LUXEMBURG (dpa-AFX) - Mindestlohnvorgaben für öffentliche Aufträge gelten nicht automatisch für ausländische Subunternehmer. Falls die Arbeiten komplett im Ausland erledigt werden, kann der Mindestlohn des Auftraggeber-Landes nicht vorgeschrieben werden, wie der Europäische Gerichtshof am Donnerstag in Luxemburg klarstellte (Rechtssache C-549/13). Gewerkschafter reagierten enttäuscht.
Hintergrund war ein Streit um die Vergabe eines Auftrags der Stadt Dortmund zur Digitalisierung von Akten. In Nordrhein-Westfalen gilt für öffentliche Aufträge ein Mindestlohn von 8,62 Euro pro Stunde.
Die Stadt hatte gefordert, diesen Mindestlohn auch an Beschäftigte von Subunternehmern im Ausland zu zahlen. Die Bundesdruckerei, die den Auftrag nach Polen weitergeben wollte, wehrte sich dagegen. Das zuständige deutsche Gericht bat die Kollegen in Luxemburg um Hilfe bei der Auslegung von EU-Recht.
Der Europäische Gerichtshof erklärte, dass die Dortmunder Vorgabe gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoße. Der Schutz von Arbeitnehmern vor Lohndumping sei zwar grundsätzlich gerechtfertigt. Dafür müssten aber auch die Lebenshaltungskosten in dem Land berücksichtigt werden, in dem sie arbeiteten.
Wenn ein Unternehmer im Ausland Löhne oberhalb der bei ihm gültigen Untergrenze zahlen müsse, nehme ihm das einen Wettbewerbsvorteil, erläuterten die Richter. Es könnte damit zum Beispiel für auswärtige Auftraggeber unattraktiver werden, einen Auftrag an eine Firma dort weiterzugeben.
Das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium wies in einer Reaktion darauf hin, dass EU-weite Vergaben weniger als drei Prozent der öffentlichen Aufträge ausmachten. "Der Anteil der Dienstleistungen, die jenseits der Grenzen abgewickelt werden, liegt deutlich darunter." Für Aufträge innerhalb Deutschlands gälten weiter die Mindestlohn-Regelungen aus NRW. Das Gesetz solle ohnehin im Jahr 2015 überarbeitet werden und dann in Einklang mit dem Urteil gebracht werden.
Zwar gibt es nach Angaben des Rechtsexperten Klaus-Dieter Sohn vom Freiburger Centrum für Europäische Politik (CEP) auch in anderen Bundesländern Mindestlohnvorgaben. Er ging aber nicht davon aus, dass nun im großen Umfang Gesetze geändert werden müssten. "Die Folge wird sein, dass sich die öffentliche Hand künftig fragen muss, ob ein Auftrag bei gleicher Qualität im Ausland ausgeführt werden kann", sagte Sohn. Gegenfalls könne sie dann den dortigen Mindestlohn vorschreiben.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte vor allem die Geschäftspraxis der Bundesdruckerei, die sich gegen die Vorgabe aus Dortmund gewehrt hatte. "Der Bund als Eigner der Bundesdruckerei darf keine Mindestlohn-Umgehungsstrategien zulassen, indem über Tochterfirmen in Nachbarländern Leistungen billiger eingekauft werden", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi monierte das Luxemburger Urteil ebenfalls. "Das fördert nicht die Dienstleistungsfreiheit, sondern nutzt Arbeitnehmer zugunsten eines einzelnen Unternehmens aus", sagte Günter Isemeyer, Sprecher von Verdi NRW. Auch aus der Politik kamen kritische Stimmen. "Mit dieser Entscheidung untermauert das Gericht seine bisherige Position, Unternehmerinteressen von Anbietern aus Billiglohnländern höher zu gewichten als die Interessen der heimischen Unternehmen und ihrer Mitarbeiter", sagte die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt.
Der Verband "Unternehmer NRW" wertete die Entscheidung hingegen als "Schlag gegen die Regulierungspolitik der Landesregierung". Düsseldorf sollte das Tariftreue- und Vergabegesetz am besten als Ganzes zurückzuziehen.P/stw