- von Peter Maushagen und Andreas Rinke
Brüssel/Berlin (Reuters) - Die britische Premierministerin Theresa May stößt mit ihrer Forderung nach Änderungen am Brexit-Abkommen in der EU auf taube Ohren.
Das aktuelle Vertragswerk sei der bestmögliche und einzige Deal für das Vereinigte Königreich, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Dienstag vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. "Es gibt überhaupt keinen Raum für Neuverhandlungen." Allenfalls Klarstellungen seien möglich. May kam am Mittag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen, um ihre Möglichkeiten auszuloten. Merkel sagte im Anschluss in der Unionsfraktion nach Angaben aus Teilnehmerkreisen, Nachverhandlungen werde es nicht geben.
Am Montag hatte May die geplante Brexit-Abstimmung im britischen Unterhaus vorerst abgesagt, da sie nicht mit der erforderlichen Mehrheit für die Austritts-Vereinbarung rechnen konnte. Was bei einem "Nein" geschehen würde, ist völlig unklar. Das Votum im Unterhaus ist nun vor dem 21. Januar geplant, wie ein Sprecher Mays mitteilte. Zustimmen muss dem Vertragswerk auch das Europäische Parlament, bevor das Vereinigte Königreich dann am 29. März aus der EU austritt. May versucht, der EU Zugeständnisse abzuringen, vor allem was die künftige Grenze zwischen Irland und Nordirland anbelangt. Dazu traf die britische Premierministerin am Vormittag auch den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte in Den Haag. Rutte sagte im Anschluss, es sei ein "nützliches Gespräch" gewesen.
Nach dem Treffen mit Merkel flog May nach Brüssel weiter, wo sie erst EU-Ratspräsident Donald Tusk und später Kommissionspräsident Juncker treffen wollte. Auf der Europatour will sie ausloten, wie weit die europäischen Spitzenpolitiker vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag bereit sind für Nachverhandlungen des umstrittenen Brexit-Deals. Juncker wies dies zurück und betonte, es gebe allenfalls Raum für "Klarstellungen und Interpretationen". Auch Merkel machte in der Unionsfraktion nach Angaben aus Teilnehmerkreisen klar, man könne sich allenfalls um "Sicherungen" für die Briten bemühen. SPD-Chefin Andrea Nahles sagte, ein "wildes Nachverhandeln" könne es nicht geben.
An den Finanzmärkten wurde die Absage der EU-Partner erwartet. Das britische Pfund gewann nach dem Absturz auf den tiefsten Stand seit eineinhalb Jahren am Montag nun 0,4 Prozent zum Dollar. Seit dem EU-Referendum im Sommer 2016 sank die Währung um ein Viertel.
IFO FÜR NACHVERHANDLUNGEN - HARTEN BREXIT VERMEIDEN
Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar forderte die britische Regierung auf, den Brexit-Prozess auszusetzen. "Jeder möchte ein No-Deal-Szenario vermeiden, und das Vereinigte Königreich hat die Macht, um die Bedrohung mit einem ungeordneten Ausstieg von seinen Bürgern und denen der Europäischen Union zu nehmen", sagte er im irischen Parlament.
Nach Auffassung von Handelspräsident Holger Bingmann sollte Großbritannien den Brexit abblasen: "Das beste wäre sicher, Großbritannien würde die Brücke nutzen, die der Europäische Gerichtshof mit seiner Entscheidung gebaut hat." Das Land könnte nach dem Urteil vom Montag den geplanten Austritt einseitig rückgängig machen und in der EU bleiben. Das Münchner Ifo-Institut spricht sich wegen der Gefahr eines ungeordneten Brexits für Nachverhandlungen aus. "Zahlen des Ifo-Instituts zeigen, dass ein harter Brexit für beide Seiten mit erheblichen Kosten verbunden ist, auch wenn Großbritannien und Nordirland wirtschaftlich stärker verlieren als die anderen 27 EU-Mitglieder", sagte Ifo-Forscher Gabriel Felbermayr.
Im britischen Unterhaus zeichnete sich seit Wochen erheblicher Widerstand gegen das mühsam ausgehandelte Brexit-Vertragswerk ab. Nicht nur die Oppositionsparteien wollten dagegen stimmen, sondern auch rund 100 von Mays regierenden Konservativen. Viele von ihnen kritisierten insbesondere die im Pakt festgehaltene Garantie für Irland, mit der nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem Rest der Insel vermieden werden sollen. Nach dem Brexit wäre die Grenze eine EU-Außengrenze. Im Fall von Kontrollen wird ein Wiederaufflammen der Gewalt befürchtet, wie in den Jahrzehnten vor dem Irland-Friedensabkommen von 1998.
Gelöst werden könnte das Problem durch einen neuen Handelsvertrag zwischen der EU und dem Königreich. Der kann aber erst nach dem Brexit verhandelt werden. Falls das nicht klappt, hat die EU eine Auffanglösung durchgesetzt, den sogenannten Backstop. Der würde das Königreich in einer Zollunion mit der EU halten, wobei Nordirland eine Sonderrolle hätte. Die Provinz müsste sich stärker als der Rest des Landes an das EU-Zollsystem und die Produktstandards halten. Dies lehnen vor allem die nordirischen Unionisten von der DUP ab, die die Minderheitsregierung Mays stützen.