- von Nina Chestney und Markus Wacket
Incheon/Berlin (Reuters) - Ein Sonderbericht der UN zeigt die Vorteile schärferer Klimaziele und setzt damit auch die Bundesregierung unter neuen Handlungsdruck.
Hunderte Millionen Menschen würden von einer stärker als geplanten Begrenzung der Erderwärmung profitieren, wie die Experten des Klimarats IPCC in einem am Montag veröffentlichten Bericht aufzeigen. Sollte die Erwärmung auf 1,5 Grad statt 2 Grad eingedämmt werden, würden Fluten und Dürren erheblich seltener auftreten und mehrere Hundert Millionen Menschen weniger von Armut bedroht sein. Der Unterschied von 0,5 Grad sei gewaltig. Klar sei aber, dass die Menschheit sich schon bei 1,5 Grad Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf nie dagewesene Veränderungen einstellen müsse. Die Welt sei bereits jetzt um rund ein Grad wärmer. Umweltministerin Svenja Schulze verlangte: "Wir dürfen beim Klimaschutz keine Zeit mehr verlieren."
Im Weltklimavertrag von Paris war vereinbart worden, die Erwärmung unter zwei Grad zu halten und möglichst 1,5 Grad zu erreichen. Vor allem die aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels bedrohten Inselstaaten hatten den UN-Sonderbericht verlangt, um die Vorteile eines geringeren Anstiegs für die Menschheit zu untersuchen.
Demnach wären zehn Millionen weniger Menschen vom Anstieg der Meere bedroht, 50 Prozent weniger Menschen würden unter Wassermangel leiden und die Erträge von Getreide wie Reis, Mais und Weizen würden erheblich weniger zurückgehen. Bei einer Erwärmung um zwei Grad würden die Korallenriffen weltweit verschwinden. Steige die Temperatur um 0,5 Grad weniger, könne zumindest ein Teil gerettet werden. Klar sei, dass dafür der Anstieg des Kohlendioxid(CO2)-Ausstoßes weltweit vor 2030 gestoppt werden müsse. Zur Jahrhundertmitte müsse er unter dem Strich bei Null liegen. Gelänge dies nicht, müsse der Atmosphäre aufwendig CO2 entzogen werden - etwa durch die Aufforstung neuer Waldflächen.
DEUTSCHLAND VOR KLIMA-ENTSCHEIDUNG BEI KOHLE UND AUTOS
Deutschland steht gerade jetzt vor einer Reihe von umstrittenen Klima-Entscheidungen. Das Land hatte seinen Treibhausgasausstoß in den vergangenen Jahren nicht weiter reduzieren können. Dies liegt vor allem am Einsatz von Kohle in Kraftwerken und den steigenden Emissionen im Verkehr. Eine Regierungskommission soll bis Jahresende einen Zeitpunkt für das Aus des letzten Kohlemeilers festlegen. Eine weitere Kommission arbeitet derzeit daran, die Wende im Verkehr einzuleiten. Zum anderen wird in Brüssel schon am Dienstag im Umweltrat über neue CO2-Grenzwerte bis 2030 für die Autoflotten gerungen. Im nächsten Jahr will die große Koalition zudem ein verbindliches Klimagesetz beschließen.
Das Bundesumweltministerium verwies dann auch darauf, dass zügig Entscheidungen fallen müssten: "Die nächsten Jahre sind entscheidend, damit unser Planet nicht aus dem Gleichgewicht gerät", erklärte Umweltministerin Schulze. Man (DE:MANG) müsse den Abschied von Kohle, Öl und Gas schaffen, verlangte sie mit Blick auch auf die Kohlekommission, die um ein Enddatum ringt.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock warf der großen Koalition Untätigkeit vor: "Auch die deutsche Bundesregierung bricht durch ihre aktuelle Politik mit dem Pariser Klimaabkommen. Die Bundesregierung kehrt einer ambitionierten Klimapolitik den Rücken, wie sich an der Blockade von strengen Grenzwert-Vorgaben für Autos zeigt", kritisierte die Grünen-Politikerin im Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
ROMER: UMWELTSCHUTZ UND WACHSTUM MÖGLICH
Der IPCC-Bericht gilt als maßgebliche wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen zum Klimawandel, die besonders wegen ihrer wirtschaftlichen Folgen meist umstritten sind. Damit befassen sich auch die diesjährigen Nobelpreisträger für Wirtschaft, William Nordhaus und Paul Romer, die am Montag von der Akademie in Stockholm ausgewählt wurden. Der ehemalige Weltbank-Chefökonom Romer brach dabei eine Lanze für mehr Umweltschutz. "Ich glaube, (...) viele Leute denken, dass der Schutz der Umwelt so kostspielig und schwer sein wird, dass sie das einfach ignorieren wollen", sagte er in einer Telefonkonferenz. "(Aber) wir können durchaus wesentliche Fortschritte beim Umweltschutz machen und dies tun, ohne die Chance auf ein nachhaltiges Wachstum aufzugeben."
Diese Frage und der Klimabericht wird wohl auch eine zentrale Rolle beim nächsten Weltklima-Gipfel spielen. Im polnischen Kattowitz sollen Ende des Jahres Beschlüsse fallen, wie der Vertrag von Paris konkret umgesetzt werden soll. Die derzeitigen Anstrengungen der Weltgemeinschaft reichen nicht aus. So würde die Erde voraussichtlich um mindestens drei Grad wärmer.