von Robert Zach
Investing.com - Die Wall Street strotzt geradezu vor Optimismus. So hat der Technologieindex Nasdaq 100 seit Mitte Juni um mehr als 20 Prozent zugelegt. Auch der S&P 500 und der Dow Jones haben sich kräftig erholt. Im Gleichschritt mit dem US-Aktienmarkt marschiert zudem der Hochzinsmarkt für Unternehmensanleihen (NASDAQ:ANGL) nach oben. Dies lässt so manchen Aktien-Strategen bereits einen neuen Bullenmarkt ausrufen.
Victoria Fernandez von Crossmark Global Investment steht dieser These jedoch skeptisch gegenüber. Sie sieht die Talsohle noch nicht erreicht. Erst wenn die von ihr beobachteten Indikatoren auf Grün springen, wäre sie bereit, einen Boden für US-Aktien auszurufen.
"Wir sind nicht zu 100 Prozent dieser Meinung. Bärenmarktrallyes und die Anfänge neuer Bullenmärkte ähneln sich, allerdings wollen wir zunächst ein breit angelegtes Momentum sehen, um mehr als nur eine kurzfristige Rallye in die jüngste Bewegung hineinzuinterpretieren", meinte Fernandez, Chefmarktstrategin von Crossmarks Global Investments, gegenüber dem CNBC-Format "Street Signs Asia".
Zwar habe die Zahl der Aktien, die 20-Tage-Höchststände markierten, zugenommen, doch handeln auf dem Gesamtmarkt noch nicht 90 Prozent aller Aktien über ihren relevanten Glättungslinien - ein Wert, der ihrer Meinung nach in der Regel erforderlich ist, damit es zu einer Bodenbildung kommt.
"Wir wollen eine Kombination dieser beiden Faktoren sehen, der den Momentum-Trend bestätigt", ergänzte sie.
In Anbetracht der vielen Unbekannten, die sich erst noch herauskristallisieren müssen, riet Fernandez den Anlegern zur Vorsicht angesichts eines drohenden Pullbacks an der Wall Street.
Skeptisch beäugt die Strategin auch die zuletzt hereingekommenen Konjunkturdaten in Form des Empire-State-Index und der sich abkühlenden Einkaufsmanagerindizes.
"Auf dem Arbeitsmarkt steigen zudem die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA weiter an. Wir wollen zunächst einen Höchststand bei den Erstanträgen sehen, bevor wir einen Boden ausrufen. Vielleicht zeichnet sich eine Bodenbildung ab, aber ganz so weit sind wir noch nicht, daher ist Vorsicht geboten", warnte Fernandez im Gespräch mit CNBC.
Fernandez sieht die US-Wirtschaft derzeit nicht in einer Rezession und das, obwohl die Wirtschaftsleistung der größten Volkswirtschaft der Welt in den letzten beiden Quartalen zurückgegangen ist, was per Definition einer technischen Rezession entspricht. Wegen der ihrer Meinung nach guten Verfassung des US-Konsumenten sowie der soliden Bilanzen der Haushalte und Unternehmen will sie von einem tiefen konjunkturellen Abschwung aber nichts wissen.
Ein unmittelbareres Problem für die USA ist Fernandez zufolge die Inflation, die sich wohl noch einige Zeit hartnäckig auf hohem Niveau halten wird.
"Den Höhepunkt der Inflation haben wir womöglich bereits gesehen, aber die Starrheit der Pipeline-Inflation (d.h. Wohnen, Mieten) übt weiterhin Druck auf die Fed und damit auf die Märkte aus", sagte sie.
Im Juli waren die Verbraucherpreise um 8,5 Prozent höher als vor einem Jahr. Zwar hat die Inflation im Vergleich zum Vormonat etwas nachgelassen, doch spiegelt sich darin immer noch ein erheblicher Inflationsdruck in der Wirtschaft wider.
Auch wenn sich die Inflation nun verlangsame, bedeute dies nicht, dass die US-Notenbank Fed nun hergeht und sagt, die Mission sei erfüllt.
"Wahrscheinlich hat dies keinen Einfluss auf die Entscheidung der Fed, die Zinsen auf der Septembersitzung um 50 oder 75 Basispunkte anzuheben. Viel wichtiger ist der nächste Inflationsbericht, der Aufschluss darüber geben wird, ob sich tatsächlich ein Hochpunkt oder ein Abwärtstrend herausbildet, oder ob es sich nur um eine Pause handelt ... Ich glaube nicht, dass die Fed auch nur annähernd auf die Bremse tritt und dovish wird", sagte sie.
An den Märkten wird derzeit mehrheitlich mit einem Zinsschritt um 50 Basispunkte auf der Sitzung am 21. September gerechnet.
Im Juli hatte die Fed die Leitzinsen um 75 Basispunkte auf die Spanne von 2,25 bis 2,50 Prozent angehoben. Insgesamt haben die US-Notenbanker das Zinsniveau in diesem Jahr bereits um 225 Basispunkte hochgesetzt.
Zuletzt hatte die Fed aber Zeichen gegeben, wonach sie das Tempo der Zinserhöhungen bald drosseln könnte.
"Die Teilnehmer waren der Ansicht, dass es bei einer weiteren Straffung der Geldpolitik wahrscheinlich zu einem gewissen Zeitpunkt angemessen sein wird, das Tempo der Leitzinserhöhungen zu verlangsamen", hieß es in der gestern veröffentlichten Mitschrift zur Fed-Sitzung vom 26. bis 27. Juli.
Weitere Zinserhöhungen seien zunächst aber angemessen. Ziel sei es, die Geldpolitik in den restriktiven Bereich zu führen, hieß es in dem Protokoll. Und die Fed war sogar auf dem besten Weg dorthin, bis der US-Aktienmarkt Mitte Juni gen Norden abdrehte. Festmachen lässt sich dies an dem von der Federal Reserve berechneten National Financial Conditions Index (NFCI), der die aktuellen Bedingungen an den amerikanischen Aktien-, Geld- und Anleihemärkten sowie im Schattenbankensystem misst. Seit Juli 2021 tendierte der NFCI stetig nach oben; die finanziellen Bedingungen hatten sich also ausgehend von ultralax merklich verschärft. Mitte Juni kam dann aber der Dreh nach unten.
Powell meinte auf seiner Pressekonferenz im Juli, dass die im Juni abgegebenen Zinsprognosen der US-Notenbanker weiterhin relevant seien. In ihrem Dot-Plot sehen sie die Leitzinsspanne in den USA in diesem Jahr auf 3,25 bis 3,50 Prozent steigen und um weitere 50 Basispunkte im nächsten.
Höhere Zinsen bremsen nicht nur die Inflation, sondern auch die Wirtschaftsleistung. Noch sind die marktseitigen Erwartungen an die Gewinne der S&P 500-Unternehmen entsprechend hoch, doch sollte sich das Szenario einer tiefen Rezession angesichts des immer weiter steigenden Zinsniveaus einstellen, drohen auch die Unternehmensgewinne zu sinken, was sich wiederum negativ auf deren Aktienkurse auswirken wird. Ein solches Szenario gilt es zumindest auf dem Schirm zu haben, falls der Fed eine weiche Landung der Wirtschaft misslingt.