Nach dem Kursrutsch: Hat die Börse ihren Tiefpunkt schon erreicht?

Veröffentlicht am 22.04.2025, 10:10

Investing.com - Am Montag herrschte an der Wall Street wieder Katerstimmung: Der Dow Jones rauschte um 2,5 Prozent in die Tiefe, der S&P 500 verlor gut 2,3 Prozent, die Nasdaq sogar 2,6 Prozent. Seit Donald Trump am 2. April eine neue Zoll‑Salve ankündigte, ist das Aktien‑Trio neun bis zehn Prozent ins Minus gerutscht. Die einen sprechen von ­„gesunder Korrektur“, die anderen von ­„beginnendem Bärenmarkt“. Doch was stimmt?

Unruheherd Washington

Dass Präsident Trump ausgerechnet in dieser Lage auch noch öffentlich auf Notenbankchef Jerome Powell einschlägt, sei „schlicht brandgefährlich für das Vertrauen in die Fed“, warnt ein New‑Yorker Portfoliomanager. Gleichzeitig gibt es im Ringen mit China keinerlei Fortschritte - Peking droht gar jenen Staaten mit „Konsequenzen“, die sich zu eng an Washingtons Seite schlagen. Viel Stoff also für eine waschechte Risiko­prämie.

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Tolstoi trifft Trading‑Floor

Nicholas Colas, Mitgründer des Analysehauses DataTrek Research, versucht die Gemengelage mit etwas Weltliteratur zu erklären. Er zitiert Leo Tolstois berühmten Einstiegssatz aus Anna Karenina:

„Alle glücklichen Familien gleichen einander; jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“

Übertragen auf die Börse bedeute das, so Colas, „dass Bullenmärkte überall dieselben Zutaten haben: planbare Geld‑ und Fiskalpolitik plus stetiges Gewinnwachstum. Bricht nur ein Teil davon weg, wird das Gefüge instabil - und jedes Mal anders“

Was der VIX erzählt

Colas’ bevorzugtes Seismograf‑Instrument ist der CBOE Volatility Index, kurz VIX. Er hat die US‑Marktdaten seit 1990 durchforstet und dabei einige Faustregeln entdeckt:

  • Wenn der VIX „nur“ ein bis zwei Standard­abweichungen über seinem Durchschnitt liegt - das entspricht grob 27 bis 43 Punkten -, liegt die Ein‑Jahres‑Rendite des S&P 500 im Mittel bei 13 Prozent.

  • Springt der VIX auf drei bis vier Standard­abweichungen (43 bis 51 Punkte), schnellt die durchschnittliche Zwölf‑Monats‑Performance sogar auf 35 Prozent.

  • Doch bei Panik pur, also mehr als vier Standard­abweichungen (ab etwa 51 Punkten), wird’s haarig: Kurzfristig drohen Minusrenditen, erst nach zwölf Monaten winkt wieder ein solides Plus von rund 32 Prozent.

Quelle: DataTrek
Quelle: DataTrek Research

Die Crux: Exakt solch einen Extremtag gab es am 8. April, als der VIX bis auf 52,3 Punkte schoss - allerdings nur für wenige Stunden.

Ein Ausreißer macht noch keinen Crash

„Es hat in der Börsengeschichte noch nie eine Phase extremer Instabilität mit nur einem einzigen +4‑Sigma‑Schluss gegeben - weder 2008 noch 2020“, erinnert Colas. Damals folgten Dutzende solcher Angst‑Peaks. Sollte das aktuelle Hoch ein Einzelfall bleiben, hätten US‑Aktien „statistisch einen klaren Korridor nach oben“. Bleibe die VIX‑Kurve dagegen hartnäckig erhöht, müsse man mit schwachen drei Monaten rechnen, ehe sich die Lage im Spätherbst entspanne.

Dass der VIX nach seinem Schockhoch inzwischen wieder unter die Marke von 30 gefallen ist, wertet Colas als gutes Zeichen: „Der Markt glaubt offensichtlich nicht an eine Systemkrise, sondern an einen isolierten politischen Schock.“ Seine Bedingung: „Solange Washington die Handelspolitik nicht wieder auf Liberation‑Day‑Extrem dreht, dürfte die 50er‑Region erst einmal tabu bleiben.“

Politik als Volatilitäts‑Turbo

Die Rolle des Unsicherheits‑Boosters schreibt Colas ganz klar dem Weißen Haus zu: „Eine einzige Person kann derzeit mehr Panik erzeugen als ein ganzes Bankensystem 2008.“ Mit jedem Tweet steige das Risiko eines erneuten, wenn auch kurzen VIX‑Spikes. Und mit jedem Spike komme der berüchtigte „Doom‑Loop“: Gerüchte über Pleiten, Entlassungswellen, Rezessions­gefahr. „Die wenigsten dieser Befürchtungen bewahrheiten sich“, so Colas, „aber sie nagen am Nervenkostüm und drücken die Bewertungen.“

Chance oder Falle?

Was heißt das für Anleger? Wer auf wenige Wochen oder gar Tage zielt, sollte Nerven wie Drahtseile mitbringen - oder schlicht an der Seitenlinie bleiben. Wer jedoch einen Anlagehorizont von sechs bis zwölf Monaten hat, profitiert historisch betrachtet über­proportional von hohen VIX‑Ständen. Denn in 77 bis 99 Prozent der Fälle enden solche Phasen mit zweistelligen Gewinnen.

„Es ist sehr schwer, bei diesen Vorzeichen wirklich bärisch zu sein“, fasst Colas zusammen. „Ich werde genau beobachten, ob der VIX in den kommenden Tagen weiter fällt - das wäre die Bestätigung, dass der Horrortag ein Ausrutscher war.“

Die aktuelle Börse erinnert an eine Groß­familie, die sich am Frühstückstisch in die Haare kriegt: Laut, chaotisch, aber selten von Dauer. Solange keine neuen Zoll‑Eskapaden oder „Unknown Unknowns“ aus dem Nichts auftauchen, spricht die Statistik eher für ein baldiges Ende der Korrektur. Wer langfristig investiert, muss den Tiefpunkt nicht exakt treffen - das Aufholpotenzial ist laut Historie beträchtlich.

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