Wenn wir an Risiko denken, kommen uns sofort Bilder von stürzenden Aktienkursen, schockierenden Wirtschaftsnachrichten und Panikverkäufen in den Sinn. Doch Howard Marks, Mitbegründer von Oaktree Capital Management, betrachtet das Thema mit einer deutlich differenzierteren Brille. Für ihn ist Risiko nicht bloß ein Synonym für Volatilität oder ein plötzlicher Wertverlust – es ist eine komplexe Größe, die jeder Anleger besser verstehen sollte.
In seiner Videoserie How to Think About Risk erklärt Marks, warum Risiko nicht einfach eine Zahl ist, sondern eine Denkweise. Er fordert dazu auf, die eigene Perspektive zu überdenken und sich nicht von kurzfristigen Schwankungen oder Angstszenarien in die Irre führen zu lassen.
Volatilität ist nicht gleich Risiko
Einer der häufigsten Denkfehler beim Thema Risiko ist die Gleichsetzung von Volatilität und tatsächlichem Verlust. Viele Anleger – und sogar renommierte Akademiker – messen Risiko an den Kursschwankungen eines Investments. Doch Marks hält das für einen Irrtum.
Volatilität bedeutet, dass die Preise eines Investments schwanken – nach oben wie nach unten. Doch wahres Risiko ist die Wahrscheinlichkeit, dauerhaft Geld zu verlieren. Nur weil ein Wertpapier im Preis schwankt, ist es noch lange nicht riskant. Entscheidend ist, wie groß die Gefahr eines dauerhaften Kapitalverlusts ist. Anleger sollten deshalb lernen, zwischen kurzfristigen Marktschwankungen und ernsthaften Abwärtsrisiken zu unterscheiden.
Gewinnchancen maximieren, Verluste minimieren
Marks ist ein großer Verfechter des sogenannten asymmetrischen Investierens. Dabei geht es darum, Investitionen so auszuwählen, dass der potenzielle Gewinn deutlich höher ist als das mögliche Verlustpotenzial. Diese Strategie verlangt jedoch mehr als nur Mut – sie erfordert präzise Analyse und einen klaren Plan.
Risiken komplett zu vermeiden, ist schlichtweg unmöglich. Doch es gibt einen großen Unterschied zwischen unkalkulierten Risiken und klugen Risiken. Anleger sollten gezielt Chancen suchen, bei denen der erwartete Gewinn um ein Vielfaches größer ist als der mögliche Verlust. Wer so handelt, sichert sich langfristig die besseren Ergebnisse – auch in stürmischen Marktphasen.
Risiko lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken
Ein weiteres Missverständnis ist die Annahme, dass Risiko präzise gemessen werden kann. Viele versuchen, Risiko mit mathematischen Modellen oder komplizierten Statistiken zu berechnen. Doch laut Marks ist das unmöglich.
Die Zukunft ist ungewiss, und auch die besten Prognosen basieren letztlich nur auf Wahrscheinlichkeiten. Selbst wenn eine Investition am Ende erfolgreich ist, heißt das nicht, dass sie risikolos war – vielleicht war es einfach nur Glück. Anleger sollten sich nicht auf statistische Sicherheit verlassen, sondern Urteilsvermögen und gesunden Menschenverstand einsetzen.
Das Risiko, das niemand sieht
Wenn Anleger über Risiko nachdenken, konzentrieren sie sich fast ausschließlich auf die Gefahr, Geld zu verlieren. Doch Marks zeigt, dass es noch weitere Risiken gibt, die leicht übersehen werden:
- Verpassensrisiko: Wer zu vorsichtig ist, verpasst oft Gewinnchancen, die langfristig den Unterschied machen könnten.
- Liquiditätsrisiko: In einer Krise gezwungen zu sein, seine Aktien zu verkaufen, um liquide Mittel zu schaffen, kann teuer werden.
Das zeigt, dass Risiko nicht nur in möglichen Verlusten besteht, sondern auch darin, wichtige Chancen zu verpassen. Wer sich nur auf den Schutz vor Verlusten konzentriert, lässt potenzielle Gewinne ungenutzt.
Die Zukunft ist immer ungewiss
Ein zentraler Punkt von Marks ist, dass niemand die Zukunft vorhersagen kann. Unvorhersehbare Ereignisse wie Finanzkrisen oder geopolitische Konflikte treffen die Märkte oft am härtesten – und meist dann, wenn man es am wenigsten erwartet.
Was bleibt, ist Vorbereitung. Wer ein robustes Portfolio aufbaut, das verschiedene Szenarien abdeckt, ist für alle Eventualitäten besser gerüstet. Es ist nicht nötig, alles vorherzusehen – es reicht, auf das Unerwartete vorbereitet zu sein.
Wenn es sicher scheint, ist es oft am gefährlichsten
Eine der wichtigsten Erkenntnisse von Marks ist die Tatsache, dass das größte Risiko oft dann besteht, wenn die Märkte sicher erscheinen. Warum? Weil Anleger in guten Zeiten oft übermütig werden und mehr Risiken eingehen, als sie verkraften können.
Marktblasen entstehen genau in solchen Phasen. Euphorie und die Vorstellung, dass die Preise immer weiter steigen, führen oft zu Überbewertungen – und letztlich zu Crashs bzw. heftigen Korrekturen. Umgekehrt bieten sich die besten Einstiegsmöglichkeiten, wenn die Märkte unsicher wirken und andere Anleger ängstlich sind.
Preis schlägt Qualität
Ein weiterer Mythos, den Marks entlarvt: Gute Unternehmen sind nicht automatisch gute Investitionen. Es kommt darauf an, wie viel du für eine Aktie bezahlst.
Ein großartiges Unternehmen kann eine schlechte Investition sein, wenn es überbewertet ist. Umgekehrt kann ein weniger populäres Unternehmen zu einem Top-Investment werden, wenn der Preis stimmt. Anleger sollten sich deshalb nicht von großen Namen oder schönen Geschichten blenden lassen – am Ende zählt immer das Verhältnis von Preis und Wert.
Mehr Risiko bedeutet nicht automatisch mehr Rendite
„Mehr Risiko, mehr Gewinn“ – diesen Spruch hat fast jeder schon gehört. Doch Marks zeigt, dass das nicht zwangsläufig stimmt. Hohes Risiko kann genauso gut zu hohen Verlusten führen.
Die bessere Strategie: Bewusst Chancen abwägen. Es geht nicht darum, risikoreiche Wetten einzugehen, sondern wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen, bei denen die möglichen Gewinne das Risiko deutlich übertreffen.
Das Fazit: Risiko ist unvermeidlich – aber kontrollierbar
Am Ende macht Marks klar: Risiko gehört zum Investieren dazu. Niemand kann es vermeiden – aber managen lässt es sich allemal. Das bedeutet, regelmäßig die eigene Anlagestrategie zu überprüfen, sich auf verschiedene Szenarien vorzubereiten und bereit zu sein, wenn sich neue Chancen ergeben.
Investieren heißt, mit Unsicherheit zu leben – und sie klug zu nutzen. Wer Risiken versteht, kalkuliert und kontrolliert, kann selbst in turbulenten Zeiten erfolgreich investieren.