- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Am Sonntag ließ die FDP die Regierungsbildung in Berlin platzen. Am Montag ging Deutschland bei der Sitzvergabe für die beiden aus Großbritannien abziehenden EU-Behörden leer aus.
Die zeitliche Nähe ist zwar reiner Zufall. Aber die Entscheidung, etwa die europäische Bankenaufsicht in Paris und nicht in Frankfurt anzusiedeln, wirkt dennoch wie ein Symbol für den derzeit schwierigen Stand Deutschlands in der EU. "Denn die Durchsetzungsfähigkeit Deutschlands und von Kanzlerin Merkel ist angekratzt", sagt etwa Nikolai von Ondarza, Europaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
Europaweit und vor allem beim engsten Partner Frankreich mache man sich Sorgen über eine lange politische Hängepartie ausgerechnet im größten und wichtigen EU-Staat, meint auch Sébastian Maillard, Direktor des Instituts Jacques Delors. Auch wenn es durchaus Häme für die Krise beim vermeintlichen Musterschüler Deutschland gibt - die politische Krise kommt zur Unzeit. "Es gibt ein Fenster für anstehende Reformen in der EU und der Euro-Zone bis 2019 - und das schließt sich langsam", warnt etwa von Ondarza. Sollten im Frühjahr 2018 Neuwahlen nötig werden, verkürze dies die Zeit für Reformberatungen.
Um Partner und Finanzmärkte zu beruhigen betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in mehreren Interviews, dass Deutschland trotz der geplatzten Sondierung stabil und handlungsfähig sei. Ihre Regierung ist einschließlich der SPD-Minister so lange geschäftsführend im Amt, bis eine neue steht. Immer wieder wird auf die Niederlande verwiesen, wo es ohne große Verwerfungen sieben Monate dauerte, bis Ministerpräsident Mark Rutte eine neue Koalition zustande bekam. "Aber Deutschland ist nun einmal das wichtiges EU-Land und hat eine Tradition der Stabilität", mahnt Ulrike Franke, Europaexpertin des European Council on Foreign Relations (ECFR). Merkel galt viele Jahre lang weltweit als die entscheidende Führungsfigur des Kontinents.
AUSLAND BESORGT ÜBER STILLSTAND
Aber derzeit spielen die Auswirkungen der parteipolitischen Querelen auf Europa in den innenpolitisch dominierten Berliner Diskussionen nicht einmal eine Rolle. Bei europäischen Partnern ist das anders. Das ZDF zeigte am Montag eine Szene, in der Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit besorgter Miene mit Blick auf die Regierungsbildung in Deutschland sagte: "Es ist nicht in unserem Interesse, dass sich das verkrampft." Der Franzose gehört zu den Hauptleidtragenden der Entwicklung in Berlin. Anfang des Jahres hatte die Bundesregierung noch darauf gewartet, dass die Wahlen in Frankreich stabile Verhältnisse an der Seine bringen würden. Jetzt wartet Macron seit Wochen, dass er zusammen mit Deutschland die von ihm angeschobenen Reformen in der EU umsetzen kann. Vorletzte Woche hatte er seinen Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire mit mahnenden Botschaften nach Berlin geschickt.
Aber in den vergangenen Wochen war Merkel zu einem sogenannten sondierungsfreundlichen Verhalten gezwungen - also großer Zurückhaltung in EU-Fragen angesichts eines nicht ausgehandelten Koalitionsvertrags. Theoretisch könnte die Kanzlerin nach dem Abbruch der Gespräche durch die FDP nun sogar befreit agieren und weitgehende Zugeständnisse in EU-Fragen machen - wenn sie bereit wäre, dafür die politische Verantwortung zu übernehmen. Eine Mehrheit im Bundestag hätte sie dafür zusammen mit SPD und Grünen. "Aber das ist nicht ihr Regierungsstil", winkt ECRF-Expertin Franke ab.
Zumindest in einem Punkt hat Macron übrigens bereits Klarheit erhalten, die ihn aber ebenfalls nicht erfreuen dürfte: Denn in den Sondierungen wurde deutlich, dass sowohl CDU, CSU, FDP als auch Grüne seine Idee eines neuen großen Euro-Zonen-Budgets ablehnen. Nur weiß Macron immer noch nicht, was eine neue Bundesregierung stattdessen bereit wäre zu tun. Immerhin stimmte Deutschland vergangene Woche einer engeren europäischen Verteidigungspolitik zu.
Aber der EU-Gipfel Mitte Dezember, der eigentlich als Startschuss für eine ernsthafte Debatte über die Reform der Euro-Zone gedacht war, dürfte nach Ansicht von EU-Diplomaten angesichts der derzeitigen deutschen Orientierungslosigkeit wenig ambitioniert ausfallen. Dabei hatte auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor, der Debatte neuen Schwung zu verleihen. Er will deshalb am 6. Dezember weitreichende Reformkonzepte vorlegen. Juncker war davon ausgegangen, dass bis dahin auch Deutschland wieder voll handlungsfähig sein würde.