situation in Italien wie folgt charakterisiert:
„Wie soll man eine Nation nennen, die erst die Hand aufhält, um sich ihr schönes Leben von anderen finanzieren zu lassen – und dann ihren Geldgebern droht, wenn diese die Rückzahlung der Schulden anmahnen?“
Und Fleischhauer weiter:
„Wie soll man das Verhalten einer Nation nennen, die erst die Hand aufhält, um sich ihr sprichwörtliches dolce far niente von anderen finanzieren zu lassen – und dann damit droht, den Geldgebern den Knüppel über den Kopf zu ziehen, wenn diese auf einer Begleichung der Schuld bestehen? Bettelei wäre der falsche Begriff. Der Bettler sagt wenigstens Danke, wenn man ihm den Beutel füllt. Aggressives Schnorren trifft die Sache schon eher. Tatsächlich läuft die Sache auf eine Erpressung hinaus. Entweder ihr erfüllt unsere Forderungen oder wir lassen den ganzen Laden auffliegen: Das ist die unausgesprochene Drohung hinter dem Entschluss, für Italien ein Ende aller Schuldenregeln einzuläuten“.
Fleischhauer betont, dass ein italienischer Durchschnittshaushalt reicher sei als ein deutscher Durchschnittshaushalt (aufgrund der höheren Quote an Immobilienbesitz in Italien), sodass die Forderungen der Parteien Cinque Stelle und Lega nach Schuldenentlastung umso unverständlicher erscheinen würden. Fleischhauer schließt dann den Artikel mit den Worten:
„Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen über ihre Verhältnisse leben. Meinetwegen sollen sie in Italien weiterhin Steuervermeidung als Volkssport betreiben. Ich finde es nur unanständig, wenn man die Kosten für politische Entscheidungen Fremden aufbürdet, die eine ganz andere Vorstellung von Politik haben und dort, wo sie wählen können, auch entsprechend abstimmen. Mit meinem Verständnis von Demokratie lässt sich das schwer vereinbaren. Aber vielleicht muss man das italienische Abenteuer als ein Experiment in postnationaler Politik verstehen. Keine Nation, die etwas auf sich hält, verlangt Hilfe von anderen, wenn sie sich selber helfen kann. Wer will schon als Schnorrer gelten? Die Italiener, so scheint es, haben diese Form des Nationalstolzes überwunden.“
Nun hat gestern die führende Nachrichtenagentur Italiens, Ansa (Agenzia Nazionale Stampa Associata), in einer kurzen Meldung berichtet, dass sich die Chefredakteurin des Spiegel, Barbara Hans (hier eine Selbstvorstellung der jetzigen Online Chefredakteurin), von dem Artikel Fleischhauers distanziere – der Artikel entspreche nicht der offiziellen Meinung des Spiegels. Voraus gegangen war offenkundig, dass Italiens Staatspräsident Mattarella höchstpersönlich den Artikel als „unakzeptabel“ und grotesk“ bezeichnet hat. So lautet die gestrige Meldung von Ansa:
„Der Spiegel columnist’s piece on „Rome scroungers“ does not reflect the German weekly’s official view, online editor Barbara Hans told ANSA Thursday after President Sergio Mattarella spoke of „unacceptable and grotesque“ comments. Hans said the column written by Jan Fleischhauer was „provocatory and conservative“ as a rule.“
Man kann vermuten, dass sich Mattarella persönlich bei der Leitung des Spiegels beschwert haben dürfte, woraufhin sich Chefredakteurin Barbara Hans offenkundig genötigt sah, sich für den Artikel zu entschuldigen und sich von dessen Inhalt, mithin als gegenüber dem eigenen Auto Fleischhauer, zu distanzieren!
Frappierend daran ist besonders, dass weder der Spiegel selbst über diese Distanzierung berichtet, noch anderer deutsche Presseorgane, selbst bei Google (NASDAQ:GOOGL) findet man (in der deutschen Version) nichts darüber. Warum eigentlich nicht?
In italienischen Medien hatte der Artikel Fleischhauers schon zuvor hohe Wellen geschlagen, so in dem Artikel des „Il Giornale“ mit dem Titel „Die Deutschen attackieren uns“ („Ora i tedeschi ci attaccano: „Italiani scrocconi aggressivi“) oder etwa auch im „Corriere della Sera“.
Die nun erfolgte Kritik Mattarellas an dem Artikel kommt in einer Situation, in der der italienische Präsident selbst stark unter Druck ist in Italien, nachdem er zwischenzeitlich eine Regierungskoalition zwischen Lega und Cnque Stelle unterband aufgrund der Nominierung des Euro-kritischen Paolo Savona als designierten Wirtschaftsminister – und dann versuchte, eine Experten-Regierung unter dem ehemaligen IWF-Mitarbeiter Cottarelli einzusetzen. Lega und Cinque Stelle sahen darin eine Art Verrat am Votum der italienischen Wähler. Mattarella, so die Kritiker, sei vor allem ein Erfüllungsgehilfe Berlins.
Es handelt sich also um einen politisch höchst brisanten Vorgang, der in Deutschland medial überhaupt nicht stattfindet. Unter Gesichtspunkten der Medien-Transparenz hätte der Spiegel eigentlich die Pflicht, auch die deutsche Öffentlichkeit und nicht nur den italienischen Staatspräsidenten zu informieren, dass man sich von eigenen Inhalten distanziert! Jenseits der Frage, ob eine solche Distanzierung wirklich geboten ist..
Jan Fleischhauer
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