Berlin/London (Reuters) - Zwischen der Europäischen Union und Großbritannien zeichnet sich ein Tauziehen um den Zugang britischer Banken zum EU-Binnenmarkt nach dem Brexit ab.
Während die Londoner Regierung am Mittwoch eine Übergangsphase nach dem EU-Austritt mit kontinuierlichem Marktzugang in den Mittelpunkt der Diskussion stellte, bot EU-Chefunterhändler Michel Barnier lediglich die Übernahme einiger Finanzmarktregeln an. Die britische Premierministerin Theresa May will sich am Donnerstag mit Vertretern der Finanzbranche in London treffen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Die Bundesregierung in Berlin betonte, dass sich Deutschland auf die Einheit der 27 EU-Staaten in Brexit-Fragen konzentriere.
Am Finanzplatz London geht die Sorge um, dass die dortigen Banken den Zugang zum EU-Binnenmarkt komplett verlieren, wenn Großbritannien am 29. März 2019 aus der Staatengemeinschaft austritt. Die britische Regierung wirbt deshalb für eine Übergangsphase, damit sich die Firmen auf die Änderungen einstellen können. In einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sprachen sich Finanzminister Philip Hammond und Brexit-Minister David Davis dafür aus, dass der Zugang zu den Märkten der anderen während jener Phase in seiner jetzigen Form erhalten bleiben sollte.
Hammond und Davis zeigten vor ihrem Treffen mit Wirtschaftsvertretern am Mittwoch in Berlin zugleich Verständnis, dass Deutschland und andere EU-Staaten Großbritannien bei einem Austritt nicht mehr alle Vorteile einer Mitgliedschaft zugestehen wollten. "Die Prioritäten der EU sind aber nicht unvereinbar mit den unsrigen: einer tiefen und besonderen Partnerschaft mit unseren engsten Handelspartnern und Verbündeten", erklärten die Minister. Nach dem mit dem Brexit einhergehenden Ausstieg aus der Zollunion und dem Binnenmarkt gelte es, "fantasievoll und erfinderisch" eine wirtschaftliche Partnerschaft über sämtliche Branchen hinweg zu schaffen - einschließlich der Finanzdienste. Auch zum Erhalt der mit strengerer Regulierung erreichten Finanzstabilität gelte es, ein Abkommen zur verstärkten Kooperation innerhalb des europäischen Bankensektors zu schließen.
Treffen der beiden Minister mit Vertretern der Bundesregierung waren nicht geplant. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, für die Bundesregierung bleibe im Fokus, den Zusammenhalt der 27 EU-Staaten in den Brexit-Verhandlungen zu bewahren. Barnier hatte am Dienstag gesagt, dass einige Bestimmungen der Briten als dem EU-Recht entsprechend akzeptiert werden könnten. Es werde für die Finanzbranche aber keinen Freifahrtschein für den EU-Binnenmarkt geben. Nicht alle Standards würden automatisch als gleichwertig akzeptiert. "Das ist weder Strafe noch Rache", sagte Barnier in Brüssel.
In London wollte sich May am Donnerstag mit Vertretern der Finanzbranche abstimmen. Das Treffen gehöre zu den gewöhnlichen Beratungen mit Unternehmenschefs, sagte ihr Sprecher. Auch Hammond werde daran teilnehmen. Erwartet würden bei dem Treffen in der Downing Street unter anderem Manager des Versicherungskonzerns Aviva und der US-Bank Goldman Sachs (N:GS), sagten mit der Sache Vertraute. Der britische Finanzsektor beschäftigt 2,2 Millionen Menschen und trägt rund zwölf Prozent zu den Steuereinnahmen des Staates bei.
Die EU und Großbritannien hatten sich im Dezember bei einigen Details der Austrittsbestimmungen des Königreichs geeinigt. Nun sollen die Modalitäten der Übergangsphase ausgehandelt werden. Wann genau diese abläuft, ist aber noch umstritten. Ab März dieses Jahres soll zudem über einen neuen Handelsvertrag gesprochen werden, der die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Staatengemeinschaft und den britischen Inseln regeln soll.