Investing.com - Die Uhr tickt unaufhaltsam, und die Spannung an den Finanzmärkten steigt. Ein Finanzdrama von globalen Ausmaßen bahnt sich an, das die Investoren weltweit in Atem hält. Die Vereinigten Staaten, die größte Volkswirtschaft der Welt, stehen an der Schwelle zu einem potenziellen Zahlungsausfall, der nicht nur politische, sondern auch enorme wirtschaftliche Wellen schlagen würde.
Im Streit um das Schuldenlimit in den USA erhöhte US-Finanzministerin Janet Yellen erst letzte Woche den Druck und warnte, dass dem Land bereits am 1. Juni das Geld ausgehen könnte, wenn der Kongress die Kreditgrenze nicht schleunigst anheben oder aussetzen würde.
Nun warnte Yellen in einer Pressekonferenz vor einer "wirtschaftlichen und finanziellen Katastrophe" im Falle eines Zahlungsausfalls und ergänzte, ein solches Szenario würde einen "globalen Abschwung auslösen".
"Wenn der Kongress die Schuldenobergrenze nicht anhebt, muss der Präsident einige Entscheidungen darüber treffen, was er mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln machen will, und es gibt eine Reihe verschiedener Optionen, aber es gibt keine guten Optionen", sagte Yellen. "Jede Option ist eine schlechte Option".
Experten sind sich einig, dass die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Zahlungsausfalls katastrophal sein könnten und die ohnehin schon schwächelnde US-Wirtschaft in eine tiefe, selbst herbeigeführte Rezession stürzen würden.
"Für den Fall, dass das Finanzministerium nicht alle seine Verpflichtungen fristgerecht erfüllen könnte, schätzen wir, dass die Kombination von Ausgabenkürzungen zusammen mit schwerem Finanzmarktstress und einem Vertrauensverlust im Privatsektor zu einem realen BIP-Rückgang von etwa 4,5 % führen würde, was eine selbstverschuldete Rezession zur Folge hätte", sagte Gregory Daco, Chefökonom bei EY Parthenon, im Gespräch mit Fox.
Die Schuldengrenze, die derzeit bei 31,4 Billionen Dollar liegt, ist das gesetzliche Limit für den Gesamtbetrag der Schulden, den die US-Regierung im öffentlichen Interesse aufnehmen kann. Im schlimmsten Fall wären die USA so knapp bei Kasse, dass sie ihre Zins- oder Tilgungszahlungen für den Schuldenberg der Nation nicht mehr leisten können.
"Ein solcher Totalausfall von Staatsanleihen würde höchstwahrscheinlich zu schwerwiegenden Störungen auf dem Markt für Staatsanleihen führen, mit akuten Folgen für andere Finanzmärkte sowie für die Kosten und die Verfügbarkeit von Krediten für Haushalte und Unternehmen", so die Brookings Institution in einer aktuellen Studie. "Diese Entwicklungen könnten den Ruf des Treasury-Marktes als den sichersten und liquidesten der Welt untergraben."
Festmachen lässt sich das auch an den Bewegungen am Treasury-Markt, die sich derzeit vor allem auf das vordere Ende der Kurve beschränken. Hier ist die Nervosität über eine mögliche Schuldenkrise in den USA besonders akut. So schloss die Rendite 3-monatiger T-Bills gestern mit 5,197 % nur knapp unter ihrem bisherigen Höchststand aus dem Jahr 2001, während die Einmonatsrendite mit 5,802 % den höchsten Stand seit der ersten Ausgabe von Bills mit dieser Laufzeit im Jahr 2001 erklomm.
Neben den Bewegungen am Treasury-Markt gehen auch die Kosten für die Versicherung von US-Staatsschulden gegen einen Zahlungsausfall durch die Decke. Sie liegen klar über den Spitzenwerten aus 2011, 2013 oder während der Finanzkrise. Die sich darin widerspiegelnden Befürchtungen "werden in den kommenden Wochen wahrscheinlich noch weiter zunehmen, aber möglicherweise braucht es ernsthaftere Anzeichen von Stress - möglicherweise mit erheblichen Kursschwankungen auf dem Aktienmarkt -, um die Gesetzgeber endlich zum Handeln zu bewegen", schreibt Andrew Hunter vom Londoner Forschungsinstitut Capital Economics.
Die eindringlichen Warnungen kommen mitten in einer langwierigen Auseinandersetzung um die Anhebung der Schuldengrenze. Die Republikaner, die das Repräsentantenhaus kontrollieren, wollen die Verschuldungsgrenze nur im Gegenzug für drastische Haushaltskürzungen anheben. US-Präsident Biden und seine Parteikollegen von den Demokraten, die den Senat kontrollieren, weigern sich dagegen zu verhandeln und bestehen auf einem "sauberen" Gesetzentwurf zur Schuldenobergrenze, der keine Kürzungen vorsieht.
Biden empfing am Dienstag den Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, und einige andere Kongressabgeordnete im Weißen Haus, um über die Staatsausgaben und die Staatsverschuldung zu sprechen, doch das Treffen endete ohne Einigung.
"Ich habe während unseres Treffens deutlich gemacht, dass ein Zahlungsausfall keine Option ist", sagte Biden nach dem Treffen. "Ich habe das immer wieder wiederholt. Wir zahlen unsere Rechnungen, und es ist eine grundlegende Pflicht des Kongresses der Vereinigten Staaten, einen Zahlungsausfall zu vermeiden."
McCarthy sagte derweil, die beiden Seiten befänden sich in einer Sackgasse. "Ich habe keine neue Bewegung gesehen", sagte er nach dem Treffen.
Ein weiteres Treffen ist für morgen geplant.
Seit 1960 wurde die Schuldengrenze in den USA insgesamt beeindruckende 78 Mal angehoben. Dies verdeutlicht das Ausmaß der finanziellen Herausforderungen, denen die größte Volkswirtschaft der Welt immer wieder gegenübersteht. Jede Erhöhung der Schuldengrenze ist ein politischer Akt von großer Tragweite, der hitzige Debatten und strategische Verhandlungen auslöst.
Der enorme Druck, der auf den Schultern der Verantwortlichen lastet, und die möglichen Auswirkungen auf das nationale und internationale Finanzsystem haben in der Vergangenheit allerdings stets dazu geführt, dass eine Lösung zur Anhebung der Schuldenobergrenze gefunden wurde. Mittels politischer Kompromisse, wenn auch manchmal erst in letzter Minute, konnte so eine drohende Finanzkrise abgewendet werden.
Auch Lance Roberts, Chefredakteur der Website "Real Investment Advice", zeigt sich optimistisch, dass die beiden Parteien am Ende eine Lösung finden werden: "Wie jedes Mal zuvor wird der Kongress die Schuldenobergrenze auch diesmal anheben. Dabei wird es jedoch mit Sicherheit ein großes Drama geben, bei dem beide Regierungsparteien mit dem Finger auf die jeweils andere Seite zeigen werden. Der einfache Grund dafür ist, dass beide Parteien trotz Meinungsverschiedenheiten und politischer Agenden weiterhin Geld ausgeben wollen. Das ist auch der Grund, warum die Ausgaben und das Defizit immer schneller steigen. Die Konsequenz der steigenden Schulden und Defizite lässt sich an den rückläufigen Wachstumsraten der letzten 40 Jahre ganz simple ablesen."
Angesichts der Tatsache, dass in der Vergangenheit immer eine Lösung gefunden wurde, besteht also eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Republikaner und Demokraten auch diesmal gemeinsame Wege finden, um das Schuldenlimit anzuheben. Allerdings bleibt die politische Landschaft in den USA vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen im nächsten Jahr volatil und nichts ist in Stein gemeißelt.