- von Gernot Heller und Frank Siebelt
Berlin (Reuters) - Dass er gern Nachfolger des mächtigen EZB-Präsidenten Mario Draghi werden möchte, hat Jens Weidmann noch nicht gesagt.
Dass er es nicht will, hat der Bundesbank-Präsident aber auch nicht verkündet. Und Kanzlerin Angela Merkel, deren entschiedene Unterstützung eine Vorbedingung für ein solches Aufrücken ihres früheren Chef-Wirtschaftsberaters wäre, hat sich ebenfalls noch nicht öffentlich positioniert. "Die Amtszeit von EZB-Präsident Draghi geht bis Herbst 2019. Wir haben jetzt Februar 2018. Es liegt jetzt kein Diskussions- und erst recht kein Entscheidungsbedarf vor", lässt sie ihren Sprecher Steffen Seibert dieser Tage dazu verkünden. Doch die Diskussion über die wichtige Personalie hat längst begonnen.
Es war ein hochrangiges Mitglied aus Merkels Kabinett selbst, das vor Monaten im kleinen Kreis die Debatte anschob. "Warum eigentlich kein Deutscher?", lautet die rhetorische Frage, als das Thema Draghi-Nachfolge aufkam. Schließlich habe sich Europas größte Volkswirtschaft bislang regelmäßig hinten angestellt, wenn es um das vielleicht mächtigste Amt in der europäischen Finanzwelt ging, und anderen den Vortritt gelassen: dem Niederländer Wim Duisenberg, dem Franzosen Jean-Claude Trichet oder dem Italiener Mario Draghi. Daher wäre eigentlich Deutschland mal dran, sagte das Kabinettsmitglied - um später selbst in den Chor der offiziellen Abwiegler einzutreten, die da sagten: "Nicht die Zeit für solche Spekulationen."
Als die EU-Finanzminister jüngst den Spanier Luis de Guindos zum Kandidaten für den freiwerdenden EZB-Vizejob kürten, hieß es, die Chancen für einen künftigen EZB-Chef Weidmann hätten sich verbessert. Denn zuvor war auch schon ein Südeuropäer Chef der Eurogruppe geworden. Und als "Die Zeit" berichtete, die SPD habe Merkel signalisiert, sie würde eine Kandidatur Weidmanns unterstützten, schien noch eine Hürde aus dem Weg geräumt.
Doch dieser Eindruck ist womöglich verfrüht. Denn die Belege für ein Ja der SPD zu Weidmann sind eher vage. Von einer festen Zusage der Sozialdemokraten kann derzeit wohl keine Rede sein. "Offiziell wird ihnen dazu keiner was sagen", sagte ein führender Vertreter der Partei. Und im Hintergrund machen gleich mehrere aus der Führungsriege klar: "Es gibt definitiv keine solche Nebenabsprache." Die SPD habe momentan andere Probleme. Es sei aber auch nicht so, dass es eine Front in der SPD gegen Weidmann gebe.
Merkel selbst hat bislang auch nicht erkennen lassen, ob sie das EZB-Amt wirklich für Deutschland durchkämpfen will, sagt ein Insider. Die Mehrheit der Mandatsträger in der Union tendierten zwar in diese Richtung. Andere aber fürchteten, der Preis, um Weidmann vor allem bei den südlichen Euro-Ländern durchzusetzen, wäre zu hoch: dies könne Abstriche in Fragen einer Transfer- und Haftungsunion oder eine weniger strikte Haltung in Fragen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Folge haben. Weidmann gilt als einer, der, ähnlich wie Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Regierungen in Europa und der Welt immer wieder zu Strukturreformen und Budgetdisziplin gedrängt hat.
Zu Bedenken ist auch, dass in Europa in den nächsten Jahren viele hochrangige Jobs neu besetzt werden müssen - auch Spitzenjobs in Kommission und Rat. Das könnte, so ein Insider, auch persönliche Interessen Merkels tangieren. Klar sei aber: setzt Deutschland auf das EZB-Präsidentenamt, darf es sich kaum Hoffnung auf andere exponierte Positionen machen. Und wirft Berlin sein ganzes Gewicht in die Waagschale, dürfte es keinen anderen als Weidmann geben. Aber lohnt sich das? So ist zwar die Draghi-Nachfolge mit viel internationalem Prestige verbunden. Aber sollte die Wirtschaft mitspielen, dürfte die Geldpolitik nach dem Abgang des Italieners ohnehin in eine Richtung gehen, die mehr den deutschen Stabilitätsvorstellungen entspricht - wer immer dann an der Spitze steht. Top-Positionen in Kommission und Rat könnten somit attraktiver sein.
Mancher Europa-Kenner sieht die Gefahr, dass die Deutschen sich wieder nicht eindeutig entscheiden und am Ende mit leeren Händen dastehen. Ohne klare Strategie und Prioritäten habe man aber wenig Aussichten. Das habe sich erst jüngst gezeigt, als es um die künftigen Sitze der Europäischen Bankenbehörde EBA und der EU-Arzneimittelbehörde ging: Deutschland wollte am liebsten beide - und erhielt am Ende nichts.