- von Frank Siebelt
Frankfurt (Reuters) - Die Europäische Zentralbank (EZB) bleibt trotz gestiegener Konjunkturrisiken nach dem Brexit-Votum vorerst in Deckung.
"Wir kamen zum Schluss, dass wir noch nicht genügend Informationen haben, um Entscheidungen zu treffen", sagte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag in Frankfurt. Die Notenbank werde die Entwicklung an den Finanzmärkten und die Konjunktur aber genau beobachten. Draghi drängte zudem darauf, eine Lösung für das Problem der faulen Kredite in Italien zu finden. "Je länger wir das haben, umso weniger wird das Bankensystem funktionieren." Ein öffentliches Auffangnetz sei bei besonderen Umständen nötig. Es müsse allerdings mit der EU-Kommission abgestimmt werden.
Die Kurse italienischer Bankaktien zogen nach den Äußerungen zum Teil kräftig an. Der italienische Branchenindex legte um 1,4 Prozent zu. Unicredit-Aktien gewannen 3,3 Prozent, BP (LON:BP) Emilia kletterten um 3,4 Prozent.
Die EZB tastete den Leitzins erwartungsgemäß nicht an. Der Schlüsselsatz für die Versorgung der Geschäftsbanken mit Notenbankgeld liegt damit weiter auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Schon die Bank von England hatte vergangene Woche still gehalten, obwohl viele Experten nach dem überraschenden Votum der Briten für einen EU-Austritt mit einer Zinssenkung gerechnet hatten. "So erscheint es fast schon, als ob die Zentralbanker voneinander abschreiben", sagte DZ-Bank-Volkswirt Christoph Kutt. Er erwartet, dass die US-Notenbank Fed nächste Woche ebenfalls ihre Leitzinsen nicht verändert.
MEHR DATEN BENÖTIGT
Die EZB könne in den kommenden Monaten voraussichtlich besser beurteilen, wie es um die Wirtschaft in der Euro-Zone bestellt sei, sagte Draghi. Wie beim Brexit-Votum ließen sich auch die Folgen des Putschversuchs in der Türkei nur schwer vorhersagen. Draghi signalisierte aber Handlungsbereitschaft: "Wenn es zur Erreichung der Ziele gerechtfertigt ist, wird der EZB-Rat handeln, indem er alle verfügbaren Instrumente innerhalb seines Mandats einsetzt."
Ihre Wertpapierkäufe will die Notenbank wie geplant bis mindestens Ende März 2017 oder bei Bedarf auch länger fortsetzen. Zudem bekräftigten Draghi & Co, dass die Leitzinsen voraussichtlich für längere Zeit auf dem aktuellen oder sogar einem noch tieferen Niveau liegen werden.
Laut dem EZB-Präsidenten hat das Brexit-Votum die Wirtschaft in der Euro-Zone bislang nicht aus der Bahn geworfen. Die Finanzmärkte seien der erhöhten Unsicherheit und Volatilität mit "Mut und Belastbarkeit" begegnet. Vorliegende Daten würden ein anhaltendes Wirtschaftwachstum im Währungsraum im zweiten Quartal signalisieren. Allerdings dürfte es geringer ausfallen als zu Jahresbeginn mit 0,6 Prozent zum Vorquartal.
Draghi versuchte unterdessen Befürchtungen zu zerstreuen, dass das wichtige und in Deutschland sehr umstrittene Anleihen-Kaufprogramm ins Stocken geraten könnte. In der Vergangenheit habe die EZB unter Beweis gestellt, dass sie wie angepeilt ein Kaufvolumen von 80 Milliarden Euro im Monat schaffen könne, so der Italiener. Nach dem Brexit-Votum waren Investoren in Staatsanleihen geflüchtet, die als besonders sicher gelten. Die Renditen vieler europäischer Titel waren daraufhin weiter gesunken. Zuletzt rentierten beispielsweise Bundesanleihen mit Laufzeiten von bis zu sieben Jahren unter dem EZB-Einlagenzins von minus 0,4 Prozent. Solche Papiere darf die Notenbank dann nicht erwerben. Kritiker befürchten, dass am Ende Deutschland weniger als die Südländer Italien oder Spanien von den Maßnahmen profitieren könnten.