- von Daphne Psaledakis und Tony Munroe
Brüssel/Peking (Reuters) - Die EU hat China zum 30. Jahrestag der Niederschlagung der Proteste auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens gemahnt, das Massaker einzugestehen und inhaftierte Menschenrechtler sofort freizulassen.
"Wir beobachten auch heute noch eine Unterdrückung der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit in China", kritisierte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Dienstag. Die UN erklärten, sie hätten Berichte über weitere Festnahmen und eine verstärkte Zensur in China im Vorfeld des Jahrestags erhalten. Betroffen davon ist auch die Nachrichtenagentur Reuters. Der weltgrößte Reuters-Kunde, der Finanzdatenanbieter Refinitiv, blockierte Meldungen über das Gedenken auf seiner Plattform nach Angaben von Insidern auf Druck der chinesischen Regierung. Auch Nutzer in Deutschland berichteten, Beiträge über das Massaker verschwänden kurz nach Erscheinen vom Bildschirm.
Mogherini sagte, die exakten Zahlen derer, die am 4. Juni 1989 in Peking getötet oder verhaftet wurden, würden womöglich niemals bekannt. "Das Bekenntnis zu diesen Ereignissen, den Toten, Verhafteten und Vermissten im Zusammenhang mit den Tienanmen-Protesten, ist wichtig für künftige Generationen", mahnte sie. Die EU fordere zudem die Freilassung inhaftierter Menschenrechtler, darunter Huang Qi, Gao Zhisheng, Ge Jueping, Wang Yi, Xu Lin und Chen Jiahong. 1989 hatte die chinesische Regierung die von Studenten getragene Reform- und Protestbewegung unter Einsatz von Panzern niedergeschlagen. Es wurden nie Opferzahlen veröffentlicht. Menschenrechtler sagen, die Zahl der Toten könne in die Tausende gehen. In China sind Äußerungen über die Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens auch 30 Jahre danach tabu.
Die UN-Menschenrechtsbehörde erklärte, sie habe Berichte erhalten, dass eine Reihe chinesischer Bürger im Vorfeld des Jahrestags festgenommen oder bedroht worden sei. Es gebe zudem Informationen über eine verstärkte Zensur von Berichten über das Massaker, sagte Sprecherin Ravina Shamdasani. "Wir haben der chinesischen Regierung unsere Bedenken mitgeteilt und bemühen uns um eine Verifizierung der Berichte, die wir bekommen haben".
REUTERS-FÜHRUNG - REDAKTEURE SOLLEN WEITER BERICHTEN
Reuters erfuhr unterdessen von mehreren Insidern, die chinesische Zensurbehörde CAC habe Refinitiv gedroht, das Unternehmen in China zu sanktionieren, sollten weiterhin Nachrichten über das Massaker veröffentlicht werden. Ziel von Refinitiv sei es, nur in China auf die Verbreitung solcher Nachrichten zu verzichten. Doch auch Nutzer der Eikon-Nachrichtenplattform von Refinitiv außerhalb der Volksrepublik sagten, sie könnten keine Berichte zu dem Thema mehr finden. Die Gründe dafür blieben zunächst unklar.
Reuters-Präsident Michael Friedenberg und Chefredakteur Steve Adler schrieben in einer internen E-Mail an Reuters-Mitarbeiter, die Nachrichtenagentur habe gegenüber Refinitiv Bedauern geäußert über die Blockade von Tiananmen-Stories. Reuters-Journalisten seien angehalten, weiter zu berichten, wie sie es gewohnt seien: Nachrichten zu schreiben ohne Angst und ohne jemandem einen Gefallen zu tun.
Refinitiv erklärte gegenüber Reuters, als globales Unternehmen erfülle es alle lokalen regulatorischen Vorschriften. "Dies beinhaltet auch die Anforderungen an unsere Lizenz, Geschäfte in China zu betreiben." Refinitiv gehört zu 55 Prozent dem Finanzinvestor Blackstone und zu 45 Prozent dem Informationskonzern Thomson Reuters, dem Mutterkonzern der Nachrichtenagentur Reuters. Refinitiv wurde im vergangenen Jahr von Thomson Reuters abgespalten und ist nun weltgrößter Kunde von Reuters-Nachrichten.
"WAS SOLL DAS BRINGEN?"
In Hongkong versammelten sich Tausende Menschen zu einer Mahnwache im Gedenken an das Massaker vor 30 Jahren. Die Demonstranten saßen mit Kerzen und Plakaten im Viktoria-Park neben einer Replik der Statue "Göttin der Demokratie", die während der Proteste in Peking auf dem Tienanmen-Platz errichtet worden war. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass die chinesische Regierung die Erinnerung an die Ereignisse im gesamten Land auslösche, sagte ein Demonstrant.
Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking selbst herrschten strengere Sicherheitsvorkehrungen als üblich. Hunderte Sicherheitskräfte in Uniform und zivil beobachteten den Platz und die Umgebung, überprüften Ausweise und Autos. Zahlreiche Touristen waren auf dem Platz unterwegs. Angesprochen auf den Jahrestag sagten die meisten jedoch, sie wüssten nichts von dem Massaker oder sie wollten nicht darüber reden.
Ein 67-jähriger Mann, der etwa zehn Minuten vom Platz entfernt auf einer Bank saß, erklärte dagegen, er erinnere sich genau an die Ereignisse am 4. Juni 1989 und danach. "Ich war auf dem Heimweg von der Arbeit. Die Changan-Straße war mit ausgebrannten Autos übersäht. Die Volksarmee hat viele Menschen getötet. Es war ein Blutbad", sagte er. Auf die Frage, ob die Regierung Rechenschaft über die Ereignisse ablegen solle, zeigte er sich skeptisch: "Was soll das bringen? Diese Studenten sind umsonst gestorben."