ESSEN (dpa-AFX) - Der Industriekonzern Thyssenkrupp (4:TKAG) befindet sich in diesem Jahr in einer Übergangsphase. Der Konzern ist vor allem mit seinen Plänen zur Aufspaltung beschäftigt. Daneben muss Konzernchef Guido Kerkhoff die operativen Probleme insbesondere in den Industriegeschäften in den Griff bekommen - das alles in Zeiten, in denen sich die Konjunktur abschwächt und in denen politische Unsicherheiten auf die Wirtschaft ausstrahlen. Die Anleger halten Abstand - nachdem sich zu Jahresbeginn bei der im Vorjahr schwer gebeutelten Aktie ein zaghafter Erholungskurs abzeichnete, geht es mit der Aktie nun wieder nach unten.
DAS IST LOS BEI THYSSENKRUPP:
Thyssenkrupp hat im vergangenen Jahr vor allem durch Zwist im Aufsichtsrat über die Strategie sowie überraschende Wechsel im Management auf sich aufmerksam gemacht. Der neue Konzernchef Kerkhoff will nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Mit einer neuen Strategie soll der schwerfällige Konzern wettbewerbsfähiger und profitabler werden, um so Investoren zu besänftigen. Gleichzeitig versucht der neue Chef, die Schwachstellen in der operativen Entwicklung in den einzelnen Bereichen anzugehen.
Herzstück der Strategie ist die Aufspaltung: In ein Unternehmen für die Industriebereiche, sowie ein weiteres für die Werkstoffgeschäfte. Über die Spaltung soll die Hauptversammlung jedoch erst im Januar 2020 abstimmen. Zudem soll das Stahlgemeinschaftsunternehmen mit Tata Steel im Frühjahr endlich unter Dach und Fach gebracht werden. Noch steht die Zustimmung der europäischen Wettbewerbsbehörden aus.
Der von Thyssenkrupp vorgesehene Zeitplan sieht dabei vor, dass die neuen Unternehmen zum 1. Oktober 2019 weitgehend operativ selbstständig aufgestellt werden sollen. Über die Besetzung der beiden Vorstandsteams soll im Frühjahr 2019 entschieden werden. Thyssenkrupp erhofft sich durch die Teilung eine Wertsteigerung der einzelnen Geschäfte, etwa durch die Hebung stiller Reserven im Aufzuggeschäft. Zudem sollen die Unternehmen einzeln wettbewerbsfähiger werden und schnellere Entscheidungen treffen können. Bislang hinken die Industriegeschäfte der Konkurrenz hinterher.
Die Teilung ist für den Konzern mit erheblichen Kosten verbunden. Im laufenden Geschäftsjahr (per 30. September) dürften der Gewinn sowie der freie Mittelzufluss nach früheren Aussagen mit einem höheren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag belastet werden. Trotzdem erwartet das Management einen deutlich höheren Jahresüberschuss. Ergebnissteigerungen der fortgeführten Geschäfte sowie positive Effekte aus dem erwarteten Abschluss des Stahl-Gemeinschaftsunternehmens sollen die Belastungen überkompensieren
Bei der geplanten Aufspaltung kommt Thyssenkrupp voran. Das Unternehmen strebt nach der Teilung eine schlankere Führung an. Für die neuen Unternehmen Industrials und Materials sollen die Vorstandsressorts auf je drei reduziert und zentrale Funktionen zusammengelegt werden. Bis zum Geschäftsjahr 2020/21 will Thyssenkrupp die Verwaltungskosten für beide Unternehmen insgesamt auf unter 300 Millionen Euro senken - von derzeit rund 380 Millionen. Betriebsbedingte Kündigungen soll es nicht geben.
Schwieriger gestaltet sich die Steigerung der Profitabilität der Sparten. Das erste Quartal verlief enttäuschend - auch wenn der Jahresauftakt traditionell schwächer ausfällt. Kerkhoff hatte zuletzt auf der Hauptversammlung Versäumnisse eingeräumt. Im Industriegütergeschäft sieht er den Konzern zwar "gut im Markt positioniert, aber eben nicht herausragend". Im Aufzugsgeschäft, das als Perle des Konzerns gilt, arbeiten die führenden Wettbewerber deutlich profitabler als Thyssenkrupp.
Zukäufe der jüngsten Vergangenheit wurden bei den Essenern nicht schnell und ausreichend integriert, die Verwaltung wurde aufgebläht. Die Strukturen sollen nun mit einer neuen Führung vereinfacht werden. Auch mit dem Autozulieferergeschäft ist der Manager unzufrieden. Qualitätsprobleme hätten hier zuletzt zu schaffen gemacht.
Die größten Probleme hat aber zur Zeit der Anlagenbau. Hier hatte Thyssenkrupp zu stark auf Wachstum gesetzt und konnte in der Folge Aufträge nicht schnell genug abwickeln. Zudem setzte der Konzern zu sehr auf Großprojekte - die dann aber ausblieben. Wegen der Probleme im Anlagenbau hatte Thyssenkrupp im vergangenen Jahr seine Prognose kappen müssen. Kerkhoff will nun mit neuer Führung und neuer Aufstellung gegensteuern. Eine schnelle Erholung dürfte es allerdings nicht geben. Es werde "einige Zeit dauern, bis die Maßnahmen Ergebnisse in Euro und Cent bringen", hatte Kerkhoff jüngst eingeräumt.
Es bleibt daher an mehreren Fronten viel zu tun für Kerkhoff. Dabei scheint eine der größten Herausforderungen zu sein, dass der Manager die Aufteilung nicht aus einer Position der wirtschaftlichen Stärke angehen kann. Auch muss er den Investoren beweisen, dass Thyssenkrupp durch die Spaltung tatsächlich gewinnt. Der ein oder andere Aktionär hatte dies zuletzt auf der Hauptversammlung in Frage gestellt.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Optimismus ist bei den Experten mehrheitsfähig. So gibt es unter den im dpa-AFX Analyser gelisteten Experten mit Lars Brorson von der Investmentbank Barclays (LON:BARC) nur einen, der noch ein leichtes Rückschlagsrisiko für die Papiere signalisiert. Alle anderen Kollegen sehen mindestens eine Halteposition oder trauen den Aktien gar einen Anstieg bis auf 35 Euro zu - gut das zweieinhalbfache des aktuellen Xetra-Niveaus.
Zuletzt ins Lager der "Bullen" gewechselt ist Marc Gabriel vom Bankhaus Lampe, der in der Vorwoche für die Anleger die Zeit gekommen sah, ihre Chance zu suchen. Möglichen konjunkturellen Gegenwind hält der Experte für eingepreist und die Chancen aus der Neuausrichtung für größer als die Risiken.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Aktie macht den Anlegern noch keine Freude. Nach einem Verlust von 38 Prozent im Vorjahr liegen die Papiere 2019 schon wieder mit gut 10 Prozent unter Wasser. Der Blick auf den langfristigen Kurschart macht jedoch etwas Hoffnung auf eine bevorstehende Bodenbildung. Denn im nicht mehr weit entfernten Bereich von rund 12,50 Euro fanden sich seit 2004 immer wieder Käufer, die einen weiteren Kursrutsch ausgebremst haben.