- von Oliver Hirt und John Revill
Zürich (Reuters) - In normalen Zeiten würde das Stelleninserat kaum auffallen. Doch wenn ABB dieser Tage einen Chef für die Krisen-Kommunikation sucht, provoziert das die Frage: Worauf müssen sich die gebeutelten Anleger noch gefasst machen?
Denn die Normalität, die sich ABB so sehr wünscht, ist bei dem Elektrotechnikkonzern auch nach dreieinhalb Jahren des Umbaus nicht eingekehrt. 2018 muss Konzernchef Ulrich Spiesshofer zeigen, dass sein Plan aufgeht. Denn die Anleger verlieren allmählich die Geduld und bringen etwas wieder aufs Tapet, das Spiesshofer eigentlich schon bei den Akten wähnte: Eine Aufspaltung des Konzerns, der alles von Transformatoren über Motoren bis zu Maschinen-Steuerungen baut. "ABB ist zu groß und zu komplex und würde mit einer stärkeren Fokussierung viel gewinnen", erklärt David Samra vom fünftgrößten Aktionär Artisan Partners.
Eigentlich sind die Voraussetzungen für glänzende Ergebnisse gut. Mit mehreren größeren Zu- und Verkäufen hat Spiesshofer den Konzern neu aufgestellt und zudem die Kosten gedrückt. Der Umbau dauerte einem Analysten zufolge zwar länger als ursprünglich erwartet. "Doch jetzt ist entscheidend, dass sich ABB das für 2018 prognostizierte beste wirtschaftliche Umfeld seit 2012 und vielleicht sogar seit 2006 voll zu Nutzen macht", so der Experte. ABB bedient mit seiner Technologie zudem Megatrends wie erneuerbare Energie, Elektromobilität oder den zunehmenden Einsatz von Robotern. Und auch ein dritter Aspekt spricht für ABB: Die ewigen Rivalen Siemens (DE:SIEGn) und General Electric (NYSE:GE) sind derzeit mit eigenen Ausgliederungen und Stellen-Streichungen absorbiert.
Doch mit der Veröffentlichung des Abschlusses des vierten Quartals 2017 und eines abermals vorsichtigen Ausblicks würgte ABB im Februar den aufkeimenden Optimismus ab. "Q4 war eine kalte Dusche für die Investoren", erklärte Fidelity-Fondsmanager Andrea Fornoni. Seitdem haben die Aktien rund zehn Prozent an Wert eingebüsst und damit deutlich schlechter abgeschnitten als die europäischen Industriewerte. Noch unvorteilhafter fällt der Vergleich für den Zeitraum seit der Amtsübernahme Spiesshofers 2013 aus. Während die ABB-Aktie kaum vom Fleck gekommen ist, hat die Branche insgesamt fast ein Drittel zugelegt. "Es geht nicht anders als enttäuscht zu sein", sagte Cevian-Partner Christer Gardell kürzlich zur schwedischen Zeitung "Dagens Industri". Der aktivistische Investor ist der zweitgrößte Eigner von ABB. Ein anderer Top-20-Aktionär sagt: "Spiesshofer steht unter enormem Druck."
AUFSPALTUNG IN VIER TEILE?
ABB hinke anderen Branchenvertretern wie Schneider, Legrand oder Rockwell bezüglich Profitabilität und Renditen hinterher, erklärt Michael Strauss, Finanz-Analyst beim Vermögensverwalter Edmond de Rothschild. "Sie müssen ihre Versprechen erfüllen und ihre Konkurrenten einholen." Bis zur Erreichung des eigenen Wachstumsziels ist es noch ein weiter Weg. ABB peilt für den Zeitraum 2015 bis 2020 im Schnitt ein jährliches Umsatzwachstum von drei bis sechs Prozent an. In den vergangenen beiden Jahren hat das Unternehmen stagniert, über die aktuelle Entwicklung werden die für Donnerstag vorgesehenen Quartalszahlen Aufschluss geben. Ein ABB-Sprecher erklärte, das Unternehmen habe bereits gute Fortschritte auf dem Weg zu den strategischen Zielen gemacht.
2018 könnte insgesamt ein weiteres Übergangsjahr werden mit einem bescheidenen organischen Umsatz- und Auftragswachstum und einer unbefriedigenden Margenentwicklung, befürchtet Fornoni, der den Fidelity Switzerland Fonds verwaltet. Die gegenwärtige Situation werfe die alte Frage auf, ob das ABB-Portfolio richtig zusammengesetzt sei. Es könne durchaus gute Gründen geben, dass die Firmenspitze den Konzern noch nicht aufgespalten habe. "Aber von außen betrachtet gibt es Geschäfte wie Stromnetze, die aus vielen Gründen einfach nicht zu ABB passen", so Fornoni. Dazu gehörten etwa die Margen, bei denen die Stromnetz-Sparte den anderen drei Divisionen hinterherhinke. Barclays-Analyst James Stettler zufolge hat ABB in dem Geschäft Marktanteile an Siemens verloren und wird zunehmend durch ehrgeizige chinesische Anbieter wie State Grid bedrängt.
2016 hatte ABB nach langer Bedenkzeit entschieden, die Stromnetzsparte zu behalten. "Im Rückblick denke ich, dass die Entscheidung des Verwaltungsrates zur Struktur von ABB vor eineinhalb Jahren falsch war, und diese Einschätzung scheint in Eignerkreisen weit verbreitet zu sein", erklärte Cevian-Partner Gardell. Artisan, die sich selbst als langfristigen Aktionär sieht, entwirft ein radikaleres Szenario, um ABB auf die Sprünge zu helfen: Eine Aufspaltung in drei oder vier Teile. "Ich denke nicht, dass eine Entflechtung des ganzen Unternehmens bisher auf der Agenda war, aber das sollte es", erklärt Samra.
Ein Insider erklärte, ein solches Szenario stehe überhaupt nicht zur Debatte. ABB habe in den vergangenen Jahren gezeigt, dass beim Portfolio nichts in Stein gemeißelt sei. So wurden riskantere Bereiche verkauft und wachstumsstärkere gekauft. Dieser Kurs werde auch in Zukunft fortgesetzt.