- von Ilona Wissenbach und Jan Schwartz
Peking/Hamburg (Reuters) - Die westlichen Autobauer laufen sich für die neuen Freiheiten auf dem wichtigen Markt China warm.
Als erstes wagt sich BMW (DE:BMWG) aus der Deckung: Die Münchner denken über den Export von Autos aus der Volksrepublik nach. Konzernchef Harald Krüger blieb am Mittwoch auf der Automesse in Peking zwar noch vage - auch um die heimischen Partner nicht vor den Kopf zu stoßen, mit denen alle Autobauer in China per Dekret verbandelt sind. Doch sein Finanzvorstand Nicolas Peter wurde im Reuters-Interview konkreter und erklärte, BMW werde womöglich in zwei Jahren erstmals Elektroautos zusammen mit seinem chinesischen Partner Brilliance exportieren. Die Entscheidung solle in den nächsten Monaten fallen.
China hatte in der vergangenen Woche angekündigt, dass der Zwang zur Ehe mit einer chinesischen Partnerfirma bis 2022 abgeschafft wird. Die sich anbahnende Marktöffnung - die auch als Reaktion auf den Handelsstreit mit den USA gilt - ist nun eines der wichtigsten Themen an den Messeständen in Peking, wo sich die Branche noch bis zum 4. Mai versammelt. Nach Einschätzung von Experten wünschen sich die ausländischen Autohersteller schon lange sehnlichst, auf dem hochprofitablen chinesischen Markt weniger staatlichen Zwängen zu unterliegen. Dazu gehört die Möglichkeit, eigene Werke hochzuziehen und Fahrzeuge sowohl zu exportieren, als auch verstärkt aus Werken in anderen Ländern zu niedrigeren Zöllen zu importieren.
Anders als der Oberklasse-Hersteller BMW, der auch zu den größten Exporteuren aus den USA gehört, halten sich die anderen Autobauer zu ihren Plänen nach außen aber noch bedeckt. Daimler (DE:DAIGn) betonte, mit seinen bestehenden Partnerschaften zufrieden zu sein und daran nichts ändern zu wollen. "Wir sind sehr erfolgreich zusammen und wollen das auch bleiben", sagte Vorstandschef Dieter Zetsche. Wenn sich die Bedingungen 2022 änderten, werde Daimler als erstes mit seinen Partnern BAIC und BYD sprechen. Volkswagen (DE:VOWG) sieht nach offiziellem Bekunden ebenfalls keinen Anlass, etwas an der in Jahrzehnten gewachsenen Kooperation mit seinen Joint-Venture-Partnern FAW und SAIC zu ändern. Wichtiger sei das politische Signal Chinas, dem Wettbewerb in der Wirtschaft mehr Luft zu lassen, erklärte China-Chef Jochem Heizmann.
Eine Abnabelung, sollte sie von den Ausländern überhaupt erwogen werden, wird nach Ansicht von Analysten auch nicht von heute auf morgen kommen. Denn die Zusammenarbeit in den Gemeinschaftsunternehmen ist für Volkswagen, Daimler & Co auch mit vielen Vorteilen verbunden. Durch die engen Kontakte in die staatlichen Behörden erfahren die westlichen Hersteller früh etwa von neuen Umweltvorgaben und können sich so darauf einstellen. Andererseits müssen sie die oft üppigen Gewinne mit ihren Joint-Venture-Partnern teilen.
FINGERSPITZENGEFÜHL GEFRAGT
Analysten rechnen daher mit einer Übergangszeit. "Die werden nicht sofort mit einer eigenen Produktion anfangen", ist Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler sicher. "Man will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, man hätte nur darauf gewartet, dass die Regeln wegfallen - als wären die chinesischen Partner eher lästig." Pieper wie auch sein Kollege Arndt Ellinghorst vom Investmentberater Evercore IS gehen aber davon aus, dass hinter den Kulissen längst überlegt wird, wie die neuen Freiheiten genutzt werden können. "Definitiv wird in Zukunft aus China heraus exportiert", glaubt Ellinghorst. Bisher würden die Produktionskapazitäten genutzt, um den wachsenden chinesischen Markt zu bedienen. Dabei spiele auch eine Rolle, dass die deutschen Autobauer den Gewerkschaften daheim nicht auf die Füße treten wollten, die sich massiv gegen Produktionsverlagerungen aus Deutschland wehren würden.
Sollten die Hersteller nun neue Fabriken im Reich der Mitte hochziehen, würden diese auch Autos für die Lieferung in andere Länder produzieren. "Ich glaube, dass China auf absehbare Zeit ein normaler Produktionsstandort wird. So wie man aus Deutschland überwiegend exportiert, wie BMW aus den USA heraus exportiert, genauso wird man in Zukunft auch aus China exportieren", glaubt Ellinghorst.
Pieper gibt zu bedenken, dass eine Aufstockung der Anteile an bestehenden Gemeinschaftsunternehmen die Hersteller auch viel Geld kosten würde. "Andererseits dürfte der Umsatz um zig Milliarden steigen, wenn die Werke in Eigenregie betrieben würden. Das ist ein richtiger Sprung." Auch der Gewinn werde steigen. Bei Volkswagen etwa fließt das Chinageschäft in das Beteiligungsergebnis ein und wird anteilig verbucht. "Das sind gewaltige Beträge, die dann sichtbar werden." Der Konzernumsatz würde vermutlich auf 300 (2017: 230) Milliarden Euro oder mehr anschwellen. Beim operativen Ergebnis rechnet Pieper mit 23 (2017: 17) Milliarden und mehr.