Berlin (Reuters) - Die Geschäfte in der deutschen Wirtschaft wachsen kurz vor der Bundestagswahl so kräftig wie seit knapp sechseinhalb Jahren nicht mehr.
Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft - Industrie und Dienstleister zusammen - stieg im September überraschend um 2,0 auf 57,8 Punkte. Das ist der beste Wert seit April 2011, wie das Institut IHS Markit am Freitag zu seiner Umfrage unter rund 800 Firmen mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten eine Stagnation erwartet. "Die Ergebnisse zeigen, dass die deutsche Wirtschaft nur so vor Kraft strotzt", sagte Markit-Experte Phil Smith. "Wachstum und Beschäftigung legten gleichermaßen auf breiter Front kräftig zu." Der Eurokurs erhielt durch die guten Konjunkturdaten Rückenwind und wertete leicht auf.
Besonders gut läuft es derzeit in der Industrie. Hier kletterte der Einkaufsmanagerindex um 1,3 auf 60,6 Zähler und damit auf den höchsten Wert seit mehr als sechs Jahren. Das Barometer signalisiert bereits ab 50 Zählern Wachstum. "Dass die Industrie so gut abschnitt, lag ein weiteres Mal am außerordentlich guten Exportneugeschäft", erklärte Markit. Die Welthandelsorganisation WTO hatte ihre Prognose für das Wachstum im globalen Warenaustausch 2017 in dieser Woche von 1,3 auf 3,6 Prozent angehoben. Die Exportnation Deutschland profitiert davon. "In Deutschland läuft es rund", sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel.
Gemeinsam mit Frankreich schiebt Europas größte Volkswirtschaft die gesamte Euro-Zone an. In der Währungsunion kletterte der Index für die Privatwirtschaft im September um 1,0 auf 56,7 Punkte. Ökonomen hatten einen leichten Rückgang auf 55,5 Zähler erwartet. "Die Euro-Zone beendet den Sommer mit einem kräftigen Wachstumsschub", sagte Markit-Chefvolkswirt Chris Williamson. Die Aufträge legte so stark zu wie seit fast sechseinhalb Jahren nicht mehr. "Der von den Industrieunternehmen als Risiko eingestufte starke Euro hatte bislang offensichtlich nur eine begrenzte Auswirkung auf die Exporte", sagte Williamson. "Die Exporte füllten nicht nur die Auftragsbücher, sie ermutigen die Unternehmen auch zu weiteren Investitionen in das Wachstum."
Damit dürfte der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) steigen, den Einstieg in den Ausstieg aus ihrer extrem lockeren Geldpolitik zu wagen. "Das kräftige Wachstum wird es ihr erlauben, die unausweichliche Verringerung ihrer Anleihenkäufe 2018 als fundamental gerechtfertigt erscheinen zu lassen", sagte Commerzbank-Ökonom Christoph Weil. "Denn das kräftige Wachstum wird mittelfristig auch die Inflation anschieben." Die Teuerungsrate liegt mit 1,5 Prozent noch unter dem Zielwert der EZB von knapp zwei Prozent. Mit ihrer Nullzinspolitik und den Wertpapierkäufen will die Notenbank die Inflationsrate näher in den gewünschten Bereich bringen.