Die Märkte haben vorgestern den größten Ölpreis-Anstieg seit dem Golfkrieg 1991 erlebt. Daher kann man durchaus von einem „Ölpreis-Schock“ sprechen. Doch einen „Ölpreis-Schock am Aktienmarkt“ zu auszurufen, wie es einzelne Medien getan haben, ist eine unnötige Übertreibung. Denn schließlich hat zum Beispiel der DAX vorgestern im Tagestief kaum mehr als 0,8 % verloren – nach zuvor acht (!) Gewinntagen in Folge. Selbst ohne den dramatischen Anstieg der Ölpreise wäre ein solcher DAX-Verlust nach einer derartigen Serie völlig normal gewesen.
Und auch die Gefahr zu beschwören, dass es nun zu Versorgungsengpässen kommen könnte, wie es einige Medien getan haben, erscheint angesichts der hohen Ölreserven und Ölförderreserven diverser Länder deutlich verfrüht.
Unnötige Panikmache der Medien
Sicherlich, die Ölpreise sind nach dem vergangenen Wochenende aktuell das beherrschende Thema. Und daher darf man die Frage nach Versorgungsausfällen und -engpässen natürlich stellen bzw. aufgreifen und beantworten. Aber wie die Medien dabei mit reißerischen Überschriften im Internet nach Leser-Klicks fischen, ist wieder einmal völlig überzogen und beinahe lächerlich.
Märkte warten leicht verunsichert auf den Fed-Zinsentscheid
Zumal sich neben dem DAX auch die übrigen Märkten nur moderat bewegt haben. Einige Aktien haben natürlich unter dem Ölpreis-Schock gelitten (z. B. Luftfahrtunternehmen), andere aber in gleichem oder ähnlichem Maße profitiert (Öl-Konzerne). Und insgesamt lässt sich derzeit eher wieder die abwartende Haltung beobachten, welche die Märkte vor so wichtigen Ereignissen wie der heutigen Zinsentscheidung der US-Notenbank (Fed) meistens einnehmen.
Zinssenkung der US-Notenbank sicher und nötig?
Dabei könnte der anstehende Fed-Termin angesichts der nach wie vor hohen Zinssenkungserwartungen (siehe vorgestrige Börse-Intern) auch beruhigend auf das Marktgeschehen gewirkt haben. Ob diese Hoffnungen (oder aber auch die Zinssenkungen durch die US-Notenbank selbst) aktuell gerechtfertigt sind, darf mit Blick auf die jüngsten Konjunkturdaten und Entspannungssignale in Sachen Handelsstreit allerdings bezweifelt werden.
Eine Reihe positiver Konjunkturdaten aus den USA
So wurde zum Beispiel gestern gemeldet, dass die Industrieproduktion der USA im August um 0,6 % gegenüber dem Vormonat gestiegen ist. Und die Kapazitätsauslastung weist einen Wert von 77,9 % auf, nach 77,5 % im Juli. In der vergangener Woche wurde gemeldet, dass sich die Verbraucherstimmung gemäß der monatlichen Erhebung der Uni Michigan auf 92,0 Punkte erholt hat, nach dem deutlichen Rückgang auf 89,8 Zähler im Vormonat. Und die US-Einzelhandelsumsätze sind im August um 0,4 % zum Vormonat gestiegen, nach +0,8 % im Juli.
Die Konsumenten in den USA, die für 70 % der Wirtschaftsleistung des Landes und für 16 % der Weltwirtschaft verantwortlich sind, scheinen also weiterhin in guter Kauflaune zu sein. Bedarf es da einer erneuten Zinssenkung der US-Notenbank? Ich denke nicht. Zumal auch die jüngsten Arbeitsmarktdaten ordentlich ausgefallen sind. Die Arbeitslosenquote lag im August unverändert bei nur 3,7 %.
Und der Stellenaufbau war mit 130.000 zwar wieder etwas schwächer als im Monat zuvor, doch ein Wert von 100.000 reicht derzeit aus, um den Bevölkerungszuwachs zu kompensieren.
Im Hinblick auf die Inflation könnte eine weitere Zinssenkung problematisch seinUnd die Verbraucherpreise haben zwar im August „nur“ um 0,1 % zum Vormonat zugelegt, nach +0,3 % im Juli, wodurch die Jahresteuerung von 1,8 % auf 1,7 % nachgegeben hat, doch wenn die Ölpreise nun längere Zeit auf höherem Niveau bleiben oder im Falle einer Verschärfung der Situation im Nahen Osten sogar weiter zulegen, dann wird die Inflation, die aktuell nur knapp unter dem Ziel der US-Notenbank von 2 % liegt, sicherlich weiter ansteigen und gegebenenfalls das Fed-Ziel übertreffen. Das ist ausgerechnet bei der Kerninflation, bei der unter anderem die volatilen Ölpreise ausgeklammert sind, sogar schon der Fall. So ergaben sich bei den Preisen ohne Nahrungsmittel und Energie im August Veränderungsraten von +0,3 % zum Vormonat und +2,4 % zum Vorjahr, nach +0,3 % bzw. +2,2 % im Juli.
Die US-Notenbank könnte daher ein Problem bekommen, wenn sie durch weitere Zinssenkungen die Inflation anheizt und die Ölpreise diesen Effekt verstärken.
Deutliche Entspannungssignale im Handelsstreit zwischen China und den USA
Eine weitere Zinssenkung erscheint auch deshalb zum aktuellen Zeitpunkt unnötig, weil sich der Handelsstreit zwischen China und den USA jüngst deutlich entspannt hat. Nach neuesten Meldungen soll es zwischen Unterhändlern aus den USA und China am Donnerstag oder Freitag zu Gesprächen kommen. Anfang Oktober sollen diese dann mit einem Treffen von US-Finanzminister Steven Mnuchin und dem stellvertretenden chinesischen Ministerpräsidenten Liu He auf eine höhere Ebene gehoben werden. Bereits Anfang September gab es die Ankündigung, dass es Mitte September und Anfang Oktober zu neuen Verhandlungen kommen sollte.
Und bereits am Freitag vergangener Woche hieß es sogar, US-Präsident Donald Trump denke über einen übergangsweisen Deal im Handelsstreit mit China nach. Die Überlegungen sähen vor, neue Zölle auf chinesische Waren zeitlich zu verschieben oder rückgängig zu machen, wenn China im Gegenzug zu Zugeständnissen bereit ist. Zuvor hatte die US-Regierung bereits angekündigt, die für Anfang Oktober beschlossene Anhebung der Zölle auf chinesische Importe im Umfang von 250 Milliarden US-Dollar um zwei Wochen auf Mitte Oktober zu verschieben. Ursprünglich sollte der Zollsatz ab 1. Oktober von bislang 25 % auf 30 % erhöht werden. Nun soll dies erst zum 15. Oktober passieren.
US-Präsident Donald Trump teilte dazu auf Twitter mit, man habe sich zu diesem Schritt auf Bitten des chinesischen Vizeministerpräsidenten Liu He und angesichts der Tatsache entschlossen, dass die Volksrepublik am 1. Oktober ihr 70-jähriges Bestehen feiere. Allerdings dürfte dies auch eine Reaktion darauf gewesen sein, dass zuvor China eine Liste mit 16 Arten von US-Produkten vorgelegt hatte, die ab dem heutigen 17. September für ein Jahr von den chinesischen Zöllen ausgenommen werden.
Zudem hatte China angekündigt, den Import von Schweinefleisch und Sojabohnen aus den USA zu erleichtern. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete dazu, die Zölle auf einige landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den USA seien vorerst gestrichen, darunter auch auf Schweinefleisch und Soja. Am Vortag hatte Peking bereits angekündigt, den verstärkten Kauf von US-Agrarprodukten wie Schweinefleisch und Sojabohnen prüfen zu wollen.
Wenn es nun zu weiteren gegenseitigen Zugeständnissen kommt, zum Beispiel durch die Senkung oder Rücknahme von bereits eingeführten Zöllen, dann wäre eine heutige Senkung des Fed-Leitzinses völlig unnötig. Im Grunde müsste die US-Notenbank dann sogar über kurz oder lang die Zinssenkung der vorangegangenen FOMC-Sitzung rückgängig machen, weil diese laut der Fed nur ein Versicherungsschritt gegen die Handelskonflikte war.
Darum sind die Aktienmärkte gerade gefährdet
Als Fazit kann man aktuell sagen, dass die Märkte den Ölpreis-Schock ganz gut weggesteckt haben. Geschuldet ist dies einerseits der Tatsache, dass die Versorgung der Märkte mit Öl durch Ölförderreserven und Ölreserven gesichert ist. Und andererseits setzen die Märkte weiterhin darauf, dass die Fed heute eine weitere Zinssenkung verkündet, die aber angesichts jüngst ermutigender Konjunkturdaten aus den USA und einer Kerninflation, die mit steigender Tendenz bereits oberhalb des Fed-Ziels liegt, eigentlich gar nicht notwendig wäre.
Wenn die Ölpreise weiter steigen…
Für die Aktienmärkte bleibt aber dennoch Vorsicht geboten. Steigen die Ölpreise weiter, werden diese zu einer zunehmenden Belastung. Denn mit steigenden Ölpreisen erhöhen sich für viele Unternehmen die Rohstoff- und damit die Herstellungskosten. Und diese lassen sich nicht immer unmittelbar an die Kunden weiterreichen. Es besteht also die Gefahr sinkender Unternehmensgewinne - und damit fallender Aktienkurse. Der aktuelle Anstieg der Ölpreise ist aber noch nicht schlimm. Denn im April dieses Jahres lagen die Ölpreise höher als heute. Und das war auch kein großes Problem. Schlimmer wären erst deutlich höhere Ölpreise.
Wenn die US-Notenbank den Leitzins nicht senkt…
Ein kurzfristig größeres Problem wäre es, wenn die US-Notenbank heute auf eine Zinssenkung verzichtet. Denn dies dürfte die Aktienmärkte deutlich stärker belasten, weil dann die Zinssenkungsfantasien aus den Kursen ausgepreist werden müssen. Zudem muss man sagen, dass der Handelsstreit bislang trotz aller Gespräche am Ende doch immer weiter eskaliert ist. Es bleiben daher die aktuell geplanten Verhandlungsgespräche abzuwarten.
Aktienmärkte kurzfristig überkauft und vor wichtigen Widerständen
Und außerdem erscheinen die Aktienindizes kurzfristig überkauft. Sie haben in den vergangenen beiden Wochen ordentlich zugelegt und dadurch wieder wichtige Widerstandsbereiche angelaufen. Die US-Indizes stehen kurz vor ihren Allzeithochs, wie der folgende Chart des S&P 500 zeigt.
Und der DAX konnte das Potential seiner inversen Schulter-Kopf-Schulter-Formation (SKS) fast vollständig ausschöpfen.
Ein neuerlicher Rücksetzer erscheint daher aktuell wahrscheinlich. Vielleicht hat dieser gestern schon begonnen. Die Fortsetzung wird aber wohl vom heutigen Fed-Zinsentscheid abhängen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Sven Weisenhaus