- von Matthias Sobolewski
Berlin (Reuters) - Bund und Länder haben nach monatelangem Ringen eine Lösung im Streit über die Erbschaftsteuer gefunden.
Der gemeinsame Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat einigte sich am Donnerstag in Berlin auf eine Reform der Steuerprivilegien von Betriebserben. Sie sollen auch künftig vollständig von der Steuer befreit werden können. Die Regeln dafür werden aber auf Druck des Bundesverfassungsgerichts verschärft. Die Wirtschaft begrüßte, dass sie nun Rechtssicherheit habe, warnte aber vor einer Überlastung vor allem von familiengeführten Unternehmen.
Mit dem nächtlichen Kompromiss endete ein fast zweijähriger Streit innerhalb der großen Koalition sowie zwischen den Ländern. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber eigentlich aufgetragen, die derzeitige Überprivilegierung von Betriebserben bis zum 30. Juni zu korrigieren. Weil die Frist ohne Ergebnis verstrichen war, hatten die Richter angekündigt, das Thema kommende Woche erneut auf ihre Tagesordnung zu setzen. Damit drohte, dass die Richter die Privilegien endgültig kippen.
In Union und SPD hieß es, der Bundestag werde die Reform wohl kommenden Donnerstag verabschieden, der Bundesrat am 14. Oktober. Die Teilnehmer des Vermittlungsausschusses gingen davon aus, dass die Karlsruher Richter diesen Terminplan akzeptieren. Das Gericht ließ die Fristenfrage offen. Eine Sprecherin sagte, der Erste Senat werde das Gesetzgebungsverfahren beobachten und zu gegebener Zeit entscheiden, wie das Gericht weiter verfahre.
In den Verhandlungen hatte die CSU zunächst in der Koalition und dann im Kreis der Bundesländer auch künftig auf möglichst weitreichende Privilegien für Firmenerben gepocht. Die SPD-regierten Länder hatten dann im Bundesrat die Notbremse gezogen und den vom Bundestag bereits verabschiedeten Gesetzentwurf gestoppt und zu Nachverhandlungen in den Ausschuss verwiesen. Sie hatten kritisiert, es gebe neue Steuerschlupflöcher und Zweifel, ob das Reformgesetz in Karlsruhe Bestand haben werde.
NEUE SONDERREGELUNG FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN
Der Ausschuss einigte sich auf den Kompromiss, dass ein neuer Abschlag für Familienunternehmen an höhere Hürden geknüpft wird als ursprünglich vorgesehen. So müssen die Gesellschafter mindestens 62,5 Prozent des Nachsteuergewinns in ihre Firma reinvestieren, um in den Genuss der Vergünstigung zu kommen. Außerdem muss es einen Gesellschaftervertrag geben, in dem steht, dass Firmenanteile nur untereinander und auch dann nur mit einem Wertabschlag zum Marktpreis verkauft werden dürfen.
Haupstreitpunkt war bis zuletzt die Unternehmensbewertung: Denn je niedriger der Firmenwert angesetzt wird, desto geringer fällt die Steuerlast aus. Der Auschuss einigte sich darauf, dass das neue Verfahren zur Wertermittlung zwar zu höheren Beträgen führt als die CSU im ursprünglichen Gesetzentwurf durchgedrückt hatte, aber zu niedrigeren als nach derzeitiger Rechtslage. Die SPD kann dagegen verbuchen, dass sich Unternehmenserben die Steuer nur sieben Jahre stunden lassen können und ab dem zweiten Jahr Stundungszinsen zahlen müssen. Ursprünglich war vorgesehen, dass die Steuer zinslos für zehn Jahre ausgesetzt werden kann.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte, er sei sehr zufrieden. Die Reform sei außerdem verfassungskonform. Sein Hessischer Kollege Volker Bouffier (CDU) sagte ebenfalls, mit dem Kompromiss würden die Vorgaben des Verfassungsgerichtes eingehalten. Zugleich werde dafür gesorgt, dass die deutschen Familienunternehmen nicht überlastet würden. Ebenso äußerte sich der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne). Der Kompromiss biete dem Mittelstand genug Flexibilität beim Unternehmensübergang auf die nächste Generation.
Vertreter der SPD betonten dagegen, dass es gelungen sei, die neuen Steuerprivilegien auf das Notwendige zu begrenzen und keine neuen Schlupflöcher aufzureißen. So sei verhindert worden, dass Privatvermögen wie Kunstgegenstände oder ein Oldtimer in das begünstigte Betriebsvermögen verschoben werden könnten, sagte NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, der Hamburger Regierungschef Olaf Scholz, zeigte sich erfreut über die Last-Minute-Einigung. "Es wäre ein schlechtes Zeichen, wenn das Bundesverfassungsgericht das Erbschaftsteuerrecht neu regelt, weil der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, sich zu verständigen", sagte der SPD-Politiker.
LINKE KRITISIERT "PARTEIENKARTELL DER UNGERECHTIGKEIT"
Harsche Kritik kam von der Linken. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht erklärte, ein "Parteienkartell der Ungerechtigkeit aus CDU/CSU, SPD und Grünen" habe einen faulen Kompromiss geschlossen. 99 Prozent der Familienunternehmen würden komplett oder weitgehend von der Erbschaftsteuer befreit. Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) bezweifelte außerdem, ob die Bedenken des Gerichts wirklich ausgeräumt würden: "Eine Klage und alles fällt in sich zusammen", sagte er dem Deutschlandfunk. Auch die Grünen-Fraktion sieht die Verfassungsgrenzen überschritten. Sie will das Gesetz ablehnen.
Die Wirtschaft begrüßte, dass es überhaupt eine Einigung gegeben habe. Der "Alptraum einer längeren Periode der Rechtsunsicherheit" sei vermieden worden, sagte der Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, Rainer Kirchdörfer: "Allerdings kann die Steuerlast für viele der großen Familienunternehmen auch deutlich steigen." Der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erklärte, Familienunternehmen hätten nun Rechtssicherheit bei Investitionen und Einstellungen. Kritik kam vom Münchner ifo-Institut: Präsident Clemens Fuest nannte das komplizierte Steuergesetz ein "Beschäftigungsprogramm für Steuerberater".