KIEW (dpa-AFX) - Russland hat die nächtelange Serie schwerer Luftangriffe auf die Ukraine fortgesetzt und erneut Tote, Verletzte und Zerstörung verursacht. In der Nacht zum Dienstag war vor allem die Hauptstadt Kiew betroffen, die nach ukrainischen Militärangaben in mehreren Wellen mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen beschossen wurde.
Bürgermeister Vitali Klitschko berichtete auf Telegram von zwei Toten. In einem Hochhaus brach ein Feuer aus. Allein dort wurden nach Angaben vom Dienstagmittag 49 Menschen verletzt. Viele mussten im Krankenhaus behandelt werden. Weiteres Ziel war die ostukrainische Großstadt Charkiw. Dort wurde nach Angaben des Katastrophenschutzes ein Mann getötet, 53 Personen wurden verletzt.
Aus der russischen Stadt Belgorod auf der anderen Seite der Grenze meldeten die Behörden, dass ein Mann getötet und fünf Personen verletzt worden sein. Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow nannte als Grund Beschuss durch die ukrainische Armee.
Serie russischer Großangriffe
Russland führt seit fast zwei Jahren einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mit der Serie schwerer nächtlicher Bombardements aus der Luft seit vor Neujahr demonstriert die russische Armee, dass sie jeden Winkel des Nachbarlandes beschießen kann. Die großangelegten Angriffe sollen zugleich die ukrainische Flugabwehr überfordern und außer Gefecht setzen.
In der Nacht zum Dienstag habe Russland 99 Raketen und Marschflugkörper eingesetzt, teilte die ukrainische Luftwaffe mit. Demnach hätten 16 Bombenflugzeuge Tu-95MS in einem Schwall mindestens 70 Marschflugkörper gestartet. Von ihnen seien 59 abgefangen worden. In einer anderen Welle hätten Kampfjets vom Typ MiG-31 zehn der besonders gefährlichen Hyperschallraketen vom Typ Kinschal (Dolch) gestartet, die laut ukrainischem Militär alle abgefangen wurden.
Außerdem hätten russische Schiffe im Schwarzen Meer Marschflugkörper Kalibr abgefeuert; dazu kamen von Land Angriffe mit ballistischen Raketen. Begonnen hatte der nächtliche Beschuss mit 35 Shahed-Kampfdrohnen. Sie seien alle abgefangen worden, hieß es. Die Zahlen der ukrainischen Armee sind nicht unabhängig überprüfbar.
Einwohner von Kiew in Luftschutzkellern
In Kiew kam es in acht der zehn Stadtbezirke zu Schäden und Bränden - vor allem durch herabstürzende Raketentrümmer. Auch eine Gasleitung wurde getroffen. In einigen Teilen fiel der Strom aus. Probleme gab es zudem mit der Wasserversorgung. Die Hauptstadt steht noch unter dem Schock des bislang schwersten Luftangriffes vom vergangenen Freitag, bei dem allein dort etwa 30 Menschen getötet worden waren.
Außenminister fordert mehr Waffen für Ukraine
Wegen der verstärkten russischen Luftangriffe rief der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba die Welt zu neuen Waffenlieferungen an auf. Konkret seien neue Flugabwehrsysteme samt Munition erforderlich, Kampfdrohnen aller Art und Raketen mit einer Reichweite von über 300 Kilometern, schrieb er beim Online-Dienst X (früher Twitter).
Tote und Schäden auch in Russland
Bei dem Luftangriff auf die Ukraine schlug ein russisches Geschoss nach Angaben ziviler Behörden versehentlich in einem russischen Dorf im Grenzgebiet Woronesch ein. Dadurch seien sieben Gehöfte beschädigt worden, schrieb Gouverneur Alexander Gussew auf Telegram. Gussew sprach vom "versehentlichen Abgang" des Geschosses.
In der russischen Stadt Belgorod nahe der Grenze herrschte am Dienstag wieder zeitweise Raketenalarm. Die Flugabwehr habe acht anfliegende ukrainische Geschosse abgefangen, schrieb Gouverneur Gladkow auf Telegram. In Belgorod waren am Samstag nach Behördenangaben 24 Zivilisten getötet worden - es war der größte derartige Verlust für Russland in fast zwei Jahren Krieg.
Polen lässt Kampfjets aufsteigen
Im EU- und Nato-Land Polen wurden die Luftangriffe gegen den Nachbarn Ukraine genau beobachtet. Zur Sicherheit seien am Morgen je zwei Kampfjets vom Typ F-16 der polnischen und der amerikanischen Luftwaffe aufgestiegen, teilten die Streitkräfte mit. Erst am Freitag war nach Angaben des polnischen Generalstabs eine russische Rakete für drei Minuten in den polnischen Luftraum eingedrungen.