- von Humeyra Pamuk
Istanbul/Washington (Reuters) - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht nach den jüngsten US-Strafmaßnahmen gegen sein Land mit einer wirtschaftlichen und politischen Abkehr vom Westen und kündigt eine stärkere Hinwendung zu Russland, China und der Ukraine an.
Sein Land habe Alternativen, schrieb Erdogan in einem Meinungsartikel in der "New York Times" vom Wochenende. Wenn die USA die Souveränität der Türkei nicht respektierten, "könnte unsere Partnerschaft in Gefahr geraten", erklärte Erdogan. Dann könnte es für die Türkei nötig werden, sich "nach neuen Freunden und Verbündeten umzuschauen". Den Kursverfall der Lira vom Freitag bezeichnete er als "Raketen" in einem Wirtschaftskrieg gegen sein Land. Der Weg aus der "Währungsverschwörung" bestehe darin, die Produktion zu steigern und die Zinsen zu senken.
Erdogan sagte am Samstag vor Anhängern, die Türkei bereite sich darauf vor, den Handel mit Russland, China und der Ukraine in nationalen Währungen abzuwickeln. Zugleich warnte er die Regierung in Washington im Streit um den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson vor einem Ende der Partnerschaft. Die Türkei lasse sich durch Drohungen nicht auf Linie bringen. "Es ist schade, dass Ihr einen Pastor Eurem strategischen Nato-Partner vorzieht", sagte er auf einer Kundgebung in der Schwarzmeer-Stadt Unye an die Adresse der USA.
Bereits am Freitagabend, nach Ankündigung der höheren Strafzölle auf Stahl und Aluminium, hatte Erdogan mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Dabei sei es unter anderem um strategische Projekte bei der Zusammenarbeit im Energiesektor und die wirtschaftlichen Beziehungen gegangen, teilte das russische Präsidialamt mit. Aus Erdogans Staatskanzlei verlautete, es sei auch über die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich und über Syrien gesprochen worden. Beide hätten sich erfreut über die positive Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen geäußert. Von wem die Initiative zu dem Telefonat ausging, wurde nicht mitgeteilt.
ERDOGAN FORDERT TÜRKEN ZUM KAUF VON LIRA AUF
Inmitten der Währungskrise in der Türkei hatten die USA am Freitag den Druck auf Erdogan erhöht. Wegen des Streits um Brunson ordnete Trump eine Verdoppelung der Sonderzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei an. "Unsere Beziehungen zur Türkei sind derzeit nicht gut", twitterte Trump. Wie schon am Vortag rief Erdogan die Türken am Samstag auf, "in diesem Krieg um Unabhängigkeit und Zukunft" Dollar und Euro in Lira zu tauschen. "Denn das ist die Sprache, die sie verstehen", sagte er. Schon am Vortag hatte Erdogan von einem Wirtschaftskrieg gesprochen, den die Türkei gewinnen werde. Während seiner Rede war die Lira allerdings weiter abgesackt. Die türkische Währung brach zeitweise um etwa ein Fünftel ein, seit Jahresbeginn hat sie etwa 40 Prozent an Wert verloren.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier warnte angesichts der US-Strafzölle gegen die Türkei und China vor gravierenden Folgen für die Weltwirtschaft. "Dieser Handelskrieg verlangsamt und zerstört Wirtschaftswachstum und produziert neue Unsicherheiten", sagte er der "Bild am Sonntag". "Wir wollen, dass die Türkei ein stabiles und demokratisches Land ist. Gute Wirtschaftsbeziehungen tragen dazu bei", sagte der Minister der im Oktober mit einer großen Wirtschaftsdelegation das Land besuchen will.
MEHRERE SPANNUNGSFELDER IN DEN BEZIEHUNGEN ZU DEN USA
Die türkischen Ermittler werfen Brunson Verbindungen zu dem in den USA lebenden Geistlichen Fethullah Gülen vor, der nach Darstellung der Regierung in Ankara hinter dem Putschversuch vor zwei Jahren steht. Wegen des Streits haben die Nato-Partner bereits Minister des jeweils anderen Staates mit Sanktionen belegt. Zudem sind die Beziehungen wegen unterschiedlicher Auffassungen zum Syrien-Konflikt und des Kaufs eines russischen Flugabwehrsystems für die türkische Armee gespannt.
Die Türkei ist seit 1952 Nato-Partner der USA. Die türkische Luftwaffenbasis in Incirlik wird von US-Streitkräften genutzt. Zudem ist in der Türkei eine für das Raketenabwehrsystem der Nato gegen den Iran wichtige Radaranlage installiert.
Erdogan verwies in seinem Gastbeitrag ausführlich auf die Weigerung der USA, Gülen auszuliefern. Zudem forderte er Respekt für das Vorgehen der türkischen Justiz gegen Brunson ein, wozu er Trump im persönlichen Gespräch mehrfach aufgefordert habe. Als weiteren "Grund für Frustration" führte er die US-Unterstützung für die kurdischen Rebellen in Syrien an, die die Türkei als Ableger der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK sieht. Alle Argumente der Türkei zu diesen Punkten stießen in den USA auf taube Ohren, beklagte Erdogan.