Investing.com – Ethereum ist neben dem Bitcoin die Kryptowährung mit der höchsten Marktkapitalisierung. Der Ether bringt es bei einem ETH/USD Kurs von 3.486 Dollar auf einen Market-Cap von stolzen 410 Milliarden Dollar.
Die Analysten der Standard Chartered (LON:STAN) Bank haben zwischenzeitlich ein Kursziel von 26.000 bis 35.000 Dollar ausgerufen. Wir sehen uns im Folgenden an, wie dieses Kursziel zustande gekommen ist.
Ethereum Vorteile gegenüber Bitcoin
Ethereum hat im Vergleich zum Bitcoin einige nennenswerte Vorteile. Während der BTC lediglich als Wertaufbewahrungsmittel dient, handelt es sich bei Ether um eine Software-Plattform.
Der zentrale Bestandteil dieser Plattform sind Smart-Contracts. Diese Programme sind in der Lage selbstständig Transaktionen auszuführen und zu verifizieren. Es handelt sich also um einen Automatismus zur Bewältigung verschiedenster Routineaufgaben, die bei Kfz-Versicherungen, Autoleasing, Parkplatz-Nutzung, Versandhandel und vielen mehr zum Einsatz kommen.
Hinzu kommen Dezentrale Autonome Organisationen (DAO). Dabei geht es im Wesentlichen um eine Art digitales Unternehmen, welches keine Führungsebene besitzt. Einen herkömmlichen Geschäftsführer wird man hier vergebens suchen. Die Eckpfeiler des Geschäftsbetriebs basieren auf einem nicht mehr änderbaren Code. Anteilseigner können lediglich über ein demokratisches Abstimmungsverfahren darüber entscheiden, wie die künftige Entwicklung sein wird.
Ein weiterer Bestandteil sind NFTs (Non-Fungible Token). Diese bescheinigen einer Person, dass sie der Eigentümer eines digitalen Vermögenswertes ist. Bekannt geworden sind diese in der Vergangenheit unter anderem mit dem Hype um CryptoPunks und CyberKongz – kleine digitale Bilder, die zum Teil für sechsstellige Beträge gehandelt werden.
Mittlerweile ist auch die Dezentrale Finanzwirtschaft (DeFi) in aller Munde, die auf Smart-Contracts aufbaut. Dieser Bereich ist Sinnbild für die Revolutionierung der klassischen Finanzwirtschaft und deckt allgemein alles ab, was in irgendeiner Weise mit Geld zu tun hat.
Worauf beruht das ETH Kursziel von 26.000 bis 35.000 Dollar?
Ausgangsbasis der ETH Bewertung ist der BTC. Die Standard Chartered Bank vergleicht dazu die Marktkapitalisierung im Kreditkartensektor mit den potenziellen Transaktionen im Nichtbankensektor. Um den Wert von ETH im Vergleich zum BTC zu ermitteln, bedarf es zusätzlich einem Vergleich des Wertes globaler Banken mit dem Wert der Kreditkartenunternehmen.
Der Gedanke dahinter ist, dass der Bitcoin lediglich für Zahlungsströme geeignet ist, wie sie beim Einsatz von Kreditkarten auftreten. Ethereum hingegen wird mit dem Bankensektor gleichgesetzt, denn es handelt sich um eine Plattform, die verschiedenste Finanzdienstleistungen anbietet.
Auf dieser Grundlage beruht der obere Wert des Kursziels von 35.000 Dollar für den Ether.
Standard Chartered sagt:
„Vereinfacht ausgedrückt entspricht die Marktkapitalisierung der Banken weltweit dem Vierfachen der Marktkapitalisierung von Kreditkartenunternehmen. Mit dieser Analogie kann es der ETH auf eine potenzielle Marktkapitalisierung von 4 Billionen USD bringen. Die Gesamtzahl der derzeit im Umlauf befindlichen ETH beträgt 117 Millionen, was einem Preis von 35.000 USD für den Ether entspricht. Das ist das 10-fache des aktuellen Preises.“
Der untere Wert des ETH Kursziels von 26.000 Dollar ergibt sich über den Ansatz einer Portfolio-Optimierung. Ausgangspunkt ist das Bitcoin-Hoch Ende 2017. Nur wird zu diesem Zeitpunkt eine optimale 2 Prozent Verteilung von Kryptowährungen auf die globalen Portfolios unterstellt.
Die Analysten der Standard Chartered Bank gehen des Weiteren davon aus, dass die Marktkapitalisierung von Ethereum über die Zeit hinweg zum BTC aufschließen wird.
Man ist sich jedoch durchaus bewusst, dass die Zielrange gemessen am aktuellen Kurs etwas hoch erscheint.
„Eine Spanne von 26.000 bis 35.000 USD mag im Vergleich zum aktuellen ETH-Kurs (knapp unter 4.000 USD) hoch erscheinen, aber wir denken, dass der aktuelle Kurs sowohl die zunehmende Komplexität von ETH (im Vergleich zu BTC) als auch die Unsicherheit in Bezug auf die Entwicklung von ETH widerspiegelt.“
Wichtig ist noch zu wissen, dass der Ether in den Zielbereich nicht vorstößt, ohne dass auch der Bitcoin am oberen Ende seiner Bewertungsspanne notiert. Diese liegt bei geschätzten 175.000 Dollar.
Und damit haben wir die Quintessenz, auf der die Kursprognose beruht, bereits zusammengefasst. Einige kühne Annahmen und Vergleiche, für die zum Teil grundlegende Zahlen fehlen. Hinzu kommt bei dem Beispiel der 35.000 Dollar ein offensichtlicher Rundungsfehler. Und dennoch enthält das Research, unabhängig von der Kursprognose, einige Interessante Aspekte, sowie eine unerwartete Wende, die alles in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Ether oder Bitcoin – was ist das bessere Investment?
Sollte man sich aktuell zwischen einem Investment in Ether oder Bitcoin entscheiden müssen, empfiehlt die Standard Chartered ersteres. Das liegt daran, dass ETH 2.0 in den Startlöchern sitzt. Mit dem Launch wird es neue Funktionen, eine bessere Skalierbarkeit und mit dem Ende des Minings auch weniger Umweltbedenken geben.
„Angesichts dieser Faktoren halten wir ETH mittelfristig für einen besseren Kauf als BTC. Wir gehen davon aus, dass sich der Wechselkurs zwischen den Währungseinheiten von Ethereum und Bitcoin (ETH-BTC) von den aktuellen Niveaus auf ungefähr 0,161 verdoppeln wird, wodurch die gesamte Marktkapitalisierung von ETH mit der von BTC gleichzieht.“
Ethereum 2.0 – Fluch oder Segen?
Inwiefern der Ether seinen Siegeszug fortsetzen kann, ist nicht zuletzt davon abhängig, wann und ob Ethereum 2.0 Wirklichkeit wird. Doch nur mit diesem Upgrade ist es möglich, die Anzahl der Transaktionen zu skalieren, was positive Auswirkungen auf die Netzwerkauslastung und Transaktionsgebühren hat. Gleichzeitig soll auch vom energieaufwendigen Proof-of-Work (PoW) auf Proof-of-Stake (PoS) umgestellt werden.
Es gibt für das Upgrade jedoch keinen festen Zeitplan, was auch aus Sicht der Standard Chartered Analysten Risiken birgt.
„ETH 2.0 ist ein komplexes und umfassendes Upgrade einer ohnehin schon anspruchsvollen Plattform… Der ungewisse Zeitrahmen in Verbindung mit der Komplexität der neuen Plattform könnte bei einigen Anlegern und Nutzern zu Enttäuschungen führen. Dadurch steigt das Risiko, dass Wettbewerber, die vergleichbare Plattformen anbieten, in einigen Bereichen Marktanteile gewinnen können.“
Die Ether Konkurrenz schläft nicht
Und gerade an Wettbewerbern mangelt es wahrlich nicht. Schon jetzt gibt es einige Blockchains, die Ethereum in den Bereichen Transaktionsgeschwindigkeit, Kosten und Energieeffizienz einiges voraus sind.
In zwei Tagen wird der sogenannte Ethereum-Killer Cardano zeigen, ob er in der Lage ist, Vitalik Buterin graue Haare zu bescheren. Am 12. September geht das Alonzo Upgrade auf dem Mainnet online, dass den ADA Smart-Contract fähig macht.
Solana ist ebenfalls voll in Fahrt und wird zusehends bekannter, womit der SOL bereits auf Platz 6 der Krypto-Weltrangliste notiert. Die einzigartige Programmiersprache Solang und die Proof-of-Historie Technologie sind für Smart-Contracts, DeFi und NFT geradezu prädestiniert.
Transaktionen werden in noch nicht einmal einer Sekunde ausgeführt, was auch auf das Multi-Threading zurückzuführen ist. Während alle anderen Blockchains Transaktionen linear abarbeiten, verarbeitet Solana mehrere parallel. Lediglich SafeCoin, die erste Community Version der Solana Blockchain, operiert auf einem solch hohen Niveau.
Quelle: SafeCoin.org
ETH 2.0 droht Regulierung
ETH 2.0 birgt aber noch ein ganz anderes Risiko – Regulierung. Ein Punkt der selbst den Analysten Kopfschmerzen bereitet.
„Eine große Unbekannte ist, ob ETH 2.0 weiterhin als Handelsware (wie ETH 1.0) oder als Wertpapier eingestuft wird. Die Securities and Exchange Commission (SEC) stellte zunächst fest, dass die Ethereum-Plattform ausreichend dezentralisiert‘ sei, um eine Einstufung als Handelsware zu ermöglichen. Doch der Übergang zu PoS könnte diese Ansicht infrage stellen.“
Sollte das der Fall sein, dann drohen rückwirkend nicht nur hohe Geldstrafen, sondern auch die Überarbeitung sämtlicher auf Ethereum basierter Geschäftskonzepte. Diese müssen dann mit den Regeln zur Bekämpfung illegaler Aktivitäten, Gewährleistung der Finanzstabilität und Schutz der Anleger in Einklang gebracht werden.
Es ist durchaus vorstellbar, dass sich einige der Projekte von Ether abwenden und auf andere Blockchains wechseln, wenn die Umsetzung der regulatorischen Richtlinien einen zu hohen Aufwand erfordert, oder gar unmöglich ist. Hinzu kommt, dass viele der Wettbewerber einfache Möglichkeiten anbieten, um ETH Smart-Contracts, Defi, dApps und so weiter, auf ihre eigenen technischen Standards zu konvertieren.
Wenn die SEC Ethereum 2.0 unter die Lupe nimmt, dann dürfte die Messlatte für einen Freifahrtschein à la Handelsware ohnehin höher liegen. Das liegt daran, dass eine der Personen bei der SEC, die 2018 Ethereum grünes Licht gab, persönlich vom Erfolg des Projekts profitiert.
Es handelt sich um William H. Hinmann, der Partner der Anwaltskanzlei Simpson Thacher & Bartlett LLP ist. Er wechselte 2017 aus der Anwaltskanzlei zur SEC, stellte Ethereum einen Freibrief aus und ging wieder zurück.
Jetzt fragen Sie sich, was daran verwerflich ist?
Simpson Thacher & Bartlett LLP ist Mitglied der Enterprise Ethereum Alliance. Einer Organisation, die es sich zur Aufgabe macht, dass die Ethereum-Blockchain zu einem weltweiten Industriestandard wird. Somit kann man von einer „gewissen“ Befangenheit sprechen. Weitere Informationen dazu finden Sie in dem Artikel War Korruption im Spiel?
Sollte Ethereum 2.0 Wirklichkeit werden, was für den weiteren Erfolg von entscheidender Bedeutung ist, dürfte es schwieriger werden, einen Fürsprecher in eine entscheidende Position bei der SEC zu bekommen.
Apropos Fürsprecher – die Standard Chartered scheint sich ebenfalls nicht ganz uneigennützig für den Ether einzusetzen. Auch sie ist Mitglied der Enterprise Ethereum Alliance. Der Disclaimer zu dem Research umfasst zwar mehr als 3000 Wörter, aber einen Hinweis auf diese Mitgliedschaft sucht man vergebens.
Letztlich bleibt festzuhalten, dass der weitere Ethereum Erfolg von Ether 2.0 abhängig ist. Die drei zentralen Fragen sind:
Kommt ETH 2.0 überhaupt?
Wenn ja, wann ist Ethereum 2.0 einsatzfähig?
Wird eine Regulierung durch die SEC stattfinden?
Von Marco Oehrl