ISTANBUL (dpa-AFX) - Nach einer der schwersten Erdbebenkatastrophen der letzten Jahrzehnte sind in der Südtürkei und Nordsyrien mehrere Tausend Tote zu befürchten. Die Zahl der Opfer wurde bis zum späten Montagnachmittag mit um die 2400 angegeben. Das tatsächliche Ausmaß war aber zunächst nicht absehbar, da wohl noch Hunderte verschüttet waren. Rund 12 000 Menschen in der Türkei und in Syrien wurden nach bisherigen Informationen verletzt.
Im Katastrophengebiet, in dem Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien Schutz gesucht haben, herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Nach Angaben von Hilfsorganisationen sind in beiden Ländern Tausende obdachlos geworden - und das bei eisigem Wetter.
Dem türkischen Katastrophendienst Afad zufolge hatte das Hauptbeben am Morgen mit Epizentrum im südtürkischen Kahramanmaras eine Stärke von 7,7. Mittags erschütterte ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, wie in Istanbul die Erdbebenwarte Kandilli meldete.
Auch im Libanon und im Irak bebte die Erde, ebenso auf der nahe gelegenen Mittelmeerinsel Zypern. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939. Nach Angaben von EU-Vertretern war es eines der stärksten in der Region in mehr als 100 Jahren.
Man habe bisher mindestens 1541 Tote gezählt, sagte Vizepräsident Fuat Oktay am Montagabend (Ortszeit). Im Bürgerkriegsland Syrien stieg die Zahl der Toten auf mehr als 850, wie das Gesundheitsministerium und die Rettungsorganisation Weißhelme mitteilten. In Syrien seien bei der Katastrophe mehr als 2300 Menschen verletzt worden. In der Türkei gab es bisherigen Erkenntnissen zufolge etwa 9700 Verletzte.
Die Türkei wird immer wieder von schweren Erdbeben getroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr.
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich "zutiefst traurig" über die Katastrophe. Die Vereinten Nationen stünden bereit, um Nothilfe zu leisten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zu, Deutschland werde Hilfe schicken. Das Zentrum für Katastrophenhilfe der EU koordiniert die Entsendung europäischer Rettungskräfte in die Türkei. Die EU will Betroffene auch in Syrien unterstützen. Auch Großbritannien, Indien oder die USA wollten Hilfe schicken.
Griechenland erklärte sich trotz der Spannungen mit der Türkei bereit, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet zu schicken. Athen und Ankara streiten sich seit Jahrzehnten um Hoheitsrechte in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. Auch Finnland und Schweden kündigten Hilfe an trotz der türkischen Blockade ihrer Nato-Anträge.
Israel will der Türkei und auch Syrien, mit dem es sich im Kriegszustand befindet, Hilfe leisten. Auch Russland sagte beiden Ländern Hilfe zu. Der Iran bot ebenfalls Unterstützung an - er ist neben Russland im Bürgerkrieg der wichtigste Verbündete des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Eine der schwersten vom Erdbeben betroffenen Gebiete war die Region Idlib in Syrien, die von Rebellen gehalten wird. Dies dürfte dort die staatliche Nothilfe erschweren.
Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg in Syrien kontrollieren Assads Regierungstruppen wieder rund zwei Drittel des Landes.
Zur Unterstützung der Hilfe vor Ort wurde auch der Copernicus-Satellitendienst der EU aktiviert, wie EU-Kommissar Janez Lenarcic und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mitteilten.
Die Türkei bat ihre Nato-Partner um Unterstützung. Konkret wurden etwa drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal für deren Einrichtung genannt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte bereits am Vormittag mitgeteilt, Alliierte seien dabei, Unterstützung zu mobilisieren.
Der Verlust von Menschenleben und die Zerstörung infolge des Erdbebens brächen einem das Herz, schrieb der UN-Syrien-Vermittler Geir Pedersen auf Twitter. Viele Menschen in der Region litten ohnehin schon enorm und außerdem sehr lange.
Hilfsorganisationen und Gemeinden in den betroffenen Regionen riefen neben Blutspenden auch zu Sachspenden auf und baten etwa um Decken, Heizer, Winterkleidung. Zahlreiche Organisationen aus Deutschland baten um Spenden und kündigten Soforthilfen an.