Nur wenige Tage vor der ProSiebenSat.1-Hauptversammlung am 5. Mai ließ der italienische Hauptaktionär Media for Europe (MFE) verlauten, keinen eigenen Kandidaten für den Aufsichtsrat vorzuschlagen. Diese Nachricht mag mit Erleichterung bei ProSiebenSat.1 (ETR:PSMGn), Deutschlands größtes TV-Unternehmen, aufgenommen sein, denn die Bayern liegen schon seit langem mit den Italienern über ProSiebens mangelndem Interesse an pan-europäischer Kooperation im Streit.
MFE gehört seit Anfang April dieses Jahres mehr als 25 Prozent an ProSieben (ETR:PSMGn) und war wenig erfreut, als der ProSieben-Aufsichtsrat beschloss, den Vertrag von CEO Ranier Beaujean bis 2027 zu verlängern und auf der kommenden Hauptversammlung Kandidaten für die Neuverteilung von drei Aufsichtsratssitzen auszuwählen. Nun ist MFE bereit, für den ehemaligen Springer-Manager Andreas Wiele als neuem Aufsichtsratschef zu stimmen und sich bei den restlichen Kandidaten zu enthalten – eine wichtige Deeskalation, auch wenn der Konflikt auf anderen Ebenen weiterhin schwelt.
Eine Frage des Vertrauens
Als Reaktion auf MFEs Ankündigung, eigene Kandidaten aufstellen zu wollen, sagte Beaujean im Dezember 2021, dass Prosiebens Fokus darauf liege, „Kandidaten zu haben, die am besten für die Strategie von ProSiebenSat.1 in den nächsten drei bis fünf Jahren geeignet sind.“ Verständlicherweise wurde dies als Affront gegen die Italiener aufgefasst, aber schlimmer dürfte die Tatsache wiegen, dass ProSieben derzeit von diesen hehren Absichten weit entfernt ist.
Durch einen Blick auf die Kandidaten-Liste zur Aufsichtsratswahl wird schnell klar, dass ProSieben weiterhin auf Kandidaten mit wenig überzeugender Bilanz besteht. So steht beispielsweise Bert Habets, ehemals CEO der RTL Group (H:RRTL), zur Wahl. Seinerzeit hat Habets bei RTL wenig geglänzt, was auch durch die Entscheidung von RTL deutlich wurde, vom Protokoll abzuweichen und sich ausdrücklich zu weigern, das übliche Entlassungsprotokoll für Habets in Kraft zu setzen – ein klares Misstrauensvotum gegen den CEO.
Habets war im April 2019 überraschend von seinem RTL-Posten zurückgetreten und auch wenn über die genauen Gründe für seinen Abgang nur spekuliert werden kann, so haben einige Kommentatoren doch auf eine potenzielle Ursache hingewiesen. Kai-Hinrich Renner, in einem damals in der Medienblase viel beachteten Artikel in der Berliner Morgenpost, sprach von Habets‘ angeblichen Versäumnis, einen Fall von mutmaßlicher Veruntreuung durch einen Manager bei StyleHaul – einer Tochter-Gesellschaft der RTL Group – angemessen verfolgt zu haben.
Im Jahr 2019 stellte StyleHaul seinen Betrieb ein, nachdem das Unternehmen für RTL zu einem Milliongrab geworden war. Gleichzeitig wurde Dennis Blieden, ein ehemaliger StyleHaul-Manager und professioneller Pokerspieler, verhaftet und der Untreue für schuldig befunden. Blieden hatte satte 22 Millionen Dollar (rund 22,3 Millionen Euro) abgezweigt, um seine Poker- und persönlichen Schulden, sowie durch Fehlinvestitionen in Kryptowährungen entstandene Verluste, zu begleichen. Blieden wurde im vergangenen Jahr zu mehr als sechs Jahren Haft in einem US-Bundesgefängnis verurteilt.
Aufbruch durch Umbruch
Dem Handelsblatt zufolge wurde Habets darüber hinaus mangelnde Präsenz im Firmensitz vorgeworfen, just als Bertelsmann, Teilinhaber der RTL Group, daran arbeitete, sich zu transformieren, um mit Tech-Giganten wie Amazon (NASDAQ:AMZN) und Netflix (NASDAQ:NFLX) konkurrenzfähig zu bleiben. Sollte Habets in den Aufsichtsrat gewählt werden, zeugt dies nicht gerade von Aufbruchsstimmung bei ProSieben. Dabei muss das Unternehmen jetzt handeln, sollen die fetten Jahre auch in Zukunft weitergehen können.
In der Tat hat Beaujean einige Änderungen angekündigt, die ein feines Gespür für das Publikum verlangen. In Folge des Rekord-Umsatzes von 4,49 Milliarden Euro für 2021 – dank Werbeeinnahmen – setzt Beaujean auf den Ausbau lokaler Inhalte um diese „über klassisches Fernsehen und neue Kanäle wie die werbefinanzierte Streaming-Plattform Joyn“ weit auszustrahlen.“ Dieser Schritt könnte sich mit Blick auf die wachsende Streaming-Konkurrenz in der Tat als erfolgreich erweisen.
Anderseits benötigt ProSiebens angekündigter Plan zur Erweiterung des Nachrichtensegments in Zeiten des Ukraine-Krieges etwas mehr Finesse. Das Unternehmen hatte schon Anfang 2021 die ersten Schritte in Richtung einer seriöseren Berichterstattung über Politik gemacht. Durch den Wechsel der beliebten Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis und des Moderators der Sportschau, Matthias Opdenhövel von der ARD zu ProSieben, wurden den öffentlich-rechtlichen Sendern zwar bekannte Gesichter abgejagt, doch der Erfolg blieb bislang aus.
Das vielgepriesene Talk-Format Zervakis & Opdenhövel. Live. sollte ProSieben mehr Relevanz und Glaubwürdigkeit abseits des oft mit Klamauk gefüllten Unterhaltungsprogramms verschaffen, aber statt immer neuen Quotentiefstmarken ist daraus nicht mehr geworden. Ob das Experiment gescheitert ist, ist noch nicht abschließend zu sagen. Doch es dürfte klar sein, dass es weit mehr als nur bekannte Gesichter braucht, um eine seriöse Nachrichtensparte aus dem Boden zu stampfen.
In diesem Sinne kann die baldige Hauptversammlung durchaus richtungsweisend für ProSiebenSat.1 werden. Viel steht auf dem Spiel und das Unternehmen wird einen langen Atem brauchen, um die beeindruckenden finanziellen Erfolge des letzten Jahres zu wiederholen. Das richtige Personal in den Führungsetagen ist dabei von essenzieller Bedeutung. Wird ProSieben den richtigen Weg gehen oder sein Wachstum gefährden?
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