- von Holger Hansen
Gifhorn (Reuters) - Bundesarbeitsminister Hubertus Heil erkundet die Arbeitswelt. In Hamburg verlädt er mit einem Gabelstapler einen Container.
Tags darauf steuert er beim Ingenieursunternehmen IAV in Gifhorn nur mit dem Zeigefinger auf dem Tablet einen Seat-Ateca. Zwischen dem 16-Tonnen-Stapler und der leichthändigen Fernsteuerung des Autos liegt die Digitalisierung, die laut Arbeitsmarktexperten jeden vierten Arbeitsplatz betreffen könnte. Der SPD-Politiker will dies nicht als Bedrohung sehen. Mit "Chancen und Schutz im Wandel" hat der Minister seine zweitägige Reise zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel überschrieben.
Rund vier Monate im Amt wirbt der 45-Jährige in Hamburg dafür, der dort erfundenen Jugendberufsagentur bundesweit nachzueifern. "Das ist die Idee, dass wir keinen Menschen mehr zurücklassen auf dem langen Weg", sagt Heil. In der Hansestadt arbeiten alle Behörden und die Bundesagentur für Arbeit Hand in Hand, damit ihnen kein junger Mensch nach dem Schulabgang verloren geht. Per Gesetzesänderung wurde die "fürsorgliche Belagerung" eingeführt, wie es Arbeitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) ausdrückt. Die Daten aller Schüler werden erfasst, und ab der 8. Klasse steht die Berufsorientierung auf dem Stundenplan.
Die Hansestadt sieht sich damit auf dem richtigen Weg, Arbeitslosigkeit schon im Anfangsstadium zu verhindern. Von etwa 5000 jungen Leuten, die jährlich die 10. Schulklasse verließen, sei bei 700 bis 800 nicht klar, wo sie landeten - ob in einer Ausbildung, in einem Förderprogramm oder in der Untätigkeit. Mittlerweile greifen die Behörden frühzeitig ein, um die Weichen für eine Ausbildung, eine ausbildungsvorbereitende Maßnahme oder weiteren Schulbesuch zu stellen. "Wir verlieren nur noch fünf im Übergang", sagt Schul-Staatsrat Rainer Schulz zufrieden.
HEIL: REDEN ÜBER FACHKRÄFTEMANGEL
Das Erfolgsgeheimnis liegt laut Senatorin Leonhard in der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Hilfesuchende würden an die Hand genommen. "Der erste darf das Händchen erst loslassen, wenn der andere es übernommen hat an anderer Stelle", sagt die Senatorin. Andere Bundesländer hätten begonnen, das Hamburger Modell nachzuahmen und dafür die Schulpflicht vom 16. bis zum 18. Lebensjahr erhöht. Dies sei die Voraussetzung, junge Leute überhaupt "fürsorglich belagern" und ihnen notfalls ein Förderprogramm vorschreiben zu können.
"Wir reden in Deutschland über einen Fachkräftemangel", sagt Heil. Gleichzeitig gebe es jährlich etwa 50.000 Schulabgänger ohne Schulabschluss sowie derzeit etwa 1,5 Millionen junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren ohne berufliche Ausbildung: "Das kann sich das Land sozial und ökonomisch nicht leisten." Das Beispiel der Jugendberufsagentur solle bundesweit Schule machen: "Da will ich mich hinterklemmen, dass wir das schneller hinkriegen."
HEIL BASTELT AN ARBEITSZEIT für ARBEITEN 4.0
Doch Ausbildung endet nicht mit einem bestimmten Alter. Bei der von der Hafenwirtschaft Norddeutschlands getragenen Weiterbildungsgesellschaft ma-co in Hamburg macht sich Heil ein Bild davon, wie Langzeitarbeitslose für einen Job qualifiziert werden. Das Besondere: Wer dort etwa zum Staplerfahrer geschult wird, hat den Arbeitsplatz durch die enge Zusammenarbeit mit Unternehmen schon so gut wie sicher. "Es wird ausgebildet, was die Hafenwirtschaft braucht", sagt Arbeitssenatorin Leonhard.
Tags darauf besucht Heil in seinem Wahlkreis das Unternehmen IAV, wo selbst Ingenieure von der Arbeitslosigkeit bedroht wären - wenn das Unternehmen mit Betriebsrat und IG Metall nicht vereinbart hätte, Mitarbeiter für andere Tätigkeiten zu qualifizieren. Gefragt sind Software-Entwicklung und Programmieren. Konstrukteure etwa für Tachometer im Auto werden dagegen durch Digitalisierung und neue Displays überflüssig. Laut Arbeitsdirektor Kai-Stefan Linnenkohl werden etwa 400 Konstrukteure umqualifiziert, für 95.000 Euro pro Person. "Das Thema Kündigung ist überhaupt kein Thema", sagt Linnenkohl.
Beim Container-Terminal Altenwerder kostet dagegen die Digitalisierung Arbeitsplätze. Computer steuern die Ent- und Beladung von Schiffen mit Containern, und selbstfahrende Transporter verfrachten sie ins Durchgangslager. "Es fallen mehr Jobs weg als neue kreiert werden", heißt es aus dem Betriebsrat bei Heils Besuch. Weiterqualifizierung für andere Tätigkeiten alleine helfe nicht, da das Arbeitsvolumen durch die Automatisierung geringer werde. Dennoch werden Entlassungen vermieden. Durch Arbeitszeitverringerung bei vollem Lohnausgleich soll die Beschäftigtenzahl gehalten werden.
Der Arbeitsminister räumt bei seinen Besuchen ein, dass er auf viele Fragen zur Arbeit der Zukunft noch keine Antworten hat. "Ich gebe zu, dass wir in vielen Fragen auch noch tasten", sagt Heil. Beim Unternehmen IAV bittet er um Rat zum Arbeitszeitgesetz, das manchen Arbeitgebern mit der Begrenzung auf eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden oder einer Ruhezeit von elf Stunden als nicht mehr zeitgemäß erscheint. "Was ich nicht mache, ist das Arbeitszeitgesetz per se zu schreddern", sagt Heil. "Ich werde da nächstes Jahr einen Vorschlag machen müssen, wie wir das machen." Für ihn sei klar, dass es eine Balance geben werde zwischen Flexibilisierungs-Wünschen der Arbeitgeber und Vorteilen für die Arbeitnehmer.