- von Reinhard Becker und Jörn Poltz
Berlin/München (Reuters) - Angesichts von Zollstreit und Konjunkturschwäche geht die deutsche Wirtschaft mit wachsendem Pessimismus ins zweite Halbjahr.
Das Barometer für das Geschäftsklima fiel im Juni den dritten Monat in Folge, wie das Münchner Ifo-Institut am Montag zu seiner monatlichen Manager-Umfrage mitteilte. "Die deutsche Konjunktur flaut weiter ab", sagte Ifo-Chef Clemens Fuest zu dem viel beachteten Frühindikator, der um einen halben Punkt auf 97,4 Zähler abrutschte - den niedrigsten Wert seit November 2014. Die Führungskräfte beurteilten ihre Geschäftslage zwar besser, die Aussichten für die kommenden sechs Monate hingegen deutlich schlechter. Dies gilt als schlechtes Omen für die herbeigesehnte Erholung der Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte.
Laut Ifo lastet insbesondere der Handelskonflikt zwischen den USA und China auf der Stimmung in den deutschen Chefetagen. "Gesamtwirtschaftlich erwarten wir aber keine Rezession", sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe der Nachrichtenagentur Reuters. Die schrumpfende Industrie ziehe die Stimmung nach unten, doch Handel, Dienstleister und Bau seien "noch immer sehr gut aufgestellt". Am Bau seien die Auftragsbücher voll. "Aber es kommt nicht mehr so viel nach, auch weil die Preise der Branche so stark gestiegen sind", erläuterte der Ifo-Konjunkturexperte.
Die Münchner rechnen für das laufende Quartal mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung, nach einem Plus beim deutschen Bruttoinlandsprodukt von 0,4 Prozent zu Jahresbeginn. Die Forscher des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) haben jüngst bessere Aussichten für die zweite Jahreshälfte vorhergesagt. Dafür spreche, dass der private Konsum mit den weiter kräftig steigenden Einkommen wieder spürbar zulegen dürfte. Laut jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hatten Arbeitnehmer auch Anfang 2019 wieder mehr Geld in der Tasche. Die Reallöhne lagen zwischen Januar und März 1,2 Prozent über dem Niveau des Vorjahresquartals.
"KALTE DUSCHE"
Doch insbesondere wegen der Industrie-Rezession ist laut Allianz-Ökonomin Katharina Utermöhl eine rasche Verbesserung der wirtschaftlichen Perspektiven nicht in Sicht: "Die erhöhte politische Unsicherheit rund um Handel, Italien und Brexit sowie der verhaltenen Ausblick für die Automobilbranche dürften auch im zweiten Halbjahr der deutschen Industrie Sorgen bereiten."
Der Deutschland-Chefvolkswirt der Großbank UniCredit (MI:CRDI), Andreas Rees, spricht mit Blick auf die eingetrübten Geschäftserwartungen der deutschen Manager von einer "kalten Dusche": "Wir vermuten, dass die jüngste Schwäche am Arbeitsmarkt dabei eine Rolle gespielt haben könnte." Im Mai stieg die Zahl der Arbeitslosen zum Vormonat überraschend um 7000 auf 2,236 Millionen. Und die Bundesagentur für Arbeit bereitet sich angesichts der abkühlenden Konjunktur auf einen Anstieg der Kurzarbeit in verschiedenen Industriebranchen vor.
"Tatsächlich ist die deutsche Volkswirtschaft derzeit nicht auf Rosen gebettet", sagte Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank. Neben den internationalen Zollkonflikten und der Gefahr eines harten Brexits bereiten der Wirtschaft auch wachsende Spannungen zwischen den USA und dem Iran Sorgen. Der Konflikt belastet das Geschäftsklima in Deutschland nach Einschätzung des Ifo-Instituts bisher jedoch nicht wesentlich. "Einen größeren Einfluss des Iran-Konflikts erwarte ich erst, wenn es zu einer weiteren Verschärfung oder zu einem signifikanten Anstieg des Ölpreises kommt", so Ifo-Konjunkturexperte Wohlrabe.