FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft bleibt auf Talfahrt. Das Ifo-Geschäftsklima hat sich im September abermals verschlechtert. Das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer fiel im Vergleich zum Vormonat um 1,2 Punkte auf 85,4 Zähler, wie das Ifo-Institut am Dienstag in München mitteilte. Es ist der vierte Rückgang des Konjunkturbarometers in Folge und der tiefste Stand seit Januar. "Die deutsche Wirtschaft gerät immer stärker unter Druck", kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Einschätzungen von Bank-Volkswirten zu den Ifo-Daten im Überblick:
Christoph Swonke, Analyst DZ Bank
"Die Geschäftserwartungen bewerten die befragten Unternehmen etwas schlechter als im Vormonat, deutlich pessimistischer sehen sie dagegen die aktuelle Lage. Auch auf Branchenebene trübt sich bis auf das Baugewerbe das Geschäftsklima ein. Der aktuelle Ifo-Index komplettiert also die mauen Einschätzungen, die schon andere Umfragen wie das ZEW-Barometer und die Einkaufsmanagerindizes vorgelegt haben. Zum Ende des dritten Quartals wird damit klar: Die hiesigen Unternehmen zeichnen ein düsteres Bild der deutschen Wirtschaft. Ein Aufschwung ist derzeit nicht in Sicht und Deutschland ist das neue Sorgenkind der Euroländer."
Claus Vistesen, Chefvolkswirt für die Eurozone bei Pantheon Macroeconomics
"Die größte Volkswirtschaft der Eurozone steht erneut kurz vor einer Rezession. Die Investitionen (ohne Lagerbestände) haben sich in der ersten Jahreshälfte deutlich abgeschwächt, und der erwartete Aufschwung bei den Verbraucherausgaben wegen steigender Realeinkommen ist noch nicht eingetreten. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass dies mit der Zeit geschehen wird, unterstützt durch niedrigere Zinsen, aber andere Umfragen deuten darauf hin, dass der Pessimismus in der deutschen Wirtschaft nun auf breiter Front zunimmt - mit der bemerkenswerten Ausnahme des IAB-Arbeitsmarktindikators, der sich nun leicht verbessert."
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING (AS:INGA) Bank
"Die deutsche Wirtschaft ist wieder da, wo sie vor einem Jahr war: das Wachstumsschlusslicht der Eurozone mit wenig Anzeichen für eine baldige Besserung. Nach der Schrumpfung der Wirtschaft im zweiten Quartal geben alle verfügbaren Stimmungsindikatoren für die ersten beiden Monate des dritten Quartals nur wenig Anlass zu Optimismus."
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank
"Frei nach Beckett: Warten auf den Aufschwung. Diesmal kommt er nicht, weil sowohl Konsumenten als auch Unternehmen verunsichert sind: schlechte Nachrichten rund um wichtige deutsche Unternehmen, zerstrittene Politik, geringe Auslandsnachfrage. Mittlerweile kommen sogar Stress-Signale vom deutschen Arbeitsmarkt. Das kann dazu führen, dass die deutschen Verbraucher auch in den kommenden Monaten - trotz steigender Einkommen - ihr Portemonnaie verschlossen halten."
Jens-Oliver Niklasch, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg
"Der erneute Rückgang des Geschäftsklimas ist schon ernüchternd genug. Dazu kommt, dass speziell der Lage-Index von ohnehin niedrigem Niveau nochmals deutlich gefallen ist. Für das dritte Quartal mehren sich die Zeichen für eine rückläufige Wirtschaftsleistung in Deutschland. Es ist gut möglich, dass die jüngsten Daten sogar die Europäische Zentralbank (EZB) dazu veranlassen, eine erneute Zinssenkung schon im Oktober ernsthaft ins Auge zu fassen. Allerdings hat die hiesige gewerbliche Wirtschaft derzeit ein Strukturproblem, sodass eine Lockerung der Geldpolitik allein nicht genügen wird, um für Deutschland Wachstumsimpulse zu setzen."
Michael Herzum, Leiter Economics und Macro Strategy bei Union Investment
"Es ist klar: Deutschland als Industriestandort hat schon glanzvollere Zeiten gesehen. Umso wichtiger ist, dass nun beherzt Reformanstrengungen unternommen werden. Der Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union, den der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi ausgearbeitet hat, zeigt auch für Deutschland einen Weg aus der Krise. Zu hoffen ist, dass die neu formierte EU-Kommission diesen Impuls aufnimmt und in den nächsten Jahren eine Wende einleitet."
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank
"Die schiere Zahl an Problemen zeigt schon, eine rasche Besserung ist nicht zu erwarten. Mutige Reformschritte könnten unzweifelhaft für Milderung sorgen. Dazu gehört ein radikaler Abbau von bürokratischen Lasten und viel Geld für eine gute Schul- und Integrationspolitik, um die massiven Folgen des demografischen Wandels abzufedern.