- von Alexander Ratz
Berlin (Reuters) - Union, FDP und Grüne bringen sich für die Sondierung einer Jamaika-Koalition in Stellung: Die CSU signalisierte im unionsinternen Streit über die Begrenzung von Flüchtlingszahlen am Dienstag Entgegenkommen.
"Es geht nicht nur um die Obergrenze, es geht bei Zuwanderung überhaupt um ein Regelwerk einschließlich der Fachkräfte-Zuwanderung, aber auch der Begrenzungen für die nächsten Jahren", sagte Parteichef Horst Seehofer. Der Hinweis auf ein Gesamtkonzept gilt in der Union als möglicher Weg eines Kompromisses mit der CDU, die genau wie die Grünen eine Obergrenze ablehnt. Für die Grünen im Verhandlungsteam sitzen soll auch der Partei-Linke und Ex-Fraktionschef Jürgen Trittin, an dem 2013 ein schwarz-grünes Bündnis gescheitert war. Eine Blitzumfrage für die ARD ergab, dass mittlerweile eine Mehrheit der Deutschen ein Regierungsbündnis aus Union, FDP und Grünen begrüßen würde.
Seehofer warnte die Grünen vor überzogenen Forderungen. "Wir werden keine schrägen Kompromisse machen." Er rechne mit "außerordentlich schwierigen" Gesprächen zur Koalitionsbildung. In der Fraktionssitzung sagte der bayerische Ministerpräsident Teilnehmern zufolge, dass CDU und CSU ihre Positionen für die Sondierungen in der ersten Oktober-Hälfte festlegen wollten. Das könnte bedeuten, dass vor der Niedersachsen-Wahl am 15. Oktober keine tiefergehenden Sondierungen über ein Regierungsbündnis stattfinden können.
"EINDEUTIGE LIBERALE HANDSCHRIFT"
In den Gesprächen dürfte es am schwierigsten werden, eine Brücke zwischen der CSU und dem linken Lager der Grünen zu bauen. Seehofer steht wegen des starken Abschneidens der AfD bei der Bundestagswahl in Bayern besonders unter Druck. Im nächsten Jahr sind im Freistaat Landtagswahlen, bei denen die CSU nach jetzigem Stand ihre absolute Mehrheit verlieren würde. Die Teilnahme Trittins an den Sondierungsgesprächen dürfte die Sache nicht einfacher machen. Für den linken Flügel der Grünen wird auch Fraktionschef Anton Hofreiter sondieren. Die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir werden dem realpolitischen Flügel der Partei zugerechnet.
Seehofer erklärte zudem, dass für seine Partei auch die Europa-Politik wesentlich sei. "Beim Euro gilt der Grundsatz 'strikte Stabilität', also auch die Stabilitäts-Kriterien". Damit dürfte er vor allem bei der FDP auf Zustimmung stoßen. Spitzenpolitiker der Liberalen unterstrichen, dass ein Jamaika-Bündnis kein Selbstläufer sei: "Wenn der Koalitionsvertrag keine eindeutige liberale Handschrift trägt, gehen wir selbstbewusst in die Opposition", sagte Parteivize Katja Suding dem "Spiegel". Der neue Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, sagte "Welt Online": "Wir sind bereit, über ein Bündnis zu sprechen, aber im Ergebnis müssen wir unsere Inhalte darin wiederfinden."
Der infratest-dimap-Umfrage zufolge fänden 57 Prozent eine Jamaika-Koalition "gut oder sehr gut", 34 Prozentpunkte mehr als am Wahltag. Eine Koalition aus Union und SPD halten nur noch 31 Prozent für gut - ein Minus von acht Prozent. Zudem begrüßen 58 Prozent der Befragten, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt. Am Tag nach der Wahl 2013 lag die Zustimmung 13 Punkte höher.
"PARLAMENTARISCHE AUTORITÄT"
Schmackhaft machen könnte Merkel den beiden Parteien eine Koalition mit der Aussicht, den neuen Finanzminister zu stellen. Unionspolitiker ebnen dafür zumindest den Weg, indem sie Amtsinhaber Wolfgang Schäuble als neuen Bundestagspräsidenten ins Gespräch bringen. "Angesichts der neuen Situation im Parlament wäre Wolfgang Schäuble in jeder Beziehung genau die parlamentarische Autorität, die uns jetzt im Reichstag gut täte", sagte der CDU-Innenexperte Armin Schuster der Nachrichtenagentur Reuters. Ein CDU-Präsidiumsmitglied, das namentlich nicht genannt werden wollte, sagte: "Dies wäre sehr wichtig - wegen der AfD und des Klimas im Parlament."
Der 75-Jährige Schäuble, der seit 1972 dem Bundestag angehört, konnte seinen Wahlkreis Offenburg bei der Bundestagswahl erneut direkt gewinnen. Er hat sich bisher nicht öffentlich zu seinen weiteren Ambitionen geäußert. Als dienstältester Abgeordneter wird Schäuble die erste Sitzung des neuen Bundestages als Alterspräsident eröffnen. Nach dem Einzug der AfD verweisen Abgeordnete auf die wachsende Bedeutung des Bundestagspräsidenten. Er leitet die Debatten und hat das Hausrecht. Damit kann der Präsident Abgeordneten "eine Rüge oder einen Ordnungsruf erteilen, das Wort entziehen oder die Person bis zu 30 Sitzungstage von den Verhandlungen ausschließen", wie es in der Geschäftsordnung des Bundestags heißt.
Zwei weitere wichtige Personalien brachte die Union bereits unter Dach und Fach: Volker Kauder wurde als CDU/CSU-Fraktionschef bestätigt, erlitt bei seiner Wahl allerdings einen Dämpfer. Kauder, der den Posten bereits seit 2005 innehat, erhielt eine Zustimmung von rund 77 Prozent der Stimmen, zuvor waren es immer mehr als 90 Prozent.
Als Parlamentarischer Geschäftsführer wurde Michael Grosse-Brömer wiedergewählt. Er hielt rund 93 Prozent der Stimmen.