- von Rene Wagner und Reinhard Becker
Berlin (Reuters) - Die deutsche Wirtschaft wächst nach der Beinahe-Rezession wieder.
Dank Bauboom und kauffreudiger Verbraucher legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Auftaktvierteljahr um 0,4 Prozent zu, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Industrieverbände und Ökonomen traten trotzdem auf die Euphoriebremse: Der Handelskonflikt zwischen den USA und China, drohende US-Zollerhöhungen auf europäische Autos und der ungewisse Brexit-Ausgang könnten die Konjunktur wieder dämpfen. "Das Wachstum im ersten Quartal dieses Jahres ist ein erster Lichtblick", erklärte Altmaier auf Reuters-Anfrage. "Gleichwohl ist es kein Grund zur Entwarnung."
In der zweiten Jahreshälfte 2018 war der Aufschwung zum Stillstand gekommen: Im dritten Quartal schrumpfte Europas größte Volkswirtschaft um 0,2 Prozent, ehe sie im Schlussvierteljahr stagnierte. Dass diese Schwächephase nun überwunden wurde, liegt vor allem an der robusten Binnenkonjunktur. "In Bauten und in Ausrüstungen wurde deutlich mehr investiert", erläuterten die Statistiker. Dazu dürften niedrige Zinsen und der enorme Bedarf an Wohnungen beigetragen haben, aber ebenso der milde Winter. "Auch die privaten Konsumausgaben legten gegenüber dem Vorquartal kräftig zu", ergänzte das Bundesamt. Das dürfte an der Rekordbeschäftigung und höheren Löhnen liegen, aber auch an Entlastungen der Arbeitnehmer. Die Konsumausgaben des Staates schrumpften hingegen. Exporte und Importe legten jeweils zu.
"Die Rezessionsgefahren für Deutschland sind zuletzt deutlich zurückgegangen und liegen nun unter 30 Prozent", sagte der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts, Sebastian Dullien. Bei zwei Minus-Quartalen in Folge wird von Rezession gesprochen, was im zweiten Halbjahr 2018 beinahe eingetreten wäre. "Man könnte von einem gelungenen Start sprechen, wenn da nicht die wieder aufflammenden Sorgen über einen eskalierenden Handelskrieg wären", betonte DekaBank-Ökonom Andreas Scheuerle. "In normalen Zeiten wären die heute gemeldeten Wachstumszahlen ein Grund, die Prognosen nach oben zu revidieren. Doch im Angesicht der akuten Bedrohungen für den Welthandel werden die Konjunkturexperten davon wohl zunächst noch Abstand nehmen."
WIRTSCHAFT FORDERT ENTLASTUNG
Derzeit überziehen sich die USA und China gegenseitig mit höheren Zöllen, was die Weltkonjunktur dämpft. Möglicherweise verkünden die USA bereits am Wochenende höhere Zölle für europäische Autos, worunter vor allem Deutschland leiden würde. Einige Experten befürchten, dass der Aufschwung wieder an Tempo verlieren könnte. "Eine langsamere Gangart im Frühjahr ist wahrscheinlich", sagte UniCredit-Ökonom Andreas Rees.
Bundesregierung und EU-Kommission rechnen für das Gesamtjahr 2019 jeweils nur mit einem deutschen BIP-Anstieg von 0,5 Prozent, nachdem es 2018 noch zu 1,4 Prozent gereicht hatte. Die Wirtschaft fordert, sich nicht auf die Binnenkonjunktur zu verlassen. "Zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit sehen unsere Unternehmen bei Bürokratie und Unternehmensbesteuerung aktuell konkreten Handlungsbedarf", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. Zuvor hatte die große Koalition ein Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem kleinere und mittlere Unternehmen mindestens eine Milliarde Euro an Bürokratiebelastungen sparen sollen. Altmaier bekräftigte: "Auch halte ich Entlastungen bei der Körperschaftsteuer, beim Soli oder auch bei den Energiepreisen weiter für möglich und notwendig."
Nicht nur die deutsche, sondern auch die Wirtschaft der Euro-Zone wuchs im ersten Quartal um 0,4 Prozent. Das Statistikamt Eurostat bestätigte eine entsprechende frühere Schnellschätzung. Was allerdings die Konjunkturdynamik angeht, blieb die Euro-Zone weit hinter den USA zurück. Dort legte das BIP zu Jahresbeginn mit 0,8 Prozent doppelt so stark zu. Frankreich, die nach Deutschland zweitgrößte Volkswirtschaft des Währungsraums, kam auf ein Plus von 0,3 Prozent, die Nummer drei Italien sogar nur auf 0,2 Prozent. Spanien schaffte hingegen ein überdurchschnittliches Wachstum von 0,7 Prozent, ebenso die Niederlande mit 0,5 Prozent.