Vatikan-Stadt (Reuters) - Papst Franziskus hat Europa aufgefordert, in der Flüchtlingskrise mehr Solidarität zu zeigen.
Bei der Verleihung des Aachener Karlspreises in Rom rief das Oberhaupt der katholischen Kirche die Staaten auf, sich an die Gründerväter Europas und deren Ideen zu erinnern. "Heute mehr denn je regen sie an, Brücken zu bauen und Mauern einzureißen." Gerade in dieser zerrissenen und verwundeten Welt sei es notwendig, zu einer "Solidarität der Tat" zurückzukehren. Er träume von einem Europa, "in dem das Migrantsein kein Verbrechen" sei.
Der Karlspreis wird seit 1950 an Persönlichkeiten und Institutionen vergeben, die sich um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben. Franziskus ist der erste Papst, der ihn regulär erhielt. Im Jahr 2004 wurde Papst Johannes Paul II. ein außerordentlicher Karlspreis verliehen.
Die Verleihung fand anders als üblich nicht in Aachen, sondern in der in der Sala Regia des Apostolischen Palastes statt. Der in Argentinien geborene Franziskus erinnerte in seiner Dankesrede an seine Rede vor dem Europäischen Parlament im Jahr 2004, wo er von Europa als Großmutter gesprochen hatte. Er wiederholte seine Einschätzung eines "müden und gealterten Europas", das nicht fruchtbar und lebendig sei. Stattdessen entstehe der Eindruck eines "heruntergekommenen Europa".
Das Klima des Neuen und der brennende Wunsch, die Einheit aufzubauen, schienen in Europa immer mehr erloschen zu sein. "Wir Kinder dieses Traumes sind versucht, unseren Egoismen nachzugeben, indem wir auf den eigenen Nutzen schauen und daran denken, bestimmte Zäune zu errichten", kritisierte der Papst. Er träume von einem Europa, "das sich um das Kind kümmert, das dem Armen brüderlich beisteht und ebenso dem, der Aufnahme suchend kommt, weil er nichts mehr hat und um Hilfe bittet". Er wünsche sich zudem ein Europa, dessen Einsatz für die Menschenrechte nicht an letzer Stelle seiner Visionen stehe.
"WAS IST MIR DIR LOS, EUROPA?"
Mit Blick auf die europäischen Errungenschaften redete der Papst Politikern und Bürgern ins Gewissen: "Was ist mit Dir los, humanistisches Europa, Du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? ... Was ist mit Dir los, Europa, Du Mutter von Völkern und Nationen, Mutter großer Männer und Frauen, die die Würde ihrer Brüder und Schwestern zu verteidigen und dafür ihr Leben hinzugeben wussten?"
Im Vorjahr hatte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) den Preis erhalten. In seiner Laudatio würdigte er ebenso wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk in ihren Reden die Verdienste des Papstes. Die Fliehkräfte der Krisen trieben Europa auseinander, warnte Schulz. Die Flüchtlingskrise stelle die schwierigste Herausforderung für Europa dar. Juncker erinnerte daran, dass Franziskus von seinem Besuch auf der griechischen Insel Lesbos zwölf syrische Flüchtlinge mitgenommen habe. Im Verhältnis zur Größe des Vatikans sei dies mehr als jeder andere EU-Mitgliedsstaat leiste. Der Papst erfülle die Herzen der Menschen mit neuem Mut.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine Privataudienz bei Franziskus hatte, sagte, der Papst habe sehr deutlich gemacht, dass es Auftrag für die EU-Politiker sei, Europa zusammenzuhalten und der reiche Kontinent "vor allem Menschlichkeit und die humanitäre Aufgabe" nicht vergessen dürfe. "Ich habe das Ganze als Ermutigung empfunden."