KATHMANDU (dpa-AFX) - Das gewaltige Erdbeben im Himalaya hat mehr als 2500 Menschen den Tod gebracht. Vor allem im armen Touristenland Nepal waren die Zerstörungen enorm. Dort stapelten sich Leichen vor den Krankenhäusern, ganze Bergdörfer waren zerstört, am Mount Everest töteten Lawinen mehrere Bergsteiger.
"Die Zahl der Toten steht bisher bei 2450. Ungefähr 6000 Menschen wurden bei dem Erdbeben verletzt", sagte Laxmi Dhakal vom nepalesischen Innenministerium am Sonntagabend (Ortszeit) der Deutschen Presse-Agentur. Im benachbarten Indien wurden 62 Tote gezählt, in Tibet 6 und in Bangladesch 1 Opfer.
Das Erdbeben der Stärke 7,8 war die stärkste Erschütterung des Bodens in Nepal seit mehr als 80 Jahren. Es begann am Samstag und brachte zahlreiche Nachbeben mit sich. Das ganze Ausmaß der Zerstörung war noch nicht abzusehen, weil viele abgelegene Dörfer zunächst nicht erreicht wurden. Eine internationale Hilfswelle lief an.
Der Erdstoß zerstörte große Teile der Infrastruktur Nepals, viele alte Häuser sowie Weltkulturerbe- und Pilgerstätten. Die Bewohner von Kathmandu flohen auf die Straßen und trauten sich wegen der Nachbeben nicht in ihre Häuser zurück. Alle Parks, Gehwege und öffentlichen Plätze hätten sich in Zeltstädte verwandelt, sagte ein Sprecher des Roten Kreuzes. Präsident Ram Baran Yadaf habe ebenfalls in einem Zelt geschlafen, sagte sein Sprecher in einem lokalen Radio. Selbst Krankenhäuser sind so überfüllt, dass sie im Freien behandeln.
"Hier sind 800 Leichen aufgestapelt, und wir arbeiten sie ab, checken eine nach der anderen", sagte die Krankenschwester Pramila Pradhan vom Lehrkrankenhaus in Nepals Hauptstadt Kathmandu. "Es gibt Babys mit zerschmetterten Gesichtern. Väter tragen ihre Babys herein und bitten uns, sie zu behandeln. Wie behandeln wir jeden und wo beginnen wir - wir wissen es nicht."
Hilfsorganisationen entsandten Experten und kündigten - auch medizinische - Nothilfe an. Nepal rief den Notstand in den betroffenen Gebieten aus, in denen 6,6 Millionen Menschen leben. Die Krankenhäuser seien überfüllt, Blutkonserven und Medikamente gingen zur Neige, erklärten die Vereinten Nationen (UN). Schulen und Universitäten bleiben für eine Woche geschlossen. Die Stromversorgung könnte lange ausfallen, da das Erdbeben die Wasserkraftwerke beschädigt hat, von denen Nepal fast all seinen Strom bezieht.
Koordiniert wird die Hilfe für Nepal vom UN-Büro zur Nothilfe-Koordinierung (OCHA). Hilfsflugzeuge aus aller Welt erreichten Kathmandu mit Gütern wie Nahrungsmitteln, Medikamenten und Kommunikationsgeräten. Die Landebahn des Flughafens wurde laut Polizei am Wochenende wegen Nachbeben für Linienflüge immer wieder geschlossen. Deswegen sitzen zahlreiche Touristen in Nepal fest. Derzeit ist dort Hauptsaison für Bergsteiger und Wanderer.
Am Mount Everest starben mindestens 19 Menschen, als eine viele Stockwerke hohe Staublawine über das Basislager des höchsten Berges der Welt fegte. Dort hielten sich rund 1000 Menschen auf. 65 Verletzte seien aus dem Lager ausgeflogen worden, sagte der Vizepräsident der nepalesischen Bergsteigervereinigung, Santa Bir Lama. Zu etwa 100 Menschen in der Everest-Region bestehe derzeit kein Kontakt. Viele von ihnen könnten in höheren Camps sein, hieß es.
Das Epizentrum des Bebens lag etwa 80 Kilometer westlich von Kathmandu. Dort lägen die Dörfer direkt an großen Berghängen und die Häuser bestünden aus einfachen Stein- und Felskonstruktionen, sagte Matt Darwas von der Hilfsorganisation World Vision. "Viele dieser Dörfer sind nur mit Geländewagen und zu Fuß erreichbar, manche Stunden oder sogar Tagesmärsche von der Hauptstraße entfernt." Das Finanzministerium in Kathmandu erklärte, die Familie jedes Todesopfers erhalte umgerechnet 360 Euro.
Nepals Regierungschef Sushil Koirala bat "ausländische Freunde" um Hilfe und Unterstützung. "Wir werden diese dunkle Zeit zusammen durchstehen", sagte er. Papst Franziskus sprach den Opfern der Erdbebenkatastrophe sein Beileid aus. Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel zeigten sich in ersten Reaktionen tief betroffen. Millionenbeträge verschiedener Regierungen sollen die Not lindern helfen.
Fast nirgendwo in Kathmandu gab es Strom, manche Menschen halfen sich mit Solarlampen und luden ihre Handys an Autobatterien. Wie es in den abgelegenen Städte und Dörfern in dem Himalaya-Land aussah, war zunächst kaum zu überblicken. Das Dorf Barmak am Epizentrum des Bebens sei fast vollständig zerstört, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Augenzeugen berichten, dass Helfer an vielen Orten mit bloßen Händen nach Überlebenden graben.
"Ich habe meine Angehörigen und alle meine Nachbarn verloren", sagte eine Frau aus dem Ort Jaybageshwari einem örtlichen Radiosender. "Kann jemand, der überlebt hat, uns helfen? Wir haben weder Essen noch Kleidung. Alles ist weg."
Hilfsorganisationen riefen die Menschen in Deutschland zum Spenden auf. Care etwa plant, bis zu 75 000 Menschen mit Notunterkünften, Nahrungsmitteln, Wasserreinigungstabletten und dem Bau von Latrinen zu unterstützen. Das Deutsche Medikamentenhilfswerk action medeor packt Verbands- und Nahtmaterialien, chirurgisches Besteck, Schmerzmittel, Antibiotika und Spritzen für seine Partner.
"Die größte Herausforderung für die Helferinnen und Helfer ist nun, die Betroffenen schnell zu erreichen. Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Erde. Es gab sowieso nur wenige asphaltierte Straßen und die Kommunikationssysteme sind überlastet. Nun wird der Einsatz zum Kampf gegen die Zeit", sagt Martin Keßler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe. Indische Meteorologen sagten schlechtes Wetter in der Region voraus, das die Hilfe verzögern könnte.
Augenzeugen berichteten, vielfach hätten die Menschen nur noch Kekse und Trockenfrüchte übrig. Hilfsorganisationen fürchten, dass bald auch das Wasser und die Medikamente ausgehen. Auch die Ärzte sind an vielen Orten bereits überlastet. "Unter den Toten sind viele Kinder", sagte Doktor Pratab Narayan aus dem Teaching-Krankenhaus. "Wir sind völlig überwältigt von der Zahl an Menschen."
Die deutsche Botschaft in Kathmandu wurde ebenfalls beschädigt. Das Auswärtiges Amt rät Touristen von Touren in die Erdbebengebiete zunächst ab.