- von Andreas Rinke und Hans-Edzard Busemann
Berlin (Reuters) - Im Endspurt bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bildung einer stabilen Regierung angemahnt.
"Wir dürfen das Zentrale nicht aus dem Auge verlieren, wenn wir uns die unruhigen Börsenentwicklungen der letzten Stunden anschauen. Wir leben in unruhigen Zeiten", sagte die CDU-Vorsitzende am Dienstag mit Blick auf die starken Kursverluste an den weltweiten Finanzmärkten. SPD-Chef Martin Schulz sprach vor der wohl letzten Verhandlungsrunde von einem "Tag der Entscheidung". CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer rechnet wegen etlicher offener Fragen etwa bei Arbeitsrecht, Gesundheit und Außenpolitik aber nicht mit einem raschen Durchbruch: "Die Nacht wird lang." Einer Insa-Umfrage für "Bild" zufolge kommen Union und SPD nur noch auf 30,5 und 17 Prozent.
CDU, CSU und SPD gehen am Dienstag im Konrad-Adenauer-Haus in den zweiten Tag der Verlängerung der Koalitionsverhandlungen. Am Montag war man bei der von der SPD geforderten Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen und dem ebenfalls verlangten Ausstieg aus der "Zwei-Klassen-Medizin" nicht vorangekommen. Gelingt der Abschluss eines Koalitionsvertrages, müssen die SPD-Mitglieder noch zustimmen. Dafür werden rund drei Wochen angesetzt. Erst nach einem "Ja" der Mitglieder könnte dann fünf Monate nach der Bundestagswahl eine neue Regierung gebildet werden.
Deutlicher als in den vergangenen Tagen forderte Kanzlerin Merkel die Konzentration aller Beteiligten auf das Wesentliche und mehr Kompromissbereitschaft ein. "Wir sind jetzt in einer entscheidenden Phase. Das spürt, glaube ich, jeder", sagte Merkel. Bisherige Verabredungen würden nur gelten, wenn alles vereinbart sei. "Jeder von uns wird schmerzhafte Kompromisse noch machen müssen. Dazu bin ich auch bereit, wenn die Vorteile zum Schluss die Nachteile überwiegen", sagte Merkel. Der sich abzeichnende Koalitionsvertrag sei zwar sehr detailliert. Man dürfe bei allen Detailfragen aber nicht vergessen: "Es geht um das Wohl des Landes."
"IN EINEM POSITIVEN GEIST"
Am Montag hatte es in der Union Unmut darüber gegeben, dass die SPD zum einen bei den vom Parteitag geforderten Nachbesserungen beim Arbeitsrecht und der Gesundheit auf zu weitreichenden Forderungen beharre. Zum anderen war in Verhandlungskreisen darauf verwiesen worden, dass SPD-Chef Schulz keine ausreichende Prokura für Kompromisse habe. Schulz selbst zeigte sich optimistisch. "Ich habe guten Grund anzunehmen, dass wir heute zu Ende kommen werden, ich hoffe in einem positiven Geist und mit einem guten Ergebnis für unser Land." Wie Merkel erinnerte auch er an die internationale Verantwortung Deutschlands. "Es geht um nichts weniger, als dass in einem der größten Industrieländer der Welt eine stabile, dauerhafte Regierung gebildet werden kann, die den Herausforderungen international und national gerecht wird."
SPD-Vize Manuela Schwesig forderte Zugeständnisse von CDU und CSU. Bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und in der Gesundheitspolitik müsse die Union der SPD entgegenkommen. CSU-Generalsekretär Scheuer fürchtet wegen der vergleichsweise langen Suche nach einer neuen Regierung einen wachsenden Frust in der Bevölkerung. "Wir sind jetzt in die Verlängerung gegangen. Auch das führt wieder zu Unverständnis, wenn man die ein oder andere Umfrage sieht", sagte er. Trotzdem müsse seriös gearbeitet werden.
Einer der Streitpunkte sind auch die Finanzen. In den Sondierungen hatten CDU, CSU und SPD vereinbart, dass eine neue Regierung einen zusätzlichen Finanzspielraum von 46 Milliarden Euro bis 2021 haben werde. In den Koalitionsverhandlungen haben die Fachpolitiker aber etliche weitergehende, kostenintensive Projekte vereinbart. Der CSU-Haushaltsexperte Hans Michelbach pochte deshalb vor den abschließenden Beratungen auf die Einhaltung der Grenze von 46 Milliarden Euro. "Alles andere kann natürlich bei besseren Zahlen dazukommen", sagte der CSU-Politiker. Aber man habe eine klare Grenze gezogen, dass es bei einem ausgeglichenen Haushalt bleiben müsse und es keine Steuererhöhungen gebe.