- von Peter Maushagen und Alastair Macdonald
Brüssel (Reuters) - Großbritannien nimmt mit einer Grundsatzeinigung die erste Hürde auf dem Weg aus der Europäischen Union.
Nach einer nächtlichen Marathonsitzung ihrer Unterhändler stellten die britische Premierministerin Theresa May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch vor Morgengrauen am Freitag in Brüssel einen Kompromiss vor. Bei den umstrittenen Fragen der Bürgerrechte, der irischen Grenze und der Scheidungsrechnung gab es laut Juncker ausreichende Fortschritte. "Die Verhandlungen sind nicht einfach, aber uns ist jetzt ein erster Durchbruch gelungen." Damit könnten die Gespräche in die nächste Phase gehen. Dann soll es um einen Freihandelsvertrag Großbritanniens mit der EU gehen.
Doch stellt die jetzige Einigung nur den ersten Schritt dar, warnte EU-Ratspräsident Donald Tusk. "Die größte Hürde liegt noch vor uns." Seit dem britischen Votum für den EU-Ausstieg seien eineinhalb Jahre vergangen. Es sei viel Zeit darauf verwandt worden, über den einfachen Teil der Scheidung zu reden. "Sich zu trennen, ist schwierig. Aber sich zu trennen und gleichzeitig ein neues Verhältnis aufzubauen, ist viel schwieriger."
Die Weichen für den Brexit müssen jetzt die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel am Donnerstag und Freitag nächster Woche stellen. May rechnet damit, dass dies auch gelingen wird. "Wir werden die EU verlassen", bekräftigte sie. Teuer wird der Abschied aber auf jeden Fall. Die Brexit-Schlussrechnung summiert sich nach Aussagen eines Sprechers von May auf 40 bis 45 Milliarden Euro. Kritik kam umgehend vom Brexit-Befürworter Nigel Farage. "Der Deal in Brüssel ist eine gute Nachricht für Frau May, da wir uns jetzt noch mehr erniedrigen müssen."
IRLAND, BÜRGERRECHTE, GELD
Großbritannien und die EU hatten zuvor fünf Monate lang vergeblich verhandelt. Beim nun erzielten Kompromiss geht es um die künftigen Rechte der rund drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien, die finanziellen Verpflichtungen der Insel gegenüber der EU sowie vor allem um die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland. Hier sollen Kontrollen vermieden werden. Basis dafür werde der noch auszuhandelnde Vertrag über die künftigen wirtschaftlichen Beziehungen, hieß es in der gemeinsamen Erklärung.
Der Grenzstreit ist besonders heikel. Am Montag scheiterte eine Einigung in letzter Minute am Einspruch Nordirlands. Die dortige Partei DUP, die die Minderheitsregierung von May toleriert, erklärte nun, Großbritannien habe substanzielle Änderungen bei den Vorschlägen für die EU vorgenommen. Es sei aber noch sehr viel weitere Arbeit nötig. "Es gibt keine Einigung, solange man sich noch nicht über alles geeinigt hat." Die nordirischen Protestanten befürchten, sollte die offene Grenze zum katholischen Irland bleiben, könnte dies ein erster Schritt zu einer Vereinigung der Insel sein.
WIRTSCHAFT FREUT SICH ÜBER SPÄTES NIKOLAUSGESCHENK
EU-Ratspräsident Tusk will nun sofort über den nächsten Schritt sprechen. "Wir sollten Verhandlungen über die Übergangsperiode beginnen, damit Unternehmen und Bürger Klarheit haben." Der Brexit soll im März 2019 über die Bühne gehen. Großbritannien wünscht sich danach eine Übergangszeit von zwei Jahren, in der das Land noch Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion bliebe. "Für die Verhandlungen über den Übergang und die künftigen Beziehung haben wir de facto weniger als ein Jahr", sagte der Pole.
Anleger an der Börse reagierten erleichtert: Das Pfund stieg zum Euro auf den höchsten Stand seit sechs Monaten. Auch der Dax schoss nach oben. "Die Einigung zwischen der EU und Großbritannien ist ein verspätetes Nikolausgeschenk", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer. "Das Vereinigte Königreich ist Deutschlands fünftwichtigster Handelspartner mit einem Warenumschlag von mehr als 120 Milliarden Euro im letzten Jahr."