PEKING (dpa-AFX) - China steht vor einem der spannendsten Projekte der Weltwirtschaft. Wie baut man die bevölkerungsreichste Volkswirtschaft der Welt um, ohne einen allzu großen Konjunkturschaden anzurichten? Die seit März amtierende Regierung unter Premierminister Li Keqiang will das Geschäftsmodell des Landes erneuern.
Statt weiter auf industrielle Massenproduktion und staatliche Investitionsprogramme zu setzen, sollen der private Konsum und die Dienstleistungsbranche gestärkt werden. Und die mächtigen Geldhäuser des Landes werden gleichzeitig auf Diät gesetzt. Klasse statt Masse, so lautet die Devise. Lis Wirtschaftskurs gleicht einer Kulturrevolution. Kann die gelingen?
Der Zeitpunkt für das Mammutprojekt ist jedenfalls alles andere als günstig. Die weltweite Konjunktur schwächelt, während die Binnennachfrage noch nicht in die Bresche springen kann. Das zeigen neue Wachstumszahlen vom Montag: Im zweiten Quartal wuchs die chinesische Wirtschaft zum Vorjahreszeitraum nur noch um 7,5 Prozent.
Was sich für westliche Ohren viel anhört, ist für die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wenig. Im Gesamtjahr steuert China auf das schwächste Wachstum seit mehr als zwanzig Jahren zu. China benötigt jedoch hohe Wachstumsraten, weil ansonsten soziale und politische Konflikte drohen. Das Einkommen pro Einwohner liegt immer noch auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.
Die Gründe für die Wachstumsschwäche sind vielfältig und liegen auch im Ausland: Wichtige Handelspartner in Europa stecken in der Rezession. Aufstrebende Schwellenländer wie Indien oder Brasilien leiden unter Kapitalflucht. Rohstoffländer wie Russland oder Australien werden durch sinkende Preise für Öl oder Industriemetalle unter Druck gesetzt. All das lastet auf dem chinesischen Außenhandel, der tragenden Säule des Wirtschaftswachstums.
Die staatlichen Investitionen, die zweite wichtige Wachstumsstütze Chinas, können die Exportschwäche nicht ausgleichen. Sie sollen es auch nicht, denn sie sind Teil des Strategiewechsels: Insbesondere der Immobilienmarkt, der durch massive Bauausgaben des Staates aufgebläht wurde, soll schrumpfen. Daneben versucht die Regierung, Überkapazitäten in der Industrie abzubauen.
Auch die Geldhäuser des Landes sind ins Visier der chinesischen Regierung geraten: Sie sollen ihre verantwortungsvoller mit Krediten umgehen, um eine gefährliche Blasenbildung auf dem Finanzmarkt zu verhindern. Die Banken stecken deshalb bereits in einem von der Zentralbank erzwungenen Bereinigungsprozess. Gleichzeitig will sich das traditionell verschlossene, kommunistisch regierte Land für ausländische Investoren öffnen. Deswegen gibt es den Wechselkurs des Renminbi und die landesweiten Zinssätze schrittweise frei.
Alles in allem gleicht Li Keqiangs Wirtschaftskurs einer wirtschaftlichen Revolution von oben. Experten wie die Volkswirte der britischen Bank Barclays nennen ihn 'Likonomics' - eine Kombination aus dem Namen des Regierungschefs und dem englischen Wort für Ökonomie. Und die Experten sind durchaus zuversichtlich, dass der neue Kurs über kurz oder lang Früchte tragen dürfte. 'Wir glauben, dass die Likonomics genau das sind, was China braucht, um seine Wirtschaft nachhaltiger aufzustellen', heißt es bei Barclays. Die entscheidende Frage lautet aber, ob die Strategie angesichts der aktuellen Wachstumsschwäche durchzuhalten ist.
Einige Vorhaben der neuen Regierung dürften im gegenwärtigen Umfeld nur schwer umzusetzen sein, sagt Expertin Louisa Lo vom Fondshaus Schroders. Der innen- und außenpolitische Druck auf die chinesische Führung ist gewaltig, wie erst wieder die vergangenen Tage gezeigt haben. Chinas Finanzminister Lou Jiwei hatte während eines Besuchs in Washington ein geringeres Wachstum als nicht besonders problematisch bezeichnet. Vermutlich werde das Land im laufenden Jahr um sieben Prozent wachsen.
Umgehend kamen Spekulationen auf, die Regierung werde ihr Wachstumsziel von 7,5 Prozent reduzieren. Nur zwei Tage später änderte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, die zuerst wie andere Medien sieben Prozent genannt hatte, ihre Berichterstattung: Die Wirtschaft soll nun doch um 7,5 Prozent wachsen.
Beobachter werten dies als einen Beleg für die hohe Nervosität in der Führungsriege Chinas. Diese will offenbar mit aller Macht Turbulenzen an den Aktienmärkten wie Anfang Juli verhindern - damals hatten Gerüchte über Engpässe bei einzelnen Banken die Kurse auf Talfahrt geschickt und Zweifel am neuen Kurs der Regierung genährt./bgf/zb/fbr
--- Von Bernhard Funck, dpa-AFX ---
Statt weiter auf industrielle Massenproduktion und staatliche Investitionsprogramme zu setzen, sollen der private Konsum und die Dienstleistungsbranche gestärkt werden. Und die mächtigen Geldhäuser des Landes werden gleichzeitig auf Diät gesetzt. Klasse statt Masse, so lautet die Devise. Lis Wirtschaftskurs gleicht einer Kulturrevolution. Kann die gelingen?
Der Zeitpunkt für das Mammutprojekt ist jedenfalls alles andere als günstig. Die weltweite Konjunktur schwächelt, während die Binnennachfrage noch nicht in die Bresche springen kann. Das zeigen neue Wachstumszahlen vom Montag: Im zweiten Quartal wuchs die chinesische Wirtschaft zum Vorjahreszeitraum nur noch um 7,5 Prozent.
Was sich für westliche Ohren viel anhört, ist für die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wenig. Im Gesamtjahr steuert China auf das schwächste Wachstum seit mehr als zwanzig Jahren zu. China benötigt jedoch hohe Wachstumsraten, weil ansonsten soziale und politische Konflikte drohen. Das Einkommen pro Einwohner liegt immer noch auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.
Die Gründe für die Wachstumsschwäche sind vielfältig und liegen auch im Ausland: Wichtige Handelspartner in Europa stecken in der Rezession. Aufstrebende Schwellenländer wie Indien oder Brasilien leiden unter Kapitalflucht. Rohstoffländer wie Russland oder Australien werden durch sinkende Preise für Öl oder Industriemetalle unter Druck gesetzt. All das lastet auf dem chinesischen Außenhandel, der tragenden Säule des Wirtschaftswachstums.
Die staatlichen Investitionen, die zweite wichtige Wachstumsstütze Chinas, können die Exportschwäche nicht ausgleichen. Sie sollen es auch nicht, denn sie sind Teil des Strategiewechsels: Insbesondere der Immobilienmarkt, der durch massive Bauausgaben des Staates aufgebläht wurde, soll schrumpfen. Daneben versucht die Regierung, Überkapazitäten in der Industrie abzubauen.
Auch die Geldhäuser des Landes sind ins Visier der chinesischen Regierung geraten: Sie sollen ihre verantwortungsvoller mit Krediten umgehen, um eine gefährliche Blasenbildung auf dem Finanzmarkt zu verhindern. Die Banken stecken deshalb bereits in einem von der Zentralbank erzwungenen Bereinigungsprozess. Gleichzeitig will sich das traditionell verschlossene, kommunistisch regierte Land für ausländische Investoren öffnen. Deswegen gibt es den Wechselkurs des Renminbi und die landesweiten Zinssätze schrittweise frei.
Alles in allem gleicht Li Keqiangs Wirtschaftskurs einer wirtschaftlichen Revolution von oben. Experten wie die Volkswirte der britischen Bank Barclays nennen ihn 'Likonomics' - eine Kombination aus dem Namen des Regierungschefs und dem englischen Wort für Ökonomie. Und die Experten sind durchaus zuversichtlich, dass der neue Kurs über kurz oder lang Früchte tragen dürfte. 'Wir glauben, dass die Likonomics genau das sind, was China braucht, um seine Wirtschaft nachhaltiger aufzustellen', heißt es bei Barclays. Die entscheidende Frage lautet aber, ob die Strategie angesichts der aktuellen Wachstumsschwäche durchzuhalten ist.
Einige Vorhaben der neuen Regierung dürften im gegenwärtigen Umfeld nur schwer umzusetzen sein, sagt Expertin Louisa Lo vom Fondshaus Schroders. Der innen- und außenpolitische Druck auf die chinesische Führung ist gewaltig, wie erst wieder die vergangenen Tage gezeigt haben. Chinas Finanzminister Lou Jiwei hatte während eines Besuchs in Washington ein geringeres Wachstum als nicht besonders problematisch bezeichnet. Vermutlich werde das Land im laufenden Jahr um sieben Prozent wachsen.
Umgehend kamen Spekulationen auf, die Regierung werde ihr Wachstumsziel von 7,5 Prozent reduzieren. Nur zwei Tage später änderte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, die zuerst wie andere Medien sieben Prozent genannt hatte, ihre Berichterstattung: Die Wirtschaft soll nun doch um 7,5 Prozent wachsen.
Beobachter werten dies als einen Beleg für die hohe Nervosität in der Führungsriege Chinas. Diese will offenbar mit aller Macht Turbulenzen an den Aktienmärkten wie Anfang Juli verhindern - damals hatten Gerüchte über Engpässe bei einzelnen Banken die Kurse auf Talfahrt geschickt und Zweifel am neuen Kurs der Regierung genährt./bgf/zb/fbr
--- Von Bernhard Funck, dpa-AFX ---