- von Thorsten Severin
Berlin (Reuters) - Zehn Monate nach dem Ausstieg aus den "Jamaika"-Verhandlungen muss die FDP noch immer die Entscheidung aus jener Novembernacht rechtfertigen.
Auf die Frage, ob Regieren nicht so schön sein könnte, betont Parteichef Christian Lindner beharrlich, dass sich seine Partei für den harten aber richtigen Weg entschieden habe. Die vor einem Jahr in den Bundestag zurückgekehrte FDP scheint in diesem Punkt mit sich im Reinen. Doch die internen Planungen gehen längst über die Oppositionsrolle hinaus: Das Ziel ist die Rückkehr in die Regierungsverantwortung im Bund - 2021 oder früher. Die Arbeiten daran wollen die Liberalen angesichts des Dauerstreits in der großen Koalition nun intensivieren.
Nach ihrer Rückkehr ins Parlament mit 10,7 Prozent bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 war die FDP zunächst damit beschäftigt, ihre Arbeitsfähigkeit herzustellen. Drei Viertel der Abgeordneten hatten keine parlamentarische Erfahrung, zunächst stand der Partei auch keinerlei Ausstattung zur Verfügung. Inzwischen hat die Fraktion elf Gesetzentwürfe eingebracht, von der Stärkung der Bürgerrechte bis hin zur Abschaffung des Soli. Zudem versucht sie durch eine Vielzahl von Initiativen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, etwa beim Thema Digitalisierung. "Es gibt einen ordentlichen Output", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann nicht ohne Stolz. Und Fraktionsvize Michael Theurer merkt an: "Wir haben keinen Phantomschmerz, was Jamaika angeht." Gerade durch den Streit in der Regierung in den vergangenen Tagen fühle sich die FDP in ihrer Entscheidung gegen ein "Jamaika"-Bündnis bestätigt. "Jamaika" wäre "kein Sehnsuchtsort" gewesen, sondern eine "instabile Konstellation", sagte auch Lindner kürzlich.
Er stellte allerdings auch fest, dass die FDP keine Anerkennung für ihre "inhaltliche Konsequenz" erhalten habe. In Umfragen kommt die Partei derzeit auf sieben bis neun Prozent. Damit liegt sie anders als Grüne und AfD unter ihrem Bundestagswahlergebnis. Auf der anderen Seite hält sie sich auf einem relativ stabilen Niveau. Offenbar können die Liberalen anders als in früheren Zeiten auf eine feste Wählerschaft bauen, die auch bei Gegenwind treu bleibt. Doch die FDP will mehr. "Wir wollen uns nicht in der Opposition einrichten", heißt es aus der Parteiführung. "Unser Anspruch ist es, Politik zu gestalten."
GESPRÄCHSFORMATE MIT DEN GRÜNEN
Deswegen sucht die Partei auch die Annäherung zu den Grünen in verschiedenen Gesprächsformaten, denn ein Dreierbündnis mit ihnen zusammen gilt als wahrscheinlicher als etwa Schwarz-Gelb. Dabei gehe es vor allem um ein Kennenlernen, da es in der Zeit außerhalb des Bundestags kaum Kontakt zu den Grünen gegeben habe, sagt Buschmann. "Wir haben gerade bei den 'Jamaika'-Verhandlungen gemerkt, wie weit wir voneinander entfernt sind." Es sei da nicht möglich gewesen, die inhaltlichen Unterschiede zu überwinden. Manchmal habe es auch "vorschnelle Beißreflexe" gegeben. Auch der FDP-Abgeordnete Stephan Thomae merkt an, es sei gut möglich, dass man in der "Jamaika"-Konstellation wieder zusammentreffe mit dem Auftrag, eine Regierung zu bilden. "Das sollte dann nicht wieder an die Wand fahren."
Zusammenarbeit gibt es bereits bei den geplanten Verfassungsänderungen, für die die Regierung die Opposition braucht. Auch in der Bildungspolitik gibt es Schnittmengen mit den Grünen. Beide Parteien haben hier einen gemeinsamen Brief an Kanzlerin Angela Merkel geschrieben. Darin schlagen sie vor, die Verfassung so zu ändern, dass der Bund künftig umfassend und dauerhaft in das Schul- und Bildungssystem investieren darf. Für Aufsehen sorgte, wie die Fraktionschefs von FDP, Grünen und Linken unlängst bei einem gemeinsamen Auftritt eine Verfassungsklage gegen das bayerische Polizeigesetz ankündigten.
Die FDP will sich aber auch für den Fall wappnen, dass die amtierende Regierung auseinanderbricht. Immerhin stand die große Koalition binnen sechs Monaten schon zwei Mal am Rande des Bruchs. Buschmann hat sich daher in dieser Woche in einem Brandbrief an die FDP-Bundestagsabgeordneten gewandt. Als Konsequenz aus dem "verheerenden Bild", das die schwarz-rote Koalition abgebe, zieht er den Schluss: "Wir müssen unsere Vorbereitungen zur Übernahme von Regierungsverantwortung beschleunigen." Als Analyse fügt er unter anderem an, dass die Beförderung von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen die "Demoralisierung" der SPD weiter beschleunigen werde. Auch sei Merkels Autorität beschädigt. Klar ist für die FDP allerdings, dass es im Falle des Scheiterns der großen Koalition erstmal Neuwahlen geben müsste.