STUTTGART (dpa-AFX) - Kinderarmut spiegelt sich nach Einschätzung von Lehrerinnen und Lehrern zunehmend auch im Klassenzimmer wider und hinterlässt Spuren bei den Jungen und Mädchen. Nach einer Umfrage der Robert Bosch Stiftung ist die teils prekäre finanzielle Lage der Familien aus Sicht von Lehrkräften in den Schulen präsenter als im Jahr zuvor. Jede dritte Lehrkraft (33 Prozent) gab in dem am Mittwoch veröffentlichten sogenannten Schulbarometer an, Kinder und Jugendliche machten sich häufiger Sorgen um die finanzielle Situation ihrer Familie als zuvor. In sozial benachteiligten Lagen einer Schule drückt dies sogar jede zweite Lehrkraft aus (48 Prozent).
Ebenfalls mehr als jeder dritte Lehrkraft (37 Prozent) nimmt fehlendes oder unzureichendes Schulmaterial wie Hefte oder Bücher wahr, häufiger als früher kommen Schülerinnen und Schüler auch ohne Frühstück in die Schule (30 Prozent). Ein Viertel der Lehrerinnen und Lehrer (24 Prozent) berichtet, das Krankmeldungen vor mehrtägigen Klassenfahrten zunehmen. Und 16 Prozent stellen häufiger als bislang fest, dass ihre Schüler das Essensgeld gar nicht oder nicht pünktlich bezahlen können.
Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung warnt vor den Folgen der Armut: "Arme Kinder werden zu oft zu armen Erwachsenen. Fehlendes Geld im Elternhaus verhindert die Teilhabe junger Menschen am sozialen und kulturellen Leben. Das hat auch Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit."
Pädagogen müssten "armutssensibel" werden und sich bewusst sein, dass es Familien mit begrenzten finanziellen Mitteln gebe. "Sie müssen nicht nur in der Lage sein, die Auswirkungen von Armut auf Kinder und Jugendliche zu erkennen, sondern auch Stigmatisierungen entgegenwirken." Armut lasse sich Kindern nicht immer ansehen. Deshalb müssten Lehrkräfte die Quote der Schüler aus Sozialtransfer-Familien kennen. "Sie müssen wissen, wo es zu Hause Schwierigkeiten gibt, um sensibel vorgehen zu können."
Weil Armut relativ ist und sich nicht allein am Geld bemessen lässt, wird in Deutschland meist der Begriff "Armutsgefährdung" verwendet. Wenn jemand weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung hat, gilt er als "armutsgefährdet" - Kinder und Jugendliche aus solchen Haushalten ebenfalls. Die Schwelle lag laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr für eine alleinlebende Person bei etwa 1250 Euro netto im Monat.
Mit dem Deutschen Schulbarometer lässt die Robert Bosch Stiftung seit 2019 regelmäßig repräsentative Befragungen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland durchführen. Für die aktuelle Ausgabe wurden zwischen dem 13. und 23. Juni 2023 insgesamt 1032 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland vom Meinungsforschungsinstitut forsa befragt. Erstmals war in diesem Jahr die Kinderarmut ein Thema.