Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist eine der bekanntesten Kennzahlen in der Finanzwelt. Jeder, der sich schon einmal mit der Bewertung von Aktien auseinandergesetzt hat, wird früher oder später auf das KGV stoßen. Doch was sagt das KGV wirklich aus? Und warum kann ein extrem hohes KGV, wie es bei einigen Wachstumsunternehmen der Fall ist, tatsächlich gerechtfertigt sein? In diesem Artikel werfen wir einen detaillierten Blick auf das KGV, diskutieren Beispiele wie SentinelOne und zeigen auf, warum ein hoher Wert manchmal nicht so erschreckend ist, wie er aussieht.
Was ist das KGV?
Das KGV misst das Verhältnis des Aktienkurses eines Unternehmens zu dessen Gewinn pro Aktie (EPS – Earnings per Share). Einfach ausgedrückt gibt es an, wie viel ein Investor bereit ist, für einen Dollar Gewinn zu zahlen. Die Formel sieht so aus:
KGV = Aktienkurs/Gewinn pro Aktie (EPS) oder Marktkapitalisierung/Nettoergebnis
Ein Unternehmen, das ein KGV von 15 hat, wird also 15-mal so hoch bewertet wie sein Jahresgewinn. Das heißt, Investoren sind bereit, das 15-fache des jährlichen Gewinns für eine Aktie zu zahlen.
In der Regel wird ein niedriges KGV als Zeichen dafür gesehen, dass eine Aktie günstig ist, während ein hohes KGV suggerieren könnte, dass die Aktie überbewertet ist. Aber wie bei den meisten Dingen im Leben ist es selten so einfach.
SentinelOne: Ein Beispiel für ein extrem hohes KGV
Ein perfektes Beispiel, um zu verstehen, warum ein hohes KGV nicht immer schlecht ist, ist SentinelOne. SentinelOne, ein Unternehmen aus dem Bereich Cybersecurity, hat aktuell ein erwartetes KGV für 2025 von 724,4. Mit einem KGV in dieser Höhe erscheint die Aktie auf den ersten Blick wie ein klarer Fall von Überbewertung. Schließlich gibt es genügend andere solide Unternehmen, die mit einem viel niedrigeren KGV gehandelt werden. Aber wie kommt es zu dieser Zahl, und was steckt wirklich dahinter?
Was bedeutet ein KGV von 724,4?
Das KGV von SentinelOne für das Jahr 2025 basiert auf einer Marktkapitalisierung von 7,1 Milliarden US-Dollar und einem erwarteten Gewinn für das Geschäftsjahr 2025 von 11 Millionen US-Dollar. Rechnet man diese beiden Zahlen zusammen, ergibt sich das hohe KGV:
KGV = 7.100.000.000/11.000.000 = 724,4
Ein KGV von 724,4 klingt immer noch extrem hoch, aber wie bei vielen wachstumsstarken Unternehmen spiegelt es die Erwartungen wider, dass SentinelOne seine Gewinne in den kommenden Jahren erheblich steigern wird.
Warum ein hohes KGV manchmal kein Grund zur Sorge ist
Ein so hohes KGV mag für viele Investoren auf den ersten Blick abschreckend wirken, aber es gibt wichtige Gründe, warum ein KGV in dieser Größenordnung nicht unbedingt negativ ist. SentinelOne ist ein Wachstumsunternehmen, und genau hier liegt der Schlüssel. Investoren setzen bei Unternehmen wie SentinelOne darauf, dass die Gewinne in den nächsten Jahren drastisch steigen werden.
Für das Jahr 2025 wird ein Umsatz von 815 Millionen US-Dollar erwartet. Aktuell liegt die geschätzte Gewinnmarge bei nur 1,35 % (basierend auf dem geschätzten Gewinn von 11 Millionen US-Dollar), doch wenn SentinelOne es schafft, seine Gewinnmarge zu steigern, könnte das KGV schnell auf ein viel niedrigeres Niveau fallen.
Nehmen wir an, die Nettogewinnmarge steigt auf 5 % des Umsatzes, was bei vielen Softwareunternehmen durchaus realistisch ist. Bei einem erwarteten Umsatz von 815 Millionen US-Dollar würde das bedeuten, dass SentinelOne einen Gewinn von 40,75 Millionen US-Dollar erzielen könnte:
Neues KGV = 7.100.000.000/40.750.000 = 174,3
Das KGV würde also auf etwa 174,3 sinken, was für ein Wachstumsunternehmen wie SentinelOne immer noch hoch erscheint, aber weitaus vertretbarer ist als die ursprünglichen 724,4.
Aber damit nicht genug: Wenn SentinelOne es schafft, die Nettomarge auf 10 % zu erhöhen (was bei gut skalierenden Software- und Plattformunternehmen nicht ungewöhnlich ist), würde der Gewinn auf 81,5 Millionen US-Dollar steigen:
Neues KGV = 7.100.000.000/81.500.000 = 87,1
Ein KGV von 87,1 klingt plötzlich deutlich weniger abschreckend und wäre ein klarer Hinweis darauf, dass die Aktie, trotz des anfänglich hohen KGVs, bei entsprechender Gewinnsteigerung durchaus attraktiv sein kann.
Dynamik im Umsatzwachstum
Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Bewertung von Wachstumsunternehmen beeinflusst, ist die Umsatzdynamik. SentinelOne ist in einer Branche tätig, die sich rasant entwickelt – Cybersecurity ist ein Bereich, der in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen wird.
Wenn SentinelOne es schafft, seine Umsätze weiter deutlich zu steigern, könnte auch das zukünftige KGV weiter sinken. Nehmen wir an, SentinelOne würde bis 2026 einen Umsatz von 1 Milliarde US-Dollar erreichen und gleichzeitig eine Gewinnmarge von 10 % erzielen. In diesem Fall würde der Gewinn bei 100 Millionen US-Dollar liegen:
Neues KGV = 7.100.000.000/100.000.000 = 71
Dieses Szenario zeigt, dass sich das anfänglich hohe KGV mit steigenden Umsätzen und verbesserten Margen erheblich reduzieren lässt. Es verdeutlicht auch, warum Investoren oft bereit sind, heute einen hohen Preis für eine Aktie zu zahlen, wenn sie an das langfristige Wachstumspotenzial eines Unternehmens glauben.
Vergleich mit anderen Wachstumsunternehmen
Um zu verstehen, warum ein hohes KGV gerechtfertigt sein kann, lohnt sich auch ein Blick auf andere erfolgreiche Wachstumsunternehmen, die ebenfalls mit sehr hohen KGVs gehandelt wurden.
Shopify ist ein gutes Beispiel. Während des rasanten Wachstums von Shopify hatte das Unternehmen zeitweise ein KGV von über 200. Viele Investoren stellten die Frage, ob die Aktie nicht völlig überbewertet sei. Doch angesichts des unglaublichen Umsatz- und Gewinnwachstums erwies sich diese Bewertung als gerechtfertigt.
Ein anderes Beispiel ist Tesla, das jahrelang entweder gar kein positives KGV hatte oder ein extrem hohes, weil die Gewinne minimal waren. Doch als das Unternehmen begann, konsistent Gewinne zu erzielen und seine Produktionskapazitäten erheblich ausbaute, fiel das KGV und wurde im Kontext des Wachstums vertretbar.
Warum das KGV nicht alles ist: Weitere Bewertungskennzahlen
Das KGV kann vor allem bei Wachstumsunternehmen eine irreführende Kennzahl sein. Deshalb greifen viele Investoren auch auf alternative Bewertungskennzahlen zurück, um das Gesamtbild besser zu verstehen.
- Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV): Für Unternehmen wie SentinelOne, die noch geringe Gewinne haben, wird häufig das KUV verwendet, um den Unternehmenswert im Verhältnis zum Umsatz zu messen. SentinelOne hat ein KUV von etwa 8,7x (basierend auf dem erwarteten Umsatz von 815 Millionen US-Dollar und einer Marktkapitalisierung von 7,1 Milliarden US-Dollar), was im Vergleich zu anderen Wachstumsunternehmen hoch ist, aber im Kontext des Wachstums weniger besorgniserregend erscheint.
- Enterprise Value to Sales (EV/Sales): Diese Kennzahl berücksichtigt neben dem Aktienkurs auch die Schulden und das Bargeld eines Unternehmens. Sie ist vor allem für Unternehmen sinnvoll, die noch nicht profitabel sind, wie viele Wachstumsunternehmen.
- Free Cash Flow (FCF): Der freie Cashflow ist eine wichtige Kennzahl, die zeigt, wie viel Barmittel einem Unternehmen nach allen Ausgaben zur Verfügung stehen. Bei vielen wachstumsstarken Unternehmen, wie auch bei SentinelOne, ist der Cashflow besonders wichtig, da er zukünftige Investitionen und Expansionen ermöglicht.
Schlusswort: Ein hohes KGV im Kontext verstehen
Das KGV ist eine nützliche Kennzahl, aber es sollte nicht isoliert betrachtet werden – besonders bei Wachstumsunternehmen wie SentinelOne. Ein extrem hohes KGV kann oft auf zukünftige Wachstumserwartungen hindeuten und ist nicht automatisch ein Zeichen für eine Überbewertung. In vielen Fällen zahlen Investoren heute einen hohen Preis für zukünftige Gewinne, weil sie darauf vertrauen, dass das Unternehmen seine Gewinne in den kommenden Jahren drastisch steigern wird.
Um eine fundierte Anlageentscheidung zu treffen, sollten Investoren das KGV immer im Kontext der Wachstumsaussichten, des Umsatzes, des Cashflows und anderer Bewertungskennzahlen betrachten. Letztlich geht es darum, nicht nur auf eine Zahl zu schauen, sondern das Unternehmen als Ganzes zu verstehen.
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