- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Nach der Einigung ist vor dem Interpretationsstreit: Das ist auch bei der CDU-CSU-Vereinbarung über ein umfassendes Migrations- und Zuwanderungspaket so.
Denn seit Monaten hatte die CSU eine Obergrenze für die Aufnahme von maximal 200.000 Flüchtlingen pro Jahr gefordert - und die CDU dies ebenso vehement abgelehnt. Eine viel diskutierte Frage ist deshalb, wer sich in der Union bei den stundenlangen Beratungen eigentlich durchgesetzt hat. Dabei haben beide Seiten Argumente:
NEUE OBERGRENZE
- Vor allem die CSU verweist darauf, dass in der Unions-Vereinbarung zwar nicht das Wort "Obergrenze" erwähnt wird. Allerdings wird nun schriftlich die Zahl 200.000 als Zielmarke niedergeschrieben. Und dies bedeute die "Gesamtzahl für die Aufnahme aus humanitären Gründen", heißt es in der Vereinbarung.
- In dem Text wird zudem ausdrücklich erwähnt, dass dabei auch Asylbewerber und Familiennachzug mitgezählt werden sollen. Danach soll die Gesamtzahl von 200.000 Personen pro Jahr nicht mehr überschritten werden.
- Zudem verweist CSU-Chef Horst Seehofer darauf, dass schriftlich festgehalten ist, dass sich das Jahr 2015 mit seinen sehr hohen Flüchtlingszahlen nicht wiederholen "wird und kann". Es folgt der Satz: "Das garantieren wir."
KEINE OBERGRENZE
- In dem Beschluss benutzt die Union die Formulierung "Wir wollen erreichen, dass ...". Das klingt mehr nach einem Wunsch als nach einer definitiven Festlegung.
- Außerdem wird statt der früheren Konzentration auf die Zahl der Ankommenden nun eine Netto-Bilanz aufgemacht. Im Klartext: Verlassen mehr Menschen Deutschland durch freiwillige Rückkehr oder Abschiebung, können auch mehr als 200.000 neu ankommen. Dies klingt nach einem "atmenden Deckel", den die Unions-Innenexperten Stephan Mayer und Armin Schuster oder auch die rheinland-pfälzische CDU-Landeschefin Julia Klöckner bereits 2016 vorgeschlagen hatten. Ein Beispiel: Kehren 50.000 Personen freiwillig oder durch Abschiebungen in ihre Heimat zurück, könnte die Zahl derjenigen, die aufgenommen würden, auf 250.000 in einem Jahr steigen.
- Es gibt einen Passus, dass im Ausnahmefall doch wieder abgewichen werden kann. Die Passage lautet: "Sollte das oben genannte Ziel wider Erwarten durch internationale oder nationale Entwicklungen nicht eingehalten werden, werden die Bundesregierung und der Bundestag geeignete Anpassungen des Ziels nach unten oder oben beschließen." 2015 war die Zahl der Flüchtlinge etwa durch den Krieg in Syrien und die schlechte Versorgung der Menschen in den Flüchtlingslagern im Libanon, Jordanien und der Türkei in die Höhe geschossen. Sowohl Seehofer als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betonten, dass die Zahl etwa bei steigender Arbeitslosigkeit und damit einer sinkenden Aufnahmefähigkeit Deutschlands auch sinken könne.
- Es wird in dem Papier ausdrücklich auf das Recht auf Asyl im Grundgesetz hingewiesen. Merkel betonte am Montag, es sei damit sichergestellt, dass auch die 200.001. Person nicht abgewiesen werde, sondern Anrecht auf eine individuelle Prüfung eines möglichen Schutz- oder Bleiberechts habe.