DEN HAAG (dpa-AFX) - Die Niederländer entscheiden in einer Parlamentswahl über die politische Zukunft des Landes nach 13 Jahren unter dem rechtsliberalen Premier Mark Rutte. Beobachter sprechen von einer historischen Wahl am Mittwoch. Die drei Favoriten sind: Die Rechtspopulisten, das erste rot-grüne Bündnis sowie Ruttes Partei VVD - nun allerdings erstmals mit einer Frau an der Spitze. In den Umfragen zeichnet sich ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen von den drei Parteien ab mit jeweils 15 bis 19 Prozent der Stimmen.
Rund 13,3 Wahlberechtigte sind aufgerufen, die 150 Abgeordneten der Zweiten Kammer zu wählen. Erste Prognosen werden direkt nach Schließung der Wahllokale um 21.00 Uhr erwartet.
Zu den Favoriten auf einen Wahlsieg gehört nach den Umfragen erstmals der Rechtspopulist Geert Wilders (60) mit seiner Partei für die Freiheit (PVV). Etwa gleichauf mit der PVV liegt die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD). Spitzenkandidatin Dilan Yesilgöz (46) will Nachfolgerin ihres Parteifreundes Mark Rutte und damit erste Frau an der Spitze der Regierung in Den Haag werden. Yesilgöz schließt die Zusammenarbeit mit dem Rechtsaußen Wilders nicht aus. Damit hatte sie die PVV von Wilders nach Ansicht von Wahlbeobachtern salonfähig gemacht.
Ebenfalls Aussicht auf Erfolg haben nach den Umfragen die Sozialdemokraten und Grünen. Sie treten erstmals als Bündnis an und wollen mit ihrem Spitzenkandidaten, dem früheren EU-Kommissar Frans Timmermans (62), den gefürchteten Rechtsruck verhindern.
Die Chancen, dass der Rechtsaußen Wilders tatsächlich auch neuer Regierungschef wird, sind allerdings gering. Denn unter einem Premier Wilders will kaum jemand in einer Koalition zusammenarbeiten. Und eine absolute Mehrheit kann den Umfragen zufolge keine Partei erringen.
Themen dieses Wahlkampfes waren Migration, Wohnungsnot und Armut. Vor allem die rechten Parteien versprachen, den Zustrom von Arbeitsmigranten, Flüchtlingen aber auch ausländischen Studenten drastisch zu reduzieren.
Die Wahl steht im Zeichen einer großen Vertrauenskrise. Weniger als die Hälfte der Niederländer hat noch Vertrauen in die Politik, ergab eine Studie des renommierten Sozialkulturellen Forschungsinstitutes. Über 60 Prozent sind unzufrieden damit, wie ihr Land geführt wird. Viele Bürger bescheinigen dem Staat und der Politik Versagen bei Migration, Gesundheitssystem, Wohnungsbau und sozialer Sicherheit.
Einen Wahlerfolg kann auch die neue Partei Neuer Sozialer Vertrag von Pieter Omtzigt (49) erwarten. Der frühere Christdemokrat und langjährige Abgeordnete setzt sich für eine neue Führungskultur ein und kann bei der Regierungsbildung eine entscheidende Rolle spielen.
Der Ausgang ist kaum vorherzusagen, sagte Wahlforscher Peter Kanne vom Institut I&O Research. "Viele werden strategisch wählen." Der Wahlforscher erwartet, dass rechte Wähler Wilders und seinem harten Anti-Migrationskurs ihre Stimme geben, um eine möglichst rechte Koalition zu erzwingen. Dagegen würden andere Wähler nun erwägen, ihre Stimme dem rot-grünen Bündnis zu geben, um eine Koalition mit Wilders zu verhindern.
Wilders hatte sich im Wahlkampf betont milde gegeben. So hatte er seine umstritten Standpunkte gegen den Islam auf Eis gelegt. "Das hat nun keine Priorität", sagte er. "Ich stehe als Premier zur Verfügung." Doch sein Parteiprogramm bleibt deutlich und fordert das Verbot von Moscheen und Koran sowie den "Nexit", den Austritt der Niederlande aus der EU.
Vermutlich müssen sich für eine Mehrheit mindestens drei Parteien zu einer Koalition zusammenfinden. Schon jetzt erwarten Beobachter ungeheuer schwierige Koalitionsverhandlungen - unabhängig vom Wahlergebnis. Nach der vorigen Wahl, im März 2021, hatte es fast zehn Monate gedauert, bis der Rechtsliberale Mark Rutte sein viertes Kabinett präsentieren konnte.
Doch nach nur knapp 18 Monaten war die Mitte-Rechts-Koalition im Sommer am Streit um die Migrationspolitik zerbrochen. Rutte kündigte dann auch seinen Abschied aus der nationalen Politik an. Er ist jetzt etwa 13 Jahre Premier im Königreich, solange wie kein anderer vor ihm. Er will im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet wurde.