Section 899: Kommt jetzt der Zoll auf ausländisches Anlegergeld?

Veröffentlicht am 20.06.2025, 07:48

Das Big Beautiful Bill hat kürzlich das Repräsentantenhaus passiert und liegt jetzt dem Senat zur Prüfung vor.

Die meisten Analysten haben sich vor allem auf den Teil konzentriert, der zusätzliche Staatsausgaben auf ein ohnehin schon hohes Defizit oben draufsetzt. Der wirklich interessante – und wahrscheinlich entscheidende – Teil des OBBB steckt allerdings deutlich tiefer im Text: versteckt in „Section 899“.

Section 899 ist der erste Schritt hin zu einer Art Zoll – allerdings nicht auf Waren, sondern auf Geld, das in die USA fließt. Eine Ergänzung zu den ohnehin viel diskutierten Handelszöllen also.

Was genau steckt also in Section 899 – dem möglichen ersten Schritt hin zu einem Kapitalzoll?

1) Worum geht’s? Section 899 – auch als „Rachegesetz“ bekannt – sieht eine Steuer auf passive Einkünfte vor, etwa auf Dividenden aus ausländischem Eigentum an US-Vermögenswerten. Betroffen sind Länder, die laut US-Finanzministerium „unfaire ausländische Steuern“ auf US-Unternehmen erheben – dazu zählen etwa Digitalsteuern oder globale Mindeststeuersätze in Kanada, Europa und anderen Regionen.

2) Wen betrifft das? Potenziell jeden. Ein Land muss dafür nicht viel tun – es reicht, wenn das US-Finanzministerium es auf eine Liste sogenannter DFCs (diskriminierende Länder) setzt.

3) Wer soll zahlen? So gut wie alle: Regierungen, Privatpersonen, Unternehmen – also auch Staatsfonds und ausländische Zentralbanken. Kurz: jeder, der US-Vermögenswerte hält.

4) Wie hoch wäre die Steuer? Im ersten Jahr soll der Steuersatz für Unternehmen um 5 % steigen, dann jährlich um weitere 5 %. Insgesamt darf die Erhöhung 20 % über dem bestehenden Satz nicht überschreiten. Wichtig: Section 899 greift nur dort, wo überhaupt schon ein Steuersatz existiert – unabhängig davon, ob er durch ein Steuerabkommen gilt oder nicht.

5) Ab wann könnte das gelten? Wenn das „Big Beautiful Bill“ noch vor Oktober 2025 verabschiedet wird, würde Section 899 ab dem 1. Januar 2026 in Kraft treten.

Zum Vergleich: Klassische Zölle auf Waren bringen der US-Regierung derzeit rund 200 bis 250 Mrd. USD pro Jahr. Moderate Abgaben auf Kapitalzuflüsse könnten – laut Schätzungen – zusätzlich 100 bis 150 Mrd. USD jährlich einbringen.

Dafür müsste jedoch eine zentrale Regel fallen: die bisherige Befreiung der sogenannten Portfoliozinsen (PIE).

Die PIE-Regelung (Portfolio Interest Exemption) befreit ausländische Investoren vollständig von der Quellensteuer, wenn sie US-Schatzpapiere kaufen. Section 899 würde grundsätzlich nur eine Zusatzsteuer auf bereits bestehende Steuersätze erheben – doch bei US-Staatsanleihen liegt dieser Steuersatz durch PIE bei null.

Solange diese Befreiung nicht aufgehoben wird, würde Section 899 also ausschließlich auf Dividenden aus Aktienbeständen Anwendung finden, die von ausländischen Institutionen gehalten werden – was der Trump-Regierung lediglich einige wenige Milliarden USD pro Jahr einbringen würde.

Der Text des „Big Beautiful Bill“ macht klar: Ohne eine Aufhebung der PIE gilt Section 899 nicht für sogenannte „Portfolio-Zinsen“ – also nicht für Kuponzahlungen auf US-Staatsanleihen, die im Besitz ausländischer Investoren sind.

Klausel aus dem Großen OBBB

In ihrer aktuellen Form würde Section 899 zwar ein beunruhigendes Signal an ausländische Investoren senden – die unmittelbaren Auswirkungen blieben jedoch überschaubar.

Ausländische Investoren halten US-Aktien im Wert von rund 13 Billionen USD. Section 899 würde hier nur eine moderate Zusatzsteuer auf Dividenden erheben – der direkte finanzielle Schaden wäre also begrenzt. Denn viele Anleger setzen bei US-Aktien ohnehin eher auf Kursgewinne als auf Dividenden.

Ganz anders sähe es aus, wenn die PIE-Regelung aufgehoben würde: Dann würden Treasury-Kuponzahlungen unter die reguläre 30 %ige Quellensteuer fallen. Auch wenn Steuerabkommen diesen Satz reduzieren – zusammen mit den Zuschlägen aus Section 899 käme schnell ein Gesamtsteuersatz von über 20 % zustande.

Betroffen wären Kupons aus US-Staatsanleihen im Wert von mehr als 15 Billionen USD, die aktuell in ausländischem Besitz sind. Doch um diesen Effekt tatsächlich zu erzielen, müsste die Trump-Regierung zunächst die PIE abschaffen.

Ergebnisse aus der Erhebung über Verbindlichkeiten der USA

Ich sehe keinen echten Grund, Section 899 in das „Big Beautiful Bill“ aufzunehmen, wenn damit lediglich 2–3 Mrd. USD pro Jahr über Dividendenbesteuerung hereinkommen sollen.

Wenn Zölle auf Kapitalzuflüsse wirklich Teil der Finanzierungsstrategie der Trump-Administration werden sollen, muss das Hand in Hand mit der Aufhebung der PIE gehen.

Ein mögliches Vorgehen könnte so aussehen:

  1. Verabschiedung des „großen schönen Gesetzes“ durch den Senat – vielleicht schon im Juli, auf jeden Fall vor der Sommerpause im August;

  2. Parallele Schritte zur Abschaffung der PIE, als deutliches Signal an die sogenannten „diskriminierenden Länder“;

  3. Zur Beruhigung der Anleihemärkte: die Reform möglichst zügig umsetzen, inklusive Anreizen für US-Banken, verstärkt in Treasuries zu investieren.

Bessent hat das 3. Quartal bereits als wahrscheinlichen Zeitpunkt für den nächsten Schritt bei der SLR-Reform ins Spiel gebracht – und dieses Timing dürfte kaum ein Zufall sein.

Und wie könnten die Märkte reagieren? Es gibt zwei mögliche Szenarien:

A) Section 899 ohne PIE-Abschaffung:
→ Der US Dollar würde wahrscheinlich leicht unter Druck geraten.

B) Section 899 mit PIE-Abschaffung:
→ Starker Druck auf den USD und steigende Anleiherenditen.

Selbst ohne Abschaffung der PIE dürfte Section 899 bei vielen ausländischen Investoren für Unruhe sorgen.

Oder anders gesagt – wenn Sie zum Beispiel ein kanadischer Pensionsfonds sind: Sie sind CIO oder sitzen im Anlageausschuss, über 50 % Ihres Portfolios stecken in US-Vermögenswerten – und dann sehen Sie, dass Section 899 kommt. Was würden Sie tun?

Vermutlich würden Sie beginnen, Fälligkeiten vorsichtig außerhalb der USA wieder anzulegen und Ihre USD-Exponierung zumindest teilweise abzusichern.

Und wenn plötzlich konkrete Diskussionen zur Abschaffung der PIE aufkommen – mit direkten Folgen für Ihre Treasury-Bestände?

Das käme einer gezielten „Zinssenkung nur für Sie“ gleich: Ein Gesamtsteuersatz von 20 % auf ein US-Treasury mit 5 % Kupon reduziert Ihren effektiven Ertrag um einen ganzen Prozentpunkt.

Wenn dann noch ein schwächerer Dollar dazukommt, bleibt Ihnen kaum etwas anderes übrig, als Ihre USD-Positionen zügig abzusichern – und gleichzeitig Alternativen zu prüfen: etwa heimische Anleihen oder Märkte wie Europa.

Unterm Strich: Es gab bereits viele Gründe, den USD zu verkaufen. Jetzt sind es 899 mehr.

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Dieser Artikel wurde ursprünglich auf The Macro Compass veröffentlicht. Werden Sie Teil der lebendigen Community von Makro-Investoren, Asset Allocators und Hedge-Fonds - finden Sie heraus, welche Abo-Stufe am besten zu Ihnen passt, indem Sie auf diesen Link klicken.

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