- von Rene Wagner
Berlin (Reuters) - Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute mahnen die Bundesregierung trotz Dauer-Booms zur Vorsorge für die nächste Krise.
"Nach jedem Boom kommt ein Abschwung", sagte Ökonom Oliver Holtemöller am Donnerstag in Berlin bei der Präsentation des Frühjahrsgutachtens für die Bundesregierung. "Darauf sollte man vorbereitet sein." In ihrer Gemeinschaftsdiagnose sagen die Institute zunächst aber mehr Wachstum, weniger Arbeitslose und hohe staatliche Überschüsse voraus. Das Bruttoinlandsprodukt soll in diesem Jahr statt der noch im Herbst erwarteten 2,0 nun um 2,2 Prozent zulegen. Für 2019 wird die Prognose von 1,8 auf 2,0 Prozent erhöht - es wäre bereits das zehnte Wachstumsjahr in Folge.
"Der Boom, in dem sich die deutsche Wirtschaft befindet, hält an", sagte der Leiter der Konjunkturforschung des federführenden Ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser. "Allerdings wird die Luft dünner, da die noch verfügbaren gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten knapper werden." Besonders in der Baubranche sei dies bereits zu beobachten, aber auch anderswo fehlten Fachkräfte. Hinzu kämen neue Risiken wie ein drohender Handelskrieg.
Nach Einschätzung der Fachleute tut die neue Regierung bislang wenig, um für einen Abschwung gerüstet zu sein, sondern befeuert den aktuellen Boom noch - etwa durch höhere Renten und Kindergeld oder die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung. "Das kommt zur Unzeit", sagte der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Ferdinand Fichtner. "Die deutsche Konjunktur braucht solche Zusatzausgaben gerade nicht." Wollmershäuser fügte hinzu: "Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Leistungsausweitungen und Leistungsversprechen in der Gesetzlichen Rentenversicherung laufen dem Nachhaltigkeitsgedanken zuwider."
ÜBERSCHÜSSE LIEBER BUNKERN FÜR NÄCHSTEN ABSCHWUNG
Die Experten raten dazu, die bestehenden Überschüsse für schwierigere Zeiten aufzuheben, um damit einen möglichen Abschwung abzufedern. Besser unterstützt werden müsse etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Integration Langzeitarbeitsloser. Auch sollten bürokratische Hürden für die Gewinnung ausländischer Hochqualifizierter abgebaut werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Stattdessen mache die große Koalition durch eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen - wie dem ab 2019 geplanten Rechtsanspruch auf die Rückkehr aus Teilzeit auf das vorherige Arbeitsvolumen - den Unternehmen das Leben schwer, so Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft (IfW).
Vorerst stehen die Signale aber weiter auf Boom, was sich auch am Arbeitsmarkt bemerkbar machen dürfte: Die Zahl der Erwerbslosen soll in diesem Jahr auf rund 2,3 Millionen fallen und damit erstmals seit der Wiedervereinigung unter der Grenze von 2,5 Millionen liegen. 2019 sollen es 2,2 Millionen sein. Die Zahl der Beschäftigten soll bis dahin auf das Rekordniveau von 45,3 Millionen steigen. Das wären eine Million mehr als 2017. Auch beim Staat kommt der Aufschwung an: Er dürfte in diesem Jahr einen Rekordüberschuss von fast 38 Milliarden Euro erzielen, der im kommenden Jahr ähnlich hoch ausfallen soll.
Der Boom wird den Experten zufolge wohl nicht in eine starke Inflation münden: Die Institute gehen davon aus, dass die Teuerungsrate in Deutschland sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr unter zwei Prozent verharrt. Die EZB strebt für die gesamte Euro-Zone knapp zwei Prozent an, den für sie optimalen Wert für die Wirtschaft. Wegen der Exportstärke dürfte der Überschuss in der Leistungsbilanz in beiden Jahren bei jeweils rund acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Die EU-Kommission sieht bereits Werte ab sechs Prozent als stabilitätsgefährdend an, da Ländern mit Überschüssen Staaten mit hohen Defiziten gegenüberstehen.
Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigene Prognosen, die kommende Woche veröffentlicht werden sollen. Beteiligt an dem Gutachten sind das Münchner Ifo-Institut, das Berliner DIW, das Essener RWI, das Kieler IfW und das IWH Halle.