- von Markus Wacket und Holger Hansen
Berlin (Reuters) - Wenn viele Urlauber auf der Rückreise aus den Ferien in diesen Wochen auf Autobahnen und Landstraßen im Stau stehen, wird der oft beklagte Nachholbedarf bei der Infrastruktur ganz konkret.
Als Investitions-Stau im wörtlichen Sinn, denn vielerorts sind Autobahnen auf eine Spur verengt und Brücken gesperrt, weil der Verfall schneller voranschreitet als die Sanierung vorankommt. Längst hat die Instandhaltung von Straßen, Schienen und Wasserwegen Vorrang vor dem Neubau - und dennoch erhöht sich die Zahl maroder Bauwerke schneller als die der modernisierten. Deutschland fährt auf Verschleiß. Union wie SPD versprechen Abhilfe. Doch während die Sozialdemokraten das Übel mit einer Mindest-Investitionspflicht angehen wollen, hält die Union dagegen: Am Geld habe es zuletzt nicht mehr gemangelt, es werde zu wenig und vor allem zu langsam geplant.
Die Schiersteiner Brücke gilt als Musterbeispiel dafür, was in Deutschland falsch läuft. Die 1,3 Kilometer lange Autobahnstrecke über den Rhein zwischen den Landeshauptstädten Mainz und Wiesbaden wurde 1962 gebaut. Nach einigen Reparaturen über die Jahre nahmen im Jahr 2006 Experten das Bauwerk erneut unter die Lupe: "Nicht sanierungsfähig" lautete ihr Urteil. Erst 2013 wurde allerdings mit dem Bau begonnen, der 2020 fertig sein soll. 2015 musste die bisherige Brücke wegen Baufälligkeit zeitweise komplett gesperrt werden. Verzögert wurde der Neubau durch Streitigkeiten der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz, ob die Brücke vier oder sechs Spuren haben sollte.
Das Beispiel diente Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) als Argument für eine Autobahngesellschaft des Bundes, mit der den Ländern Zuständigkeiten entzogen werden. Denn der Bund gibt für seine Straßen das Geld, die Länder planen und bauen damit. "Jede Sanierung einer Brücke, für die es einen Planfeststellungsbeschluss gibt, bezahlen wir", sagt Dobrindt. "Das Nadelöhr sind nicht mehr die Finanzen, sondern die Planungen." Und meint damit: Weil Länder und Städte unter dem Spardiktat vergangener Jahre ihre Stellen für Bauingenieure und Planer abgebaut haben, wartet das Geld des Bundes vergeblich auf seinen Einsatz für Straßen und auch Schulen.
KOMMUNEN UND LÄNDERN MANGELT ES AN PERSONAL
Die staatliche KfW-Bank hat sich das besonders für die Kommunen genauer angeschaut: Es wurde nicht nur ein Investitionsrückstand von rund 130 Milliarden Euro ausgemacht. Auch in den vergangenen Jahren habe es trotz sprudelnder Steuereinnahmen keinen echten Investitionsschub gegeben. Dabei sollten die ärmsten Gemeinden über einen 3,5 Milliarden-Euro- Fonds des Bundes noch zusätzlich Mittel erhalten. Abgeflossen ist davon kaum etwas. Zwar haben die Kommunen seit 2010 wieder mehr Personal eingestellt, allerdings gilt dies nicht für die Bauämter, wo sogar weiter Stellen wegfielen. Zwar versuchen Länder und Kommunen nun wieder Personal zu finden, doch der Arbeitsmarkt für Bauingenieure ist leergefegt.
Vergleichsweise gut ausgestattet sind Bayern und Baden-Württemberg, wo folglich auch ein großer Teil der Bundesmittel für Bauprojekte hinfließt. Allerdings ist auch das Personal laut KfW nicht der alleinige Engpass, um Geld abfließen zu lassen. Sachsen etwa habe deutlich weniger Personal als Hessen, aber weit mehr gebaut. Es gehe um die Effektivität der Planung.
Dobrindt setzte daher eine Arbeitsgruppe "Planungsbeschleunigung" ein, deren Ergebnisse es ins Wahlprogramm der Union schaffte. Mit einem "Beschleunigungsgesetz" soll eine neue Regierung Verfahren standardisieren. Gerichtsverfahren für Ersatzneubauten sollen auf eine Instanz beschränkt werden.
Uwe Zimmer, Vize-Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, sieht in zusätzlichem Personal und Planungsbeschleunigung ebenfalls zwei Kernelemente. Allerdings habe auch SPD-Kanzlerkandidat Schulz einen Punkt: Man brauche mehr Geld. "Und wir brauchen das vor allem auch kontinuierlich über einen langen Zeitraum."
Tatsächlich zeigte sich bei der Deutschen Bahn, einem der größten Bauherren und Investor in Deutschland, wie sehr ein Jojo-Haushalt bremst. Die große Planungsabteilung des Staatskonzerns wurde in den mageren Jahren um die Jahrtausendwende drastisch zusammengestrichen, halbfertige Strecken und Brücken standen in der Landschaft herum. Als der Bund dann in einem Kraftakt zusätzliches Geld mobilisierte, konnte die Bahn das Geld gar nicht verbauen. Folge: Während Nachbarländer wie die Schweiz neue Bahn-Tunnel planmäßig durch den Gotthard bohren und auch in den Niederlanden die Rhein-Trasse auf Tempo ausgebaut wurde, stockt ausgerechnet im Musterland dazwischen der Verkehr.