* Kommando Spezialkräfte trainiert Geiselbefreiung auf Rügen
* Aufgabe könnte durch den IS stärker in den Vordergrund rücken
* Elitetruppe hadert vor 20. Geburtstag mit öffentlichem Image
* "Keine Männer, die losgelassen werden und tabula rasa machen"
- von Sabine Siebold
Berlin, 16. Dez (Reuters) - Giftgrün leuchten die Wolken im Licht des Vollmonds durch das Nachtsichtgerät, als sich die vier Hubschrauber am Horizont nähern. Für ein paar Minuten durchbricht das Knattern ihrer Rotoren die nächtliche Stille über der Ferieninsel Rügen. Mit Sturmgewehren bewaffnete Soldaten springen aus den Maschinen, bringen sich im Laufschritt hinter einer Baumgruppe in Deckung und rücken dann weiter vor. Gedämpft sind Schüsse zu hören, Rufe, kurz darauf eine Explosion, als die Soldaten das Tor eines alten NVA-Bunkers aufsprengen. Die Urlauber, die nur gut einen Kilometer entfernt in ihren Unterkünften schlafen, bemerken von all dem nichts. Dabei könnte das, was sich in dieser milden Herbstnacht an der Ostsee abspielt, ihnen einmal das Leben retten: Das Kommando Spezialkräfte (KSK), die Elitetruppe der Bundeswehr, übt eine Geiselbefreiung.
Wohl selten war das Risiko für Deutsche so hoch, im Ausland entführt zu werden. Vor allem in Krisengebieten wie dem Nahen Osten und Afghanistan gelten westliche Ausländer bei Extremisten als beliebtes Faustpfand, um hohe Lösegelder zu erpressen oder politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Verschärft wird dies durch das Erstarken der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS), die die Verschleppung von Ausländern zum Geschäftsmodell gemacht hat - sei es, um mit dem Lösegeld die Fortsetzung ihres Terrors zu finanzieren, sei es, um den Opfern vor laufender Kamera die Kehle durchzuschneiden.
Die Bundesregierung setzt bei Entführungsfällen im Ausland traditionell auf Verhandlungen. Das KSK musste daher in der Realität noch nie deutsche Geiseln befreien, auch wenn sich die Truppe schon oft genug darauf vorbereitet hat. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis es tatsächlich so weit kommt. Seit 2001 haben die Kommando-Soldaten viel Zeit in Afghanistan verbracht, dort gegen die Taliban gekämpft und die einheimischen Sicherheitskräfte ausgebildet. So viel ist bekannt, obwohl die Einsätze der Elitetruppe von der Bundesregierung grundsätzlich geheim gehalten werden. Die Brutalität des IS könnte nun die Aufgabe der Geiselbefreiung für das KSK wieder stärker in den Vordergrund rücken. Denn der IS agiert enorm kaltblütig und ist schnell mit Enthauptungen bei der Hand. Verhandlungen könnten da für die Opfer schlicht zu spät kommen.
"DER IS IST EINE ANDERE QUALITÄT VON GEGNER"
"Geiselbefreiung ist unser Kernauftrag, unabhängig von der aktuellen Lage mit ISIS", sagt Tom, als sich die KSK-Soldaten einige Stunden vorher und rund 150 Kilometer südlich von Rügen auf einem alten NVA-Flughafen auf den Zugriff vorbereiten. Durch die Extremistenmiliz gewinne die Aufgabe an Dringlichkeit. Tom heißt eigentlich anders und ist bei dem Einsatz der sogenannte "Ground Force Commander", der Chef der Zugriffstruppe. "Das ist eine ganz andere Qualität von Gegner", zieht der 36-Jährige den Vergleich etwa zu den Taliban. "ISIS ist deutlich radikaler und militärisch besser ausgebildet als lose organisierte Terrorzellen wie beispielsweise in Afghanistan. Dort kämpfen Leute, die gedient haben, militärische Expertise und taktische Erfahrung mitbringen. Das sieht man ja - sie sind in der Lage, komplexe Großoffensiven gegen staatliche Sicherheitsorgane durchzuführen."
Die Kommando-Soldaten sitzen vor einer Baracke in der Herbstsonne und diskutieren über den bevorstehenden Einsatz. Die Stimmung ist entspannt. Die Männer tragen eine Mischung aus Flecktarn und Outdoor-Kleidung, einige haben ihre Splitterschutzbrillen ins Haar geschoben. Sie wirken ruhig, unprätentiös - und ziemlich normal. Bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße gäbe es keine Chance, sie als Mitglieder der Elitetruppe zu erkennen. Muskelprotze, zottelige Vollbärte oder martialisches Gehabe, wie es Spezialkräfte in Kinofilmen pflegen, sucht man vergeblich.
Drinnen in den Zimmern der Baracke stehen dicht an dicht Feldbetten. Obenauf ein Durcheinander aus Schlafsäcken, T-Shirts, Smartphones, Zahnputzzeug, Funkgeräten, Helmen mit aufmontierten Nachtsichtgeräten und schusssicheren Westen. Auf dem Boden liegen Sturmgewehre und Munitionsmagazine neben Militärrucksäcken, an denen außen für den schnellen Zugriff Tourniquets befestigt sind - Abbindeknebel, die das Verbluten Schwerverwundeter verhindern sollen.
Tom sitzt auf dem Feldbett und überprüft noch einmal sein Gewehr. Ein Zimmer weiter hängt eine Satellitenaufnahme des Bunker-Geländes an der Ostsee an der Wand. Daneben kleben eine Karte des fiktiven Landes Congeria und auf DIN-A-4-Blättern die Porträts der fünf Geiseln. Drei Soldaten beugen sich über den Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem mit Klebestreifen der Grundriss des Bunkers nachvollzogen ist, und besprechen leise das Vorgehen am Abend.
"HIER SIND GENAUSO TYPEN WIE SIE UND ICH UNTERWEGS"
Dass die Soldaten auf dem alten NVA-Flughafen vor Fremden überhaupt ihre Gesichter zeigen, auch wenn diese später in den veröffentlichten Aufnahmen nur verpixelt auftauchen dürfen, ist recht neu. Immerhin baut der Mythos des KSK nicht nur darauf auf, die besten der besten zu sein, sondern er speist sich auch aus der absoluten Geheimhaltung um die Truppe. Früher bekamen Besucher von außen Kommando-Soldaten, wenn überhaupt, nur mit schwarzen Sturmhauben zu Gesicht. Was dem Sicherheitsbedürfnis der Soldaten und ihrer Familien geschuldet ist, sorgte aber in der Vergangenheit auch für gewaltige Distanz. Sturmhauben werden normalerweise eher mit Bankräubern und Terror-Trupps assoziiert.
Dabei hadert die Elitetruppe ohnehin mit dem Image, das ihr andere verpassen und das sie wegen der strikten Geheimhaltung nur schwer korrigieren kann. Auf den Bänken vor der Baracke kreist gerade ein Artikel über das KSK, den einige der Soldaten als sensationslüstern empfinden. "Ich bin traurig, dass die Informationen in den Medien oft nicht das widerspiegeln, was wirklich passiert", bemängelt Tom. "Hier sind genauso Typen wie Sie und ich unterwegs, jeder hat einfach seine Besonderheiten in seinem Fachgebiet. Das, was vielleicht hin und wieder den Unterschied macht, ist die Intensität und die Leidenschaft der Männer, sich für ihre Aufgabe voll einzubringen."
Tatsächlich ist der Vergleich "Sie und ich" im Falle des KSK relativ. Harte Auswahlverfahren gibt es zwar auch für andere Tätigkeiten. Sie umfassen allerdings keine "Höllenwoche" wie die, in der die angehenden Kommando-Soldaten an die Grenzen ihrer körperlichen und psychischen Belastbarkeit und darüber hinaus gebracht werden, um zu testen, wie gut sie ihre Arbeit auch unter Extrembedingungen noch machen. Das ist eine Quälerei, liegt aber darin begründet, dass Extremsituationen das übliche Arbeitsumfeld des KSK sind.
Dabei spielen Kraft und Ausdauer für Tom zunächst keine Rolle bei der Frage, welche Leute er im KSK haben will. "Was ich nicht haben möchte, sind Möchtegern-Abenteurer, die sich profilieren wollen", sagt er entschieden. "Wir brauchen Leute, die zwischenmenschliche Erfahrung mitbringen, die sich im Umgang mit anderen Nationen auskennen, die kreativ sind und offen für neue Erfahrungen." Und die körperliche Fitness? "Das ist trainierbar. Wir brauchen eine gewisse Geisteshaltung, eine gewisse Bodenständigkeit. Wir brauchen jemanden, der ewige Nachtstunden lang die Technik studieren kann, der aber auch sich selbst gegenüber so skrupellos ist, bis an die Grenzen des menschenmöglich Leistbaren zu gehen."
Auch etwa 50 Frauen dienen derzeit bei der Elitetruppe. Sie sind keine ausgebildeten Kommando-Soldatinnen, stehen aber im Einsatz direkt hinter den Zugriffstrupps und arbeiten als technische Spezialistinnen oder werten sichergestelltes Material aus. Grundsätzlich stehen die Kommando-Kompanien nach Aussage eines Sprechers Frauen offen, die den Aufnahmetest bestehen.
"GERINGERE ANFORDERUNGEN WÜRDEN MENSCHENLEBEN KOSTEN"
Insgesamt besteht nur jeder vierte Bewerber das harte Auswahlverfahren und darf die dreijährige Ausbildung zum Elitesoldaten beginnen. Dies ist einer der Gründe, warum die im Schwarzwaldstädtchen Calw ansässige Truppe ihre Sollstärke von über 1000 Soldaten nie erreicht hat und dies voraussichtlich auch in Zukunft nicht geschehen wird. Die Anforderungen deshalb zu senken, hielte Tom für Unfug. "Wenn wir uns an Schwächeren orientieren, sind wir auf dem Holzweg", sagt er. "In letzter Konsequenz kostet das Menschenleben."
Damit genau dies nicht geschieht, gehört intensives Training zum Alltag der Kommando-Soldaten. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Schießen, das die Soldaten im Reflex beherrschen müssen. Besteht ein Soldat den sogenannten "Schieß-Stress-Test" einmal im Jahr nicht, ist er draußen - solange, bis er die Voraussetzungen wieder erfüllt. Schließlich muss er im Einsatz seinen Gegner auch unter schwierigen Umständen sicher treffen und töten können, ohne eine vielleicht nur wenige Zentimeter entfernte Geisel zu gefährden.
"Schön, Dich zu treffen", steht als Motto am Eingang des Schießausbildungszentrums in Calw, wo die Ausbilder auf 1400 Quadratmetern Fläche alle möglichen Szenarien nachstellen können. "Heute ist es das Hilton, morgen ein Schiff mit langen Gängen - das baue ich Ihnen alles in zwei Stunden um", sagt der Chef des Zentrums. Vor 15 Jahren auf 250.000 Schuss pro Jahr ausgelegt, fielen in der Anlage allein 2013 knapp 750.000 Schuss. Das ist nicht ganz ungefährlich. "Kameraden schauen in die Mündung von Kameraden", beschreibt es der Ausbilder. Dennoch habe es in der ganzen Zeit nur einen Unfall gegeben, bei dem ein Soldat eine Schusswunde am Bein erlitten habe.
450 Tonnen Stahl sind in der alten Küche der Graf-Zeppelin-Kaserne verbaut, die von außen ausschaut wie ein Zweckbau aus den 70er Jahren und in ihrem Innern eine der modernsten Schießanlagen Europas beherbergt. In einem Saal tauchen im raschen Takt und in unterschiedlichsten Positionen Pappkameraden auf und zwingen den Schützen in Sekundenbruchteilen zur Entscheidung, ob er einen Täter oder einen Unbeteiligten vor sich hat. Lichteffekte wie in der Disco sollen die Soldaten zusätzlich verwirren. An der Stirnwand eines anderen Saals leuchtet wenige Sekunden lang eine Rechenaufgabe auf, kurz darauf rieselt ein Vorhang aus Dutzenden Zahlen über die Leinwand, zwischen denen die Lösung verborgen ist. Es knallt, und noch ehe Ungeübte das Ergebnis überhaupt erspähen, prangen zwei Einschusslöcher auf der richtigen Zahl.
Standardwaffe des KSK ist das Sturmgewehr G36 in einer verkürzten und damit leichteren Variante, die mehr Beweglichkeit ermöglicht. Vermutlich hat die Truppe mit dem G36 so viel geschossen wie keine andere Einheit der Bundeswehr. Kritik an der Waffe, die die Politik wegen mangelnder Präzision ausmustern will, ist bei der Elitetruppe nicht zu hören. "Wir treffen auch mit dem G36", sagt einer lächelnd. "Wir nutzen die Waffe, wofür sie konstruiert wurde: Das ist ein Sturmgewehr und kein Präzisionsgewehr, und als Sturmgewehr funktioniert es wunderbar."
KSK KOMMT IN KRIEGSGEBIETEN ZUM EINSATZ, GSG 9 IM FRIEDEN
Aufgestellt wurde das KSK 1996. Auslöser war zwei Jahre zuvor der Völkermord in Ruanda, als belgische Fallschirmjäger Mitarbeiter der Deutschen Welle in Sicherheit bringen mussten. Damals stellte sich heraus, dass die Elitetruppe der Bundespolizei, die GSG 9, zwar seit der Erstürmung der entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" in Mogadischu 1977 einen legendären Ruf genoss, aber zu einem Einsatz in einem Kriegsgebiet nicht in der Lage war. Eine Blamage für die Bundesregierung, die kurz darauf den Aufbau einer militärischen Elitetruppe anordnete.
Das KSK kommt in Kriegs- oder Krisengebieten überall dort zum Einsatz, wo herkömmliche Einheiten nicht mehr oder noch nicht eingesetzt werden können: Die Kommando-Soldaten retten und befreien Deutsche aus Gefangenschaft und Geiselhaft, sie schützen deutsche Soldaten im Einsatz, setzen Zielpersonen fest, zerstören wichtige Ziele und bekämpfen subversive Kräfte. Schnelligkeit und Überraschungsmoment sind die Hauptverbündeten der in kleinen Verbänden operierenden Elitetruppe. Die Aufgabenteilung zwischen KSK und GSG 9 ist bis heute die gleiche geblieben: Die GSG 9 ist auf deutschem Territorium und im friedlichen Ausland zuständig. Das KSK übernimmt die schwierigeren Einsätze in Kriegsgebieten, wenn zu der Geiselnahme noch ein gefährliches Umfeld hinzukommt.
Es gibt allerdings auch Grenzfälle, wie die Entführung des deutschen Frachters "Hansa Stavanger" durch Piraten vor der Küste Somalias 2009. Damals kam es zu Kompetenzrangeleien zwischen Innen- und Verteidigungsministerium, die stritten, ob das Militär oder die Polizei zuständig sei: Einerseits galt der Frachter als deutsches Territorium, was für einen Einsatz der GSG 9 gesprochen hätte, andererseits war das Umfeld mit den militärisch bewaffneten Piraten und dem gescheiterten Staat Somalia eindeutig feindlich und die deutsche Marine in dem Seegebiet bereits im Einsatz. Vier Monate nach dem Überfall kam die Besatzung der "Hansa Stavanger" schließlich nach einer Lösegeldzahlung in Millionenhöhe frei.
SPEZIALKRÄFTE MÖGEN REGEN UND NEBEL, ABER KEINEN VOLLMOND
Der Fall ist einer der Gründe, warum das KSK und die GSG 9 in dieser Herbstnacht auf Rügen erstmals gemeinsam Teil einer größeren Übung sind. Im Alltag trainieren beide Elitetruppen ohnehin oft zusammen. In der knapp zwei Wochen laufenden Übung kommt nun auch noch der organisatorische Überbau hinzu, also das Zusammenspiel der verschiedenen Ministerien und die Gesamtkoordination durch den Krisenstab des Auswärtigen Amtes, der einen Zugriff letztlich anordnet.
Laut Szenario ist ein Teil der Geiseln in das fiktive Land Congeria verschleppt worden, wo marodierende Banden ihr Unwesen treiben und der Staat die Kontrolle verloren hat. Ein klarer Fall für das KSK also. Die übrigen Geiseln werden auf einem Schiff im friedlichen und befreundeten Land Daria festgehalten und sind damit Sache der GSG 9.
Beide Eliteeinheiten bekommen in dieser Nacht aus Berlin den Auftrag zum Zugriff und müssen ihre Aktionen über große Distanz so abstimmen, dass sie exakt zeitgleich ablaufen und die Geiseln nicht gefährdet werden. "Der Teufel steckt bei derart komplexen Lagen im Detail; daher ist eine unglaubliche Akribie vonnöten", sagt Tom. "Alles muss synchron laufen, ein Zeitplan, an den sich jeder hält - auch 140 Kilometer entfernt".
Die helle Vollmondnacht sorgt dabei zwar für eine idyllische Szenerie, ist aber nicht ideal für den Zugriff. Spezialkräfte sind gern im Dunkeln unterwegs, weil sie dann mit ihren Nachtsichtgeräten einen Trumpf gegenüber dem Gegner in der Hand haben. "Der Vorteil der Nachtkampffähigkeit wird einfach aufgehoben", stellt Tom mit Blick auf den Vollmond fest. "Man muss damit planen, dass es um Mitternacht fast hell ist." Könnte er es sich aussuchen, wäre es stockduster und würde in Strömen schütten: "Je dunkler und schlimmer die Witterungsbedingungen, desto höher der Überraschungseffekt."
EIN HUND, DER IM SPEZIALGURT FALLSCHIRMSPRINGEN KANN
Neben modernster Technik setzt das KSK auch auf die feinen Sinne eines Helfers auf vier Pfoten: Max, der in Wirklichkeit ebenfalls anders heißt, döst in einer Gitterbox im Laderaum eines Kleinbusses. Der belgische Schäferhund mit seinem blonden Fell und der dunklen Schnauze ist topfit, in seinem Fach ebenso professionell wie seine Kameraden auf zwei Beinen und im Spezialgurt vor seinen Hundeführer geschnallt sogar bei Fallschirmsprüngen dabei. Der Malinois kann sowohl Sprengstoff als auch Menschen aufspüren und ist darauf trainiert, Gegner mit Bissen oder harten Remplern zu stoppen und in Schach zu halten. Max' Aufgabe in dieser Nacht ist es, den Soldaten dabei zu helfen, die Geiseln in den Tiefen des Bunkers auch dann zu finden, wenn sie gut versteckt oder gar eingemauert sein sollten. Zudem soll er die Truppe warnen, falls er Sprengstoff wittert.
Sein Hundeführer, bei dem er auch lebt, macht sich Max' Spieltrieb zunutze. "Ich kann ihn zu nichts zwingen, auch nicht zum Beißen. Aber er will Beute machen, das ist sein Naturell", sagt er. Anders als Polizeihunde, die oft laut kläffend auf ihren Einsatz warten, ist der Malinois auch außerhalb der Box die Ruhe auf vier Pfoten - solange, bis es ernst wird. "Er soll nur bellen, wenn er eine versteckte Person findet, an die er nicht herankommt", sagt der Hundeführer. Auch der Soldat selbst agiert absolut ruhig, um den Hund nicht unnötig in Stress zu versetzen. Gebrüllte Kommandos gibt es nicht. Auf ein leises Wort des Hundeführers schaltet Max vom Schmuse- in den Arbeitsmodus um und wartet aufmerksam auf Befehle seines Chefs, dem er so sehr vertraut, dass er selbst Rotoren-Lärm, Schüsse und Explosionen in nächster Nähe erduldet.
GEISELN HABEN SELBST GEGENÜBER EIGENEN VERWUNDETEN VORRANG
Während die KSK-Soldaten sich auf dem alten NVA-Flughafen noch auf den Zugriff vorbereiten, kreist hoch über Rügen längst ein Aufklärungsflugzeug, das der Truppe Informationen über die Lage am Boden liefert. Unten auf dem Gelände des alten Bunkers läuft die letzte Einweisung für Geiseln und Geiselnehmer, die von ehemaligen Soldaten gespielt werden. In einem Raum des verschachtelten Bunkers hängen die Ketten bereit, mit denen die Gefangenen später an die Wand gefesselt sein werden. Es riecht muffig in dem heruntergekommenen Komplex unter der Erde, die weiße Farbe blättert in dicken Fetzen von den Wänden, Teile der Deckenverkleidung hängen herab. Eine der Geiseln ist schon als Schwerverletzter zurechtgeschminkt, der Mann sitzt auf einem Stuhl und trägt eine blutig schorfige Wunde am Oberschenkel.
Vor dem Bunker lungern die Geiselnehmer in Outdoor-Kleidung um ein Lagerfeuer herum. Im Jargon des KSK heißen sie "Tangos" - das T steht für Täter oder Terroristen. Das Codewort für die Geiseln lautet "Golf". Ein paar Meter weiter schwitzt John im hellen Mondlicht vor sich hin und hofft, dass es bald losgeht. Er trägt hässliche Wunden ins Gesicht geschminkt und steckt bis zum Hals in einem dicken Spezialanzug, der so konstruiert ist, dass die KSK-Soldaten daran später sogar einen Luftröhrenschnitt relativ realistisch trainieren können. Der Brite stellt einen der eigenen Soldaten dar, der während des Zugriffs durch eine explodierende Sprengfalle schwer verletzt wird. Auf dem Rücken trägt er eine Trinkblase mit ganz speziellem Inhalt. "Anderthalb Liter Kunstblut, das müsste reichen, um eine massive Blutung darzustellen", kommentiert einer der Helfer zufrieden.
John arbeitet für die Organisation "Amputees in Action", die Darsteller für Übungen der Rettungsdienste und des Militärs stellt. An dem einarmigen 36-jährigen Briten können die Soldaten den Umgang mit Verletzten mit abgerissenen Gliedmaßen üben, was bei Explosionen häufig vorkommt. Johns Rolle als schwer verwundeter Kommando-Soldat ist eine besondere in dieser Nacht. Das KSK verfügt über bestens ausgebildete Sanitäter in seinen Reihen, die mit ihren Fähigkeiten fast an die eines Arztes heranreichen. Doch im Zweifel haben die Geiseln oberste Priorität, "selbst wenn wir eigene Verwundete haben", erklärt der KSK-Mann, der das Szenario am Bunker vorbereitet. "Wir brauchen Geschwindigkeit - wenn jemand von uns verletzt wird, das ist Berufsrisiko. Zunächst muss die Geisel in Sicherheit gebracht werden." Dies gelte selbst dann, wenn einer aus der Truppe getötet werde.
Ein deutscher Kommando-Soldat ist bisher im Gefecht gefallen, im Mai 2013 in der afghanischen Unruhe-Provinz Baghlan. Wie viele KSK-Mitglieder bei Unfällen während des Trainings ihr Leben verloren, ist nicht öffentlich bekannt.
ELITETRUPPE FEIERT 2016 IHREN 20. GEBURTSTAG
Kommendes Jahr feiert die Elitetruppe, deren Mitglieder diesen Ausdruck selbst nie in den Mund nehmen würden, ihren 20. Geburtstag. Seit seiner Gründung war das KSK in Krisengebieten weltweit im Einsatz, auch wenn wegen der Geheimhaltung nur wenig Details durchsickerten: So nahmen Mitglieder des KSK in den 90er Jahren Kriegsverbrecher auf dem Balkan fest und waren ab 2001 als erste deutsche Soldaten am Hindukusch.
Mehrfach zog das KSK auch Kritik auf sich: So wurde dem früheren Kommandeur Reinhard Günzel eine Nähe zum rechten Rand vorgeworfen. 2003 wurde er deshalb in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Einige Jahre später beschuldigte der ehemalige Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz KSK-Soldaten, ihn im afghanischen Kandahar misshandelt zu haben. Die Bundesregierung wies die Vorwürfe im Untersuchungsausschuss des Bundestags zurück. Ein Prozess konnte die Vorwürfe nicht klären, es blieb Aussage gegen Aussage stehen.
Abseits solcher Querelen kämpft die Elitetruppe auch knapp zwei Jahrzehnte nach ihrer Gründung noch immer mit zahlreichen Absurditäten. So fehlt ausgerechnet den Soldaten, die fast nur nachts arbeiten, weiter eine ausreichende Zahl an hochwertigen Nachtsichtgeräten. "Wir müssen innerhalb von Bruchteilen von Sekunden entscheiden: Ist das eine Geisel oder nicht?" sagt Tom. "Wenn ich mit dem Nachtsichtgerät aber nur ein grünlich-verzerrtes Grisselbild sehe, tue ich mich da schwer."
"MANCHEN SIND WIR FRAGWÜRDIG, WEIL WIR IM GEHEIMEN AGIEREN"
Auch das grundsätzliche Misstrauen, das viele der Truppe wegen der strikten Geheimhaltung entgegenbringen, nervt die Soldaten. "Für Anhänger bestimmter Richtungen sind wir fragwürdig, weil wir im Geheimen agieren", sagt Tom. "Aber wir sind keine Männer, die mit verdeckten Gesichtern allein losgelassen werden und dann tabula rasa machen. Das steht mir bis hier. Hier sind Leute, die bereit sind, bis zum Ende zu gehen - und zwar für andere, für Deutschland, das ist kein Selbstzweck. Ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie, genau, wie Sie hier stehen, das aufschreiben können - selbst, wenn es mir vielleicht nicht gefällt."
Die Bundeswehr kämpft insgesamt gegen das "freundliche Desinteresse" und wünscht sich mehr Rückhalt, wie das in den meisten anderen Staaten ganz normal ist. Doch für das KSK stellt sich die Situation verschärft dar - einerseits wegen der Geheimhaltung, andererseits, weil es bei seinen Aufträgen meist um Leben und Tod geht. Denn am Ende sind es die Kommando-Soldaten, die in kritischen Situationen ganz konkrete Entscheidungen treffen und die Konsequenzen dafür tragen müssen, egal, wie unscharf die Ansagen aus der Politik auch sein mögen.
"In Deutschland fällt es vielen Politikern schwer, klar Position zu beziehen. Sie schlawinern sich so durch, wollen es dem einen recht machen und gleichzeitig den anderen nicht verprellen", bemängelt Tom und spielt unter anderem auf die langwierige Debatte über den Kauf bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr an. Erst nach Jahren hitziger Auseinandersetzungen scheint inzwischen klar zu sein, dass auch Deutschland künftig solche Waffen beschaffen wird, die die USA schon lange in Kriegen wie in Afghanistan einsetzen.
"Wir leben in einer gewaltentwöhnten Gesellschaft, in der sich viele ethisch sehr erhaben fühlen", sagt Tom. Er verstehe, dass die deutsche Politik den Prinzipien des Dialogs und Konsenses folge. "Aber in der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik sind meiner Meinung nach auch Durchsetzungsfähigkeit und das Bekenntnis zu klaren Positionen gefragt, da man ansonsten nur schwerlich ernstgenommen werden kann."
Besonders schmerzhaft vermisste die Elitetruppe den Rückhalt der Politik, als vor zweieinhalb Jahren mit Daniel W. erstmals ein KSK-Soldat im Gefecht in Afghanistan getötet wurde. Die Umstände werden bis heute geheimgehalten. Es halten sich aber Berichte, dass die deutschen Soldaten von den Polizisten einer afghanischen Spezialeinheit im Stich gelassen wurden. Die Bundesregierung ließ den Einsatz des KSK damals weiterlaufen. Viele Mitglieder der Elitetruppe hätten sich dagegen nach dem Tod ihres Kameraden eine härtere Gangart gegenüber der Führung in Kabul gewünscht, um weiteren derartigen Vorfällen einen Riegel vorzuschieben. "Es wäre schön gewesen, wenn sich die politische Führung hier eindeutig positioniert und hinter uns gestellt hätte", sagt einer der Soldaten ruhig.
Für die Geiseln in dem Bunker auf Rügen jedenfalls geht die Nacht gut aus, die Befreiungsaktion glückt. Am Himmel ziehen außer Hörweite noch immer die Hubschrauber ihre Kreise, als am Boden Toms Stimme zu hören ist: "Zurück zur Landezone, gleicher Weg, wie wir reingekommen sind - nicht abweichen!" warnt er vor Sprengfallen. Im Gänsemarsch führen die Soldaten die befreiten Geiseln zu der Wiese, die den Hubschraubern als Landeplatz dient. Kurz darauf ist das Knattern der Rotoren zu hören, die Helikopter setzen auf und nehmen die ganze Truppe an Bord. Als sie abheben und wieder Stille über der Ferieninsel einkehrt, ist nicht einmal eine halbe Stunde seit Beginn des Zugriffs vergangen. (Redigiert von Alexander Ratz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern 069/7565-1312 oder 030/2888-5168.)