Van der Beurse zur Börse

Veröffentlicht am 16.09.2022, 13:34

Wir schreiben das 15. Jahrhundert und befinden uns in einem beschaulichen Gasthaus im belgischen Brügge. Es wird geredet, gegessen, getrunken – und gehandelt. Der Name des Gasthauses? Ter Beurse, seit dem Jahre 1285 geführt von der Patrizierfamilie van der Beurse, deren Wappen passenderweise drei Geldbeutel oder Geldbörsen zieren. Dort trafen sich regelmäßig italienische Kaufleute, um auf ihren Handelsreisen zur Tuchmesse in den Niederlanden zu logieren, Güter zu lagern und Geld zu wechseln. Ab 1409 wurden schließlich auch abwesende Güter in Form von Wertpapieren sowie Wechselbriefe vermittelt, was den Handelsplatz im Gasthaus Ter Beurse zur ersten Wertpapierbörse macht. Der Name des Gasthauses und der Familie ging schließlich auf die Händlertreffen selbst über und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu dem heutigen Begriff „Börse“.

Das Haus der Familie van der Beurse in Brügge.

Während reine Warenbörsen, bei denen mit Rohstoffen und Naturprodukten gehandelt wird, mit ihrem Ursprung in der toskanischen Stadt Lucca im Jahre 1111 bereits deutlich früher existierten, entstanden reine Wertpapierbörsen erst nach unserer gemütlichen Gastwirtschaft in Brügge. Die erste war die Royal Exchange, die am 23. Januar 1571 in London eröffnet wurde, später 1666 jedoch dem Großen Brand von London zum Opfer fiel. 1611 schließlich trat die Amsterdamer Börse auf den Plan – zunächst als Warenbörse, die sich jedoch ein Jahr später 1612 dem Wertpapierhandel widmete. Diese Umstrukturierung hatte vor allem mit der Vereinigten Ost-Indischen Compagnie zu tun. Im 17. Jahrhundert profitierten die Niederlande von einer großen wirtschaftlichen Expansion aufgrund ihres erfolgreichen Handels, insbesondere mit Gewürzen. Doch die Reisen übers Meer waren mit hohen Risiken und Kosten verbunden, sodass sich 1602 einige niederländische Reeder zu der Vereinigten Ost-Indischen Compagnie zusammenschlossen. Sie teilten die Risiken und Kosten auf, indem sie Anteilsscheine an Aktionäre vergaben. Diese Anteilsscheine wiederum konnten dann an der Amsterdamer Börse frei gehandelt werden. Auch eine Art Dividende wurden bereits damals ausgeschüttet – allerdings vorerst nicht in Form von Geld, sondern von Gewürzen. Die Vereinigten Ost-Indischen Compagnie kann somit als erste Aktiengesellschaft betrachtet werden. Um den zunehmenden Handels- und Zahlungsverkehr zu organisieren, wurde 1609 schließlich die Amsterdamer Wechselbank – und damit die erste Zentralbank – gegründet. Sie legte fortan Zinssätze und Devisenkurse fest und vergab Darlehen.

Eine Aktie der Vereinigten Ost-Indischen Compagnie von 1606.

Die erste kommerzielle Börse entstand mit der Pariser Börse im Jahr 1639, bei der zum ersten Mal Waren- und Aktienbörse getrennt wurden. Die Händler bezeichneten sich selbst von nun an als „Aktienhändler“ (frz. agents de change) und ihren Handel als „Parkett“ (frz. parquet). Diese Namen sind bis heute erhalten geblieben, sodass der Börsensaal noch immer „Parkett“ und der dortige Handel „Parketthandel“ genannt wird.

Im Laufe der Zeit wurde die Organisation der Börsen durch die Verabschiedung von Börsengesetzen zunehmend vereinheitlicht und auch die Technik erhielt ab 1971 immer mehr Einzug ins Parkett. Zunächst fand der Handel nur computerunterstützt statt, dann entwickelten sich Computerhandelssysteme und schließlich bildeten sich ganze Computerbörsen aus, die mittlerweile gar kein (physisches) Parkett mehr benötigen. Ob auch die Familie van der Beurse noch immer im Börsengeschäft tätig ist? Wer weiß…

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